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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

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son (z. B. Gott bilden = Gottes Wesen an sich darstellen) oder objec-
tiv durch ein Nachschaffen, sei es durch innere Thätigkeit blos der
Phantasie oder an einem äußern Stoffe. Die erstere, intransitive Bedeu-
tung ist verloren gegangen, die zweite, transitive schied im Zeitwort nach
und nach die Bestimmtheit der Beziehung auf das nachzuahmende Urbild aus
und wurde zunächst, ehe der moderne, ethische und intellectuelle Sinn ein-
drang, vorzüglich von dem Herausarbeiten eines greiflichen, gediegenen
Stoffes aus dem Groben gebraucht, wodurch er organische Form annimmt,
die dann allerdings Nachbild eines Urbilds ist, so daß mittelbar darin
immer noch der Begriff der Herstellung eines Aehnlichen liegt. In diesem
älteren, volksmäßigen Sinne würde das Wort Bilden ganz eigentlich die
Kunst bezeichnen, zu der wir nunmehr übergehen; Bildkunst wäre der rechte
Name. Allein im substantiven Gebrauche hat das Wort theils umgekehrt
den Sinn der Erzeugung einer Aehnlichkeit zu bestimmt und zu sehr in
blos geistiger Anwendung behalten, es bezeichnet das einzelne Gleichniß in
der Sprache und Poesie, theils ist seine Bedeutung ohne diese Beziehung zu
allgemein, so daß man auch schlechthin ein Gemälde darunter versteht; das per-
sönliche Substantiv Bilder ist verloren; dagegen ist durch Gewohnheit das,
grammatisch eigentlich unrichtige, Wort Bildner festgestellt und darin jener
ältere, gediegene Sinn des Zeitworts Bilden erhalten. Von den verschie-
denen Arten der Technik: Formen weichen Stoffes, Hauen, Gießen ist da-
bei keine ausgeschlossen, während "Bildhauer" die erste und dritte aus-
schließt. So mag denn stehen: Bildnerkunst, daneben aber auch der grie-
chische und lateinische Name nicht abgewiesen sein. -- Was nun die Be-
gründung des Uebergangs von der Baukunst betrifft, so wäre eigentlich
gar nicht zu fragen: wie kommt es, daß nun die Kunst fortgeht zur Nach-
bildung der beseelten organischen Gestalt? sondern: wie kommt es, daß sie
damit nicht sogleich anfängt? und: wie kommt es, daß sie diese Nachbil-
dung zunächst nur in der Beschränkung vornimmt, in welche wir die Bild-
nerkunst sofort sich werden eingrenzen sehen? Die erste dieser Fragen er-
gibt sich von selbst aus dem Satze, in welchem der §. die Nothwendigkeit
des nunmehr sich öffnenden Kunstgebiets einfach aus dem Wesen des Schö-
nen ableitet. Das Schöne ist die reine Einheit zwischen Idee und Bild,
die wahre Erscheinung dieser Einheit ist die Persönlichkeit, und die Kunst
als die Wirklichkeit des Schönen hat daher unmittelbar, so scheint es, diese
absolute Aufgabe zu ergreifen. Die zweite Frage ist in der ersten bereits
eingeschlossen; denn wenn es die Aufgabe der Kunst ist, das persönliche
Leben darzustellen, so scheint dasselbe auch sogleich nach dem ganzen Um-
fang seiner Erscheinung erfaßt werden zu müssen, was doch die Bildner-
kunst, wie sich zeigen wird, nicht thut. Es drängt sich aber bei dieser zwei-
ten Frage noch ein weiterer Anstand auf. Es ließe sich nämlich, so scheint

ſon (z. B. Gott bilden = Gottes Weſen an ſich darſtellen) oder objec-
tiv durch ein Nachſchaffen, ſei es durch innere Thätigkeit blos der
Phantaſie oder an einem äußern Stoffe. Die erſtere, intranſitive Bedeu-
tung iſt verloren gegangen, die zweite, tranſitive ſchied im Zeitwort nach
und nach die Beſtimmtheit der Beziehung auf das nachzuahmende Urbild aus
und wurde zunächſt, ehe der moderne, ethiſche und intellectuelle Sinn ein-
drang, vorzüglich von dem Herausarbeiten eines greiflichen, gediegenen
Stoffes aus dem Groben gebraucht, wodurch er organiſche Form annimmt,
die dann allerdings Nachbild eines Urbilds iſt, ſo daß mittelbar darin
immer noch der Begriff der Herſtellung eines Aehnlichen liegt. In dieſem
älteren, volksmäßigen Sinne würde das Wort Bilden ganz eigentlich die
Kunſt bezeichnen, zu der wir nunmehr übergehen; Bildkunſt wäre der rechte
Name. Allein im ſubſtantiven Gebrauche hat das Wort theils umgekehrt
den Sinn der Erzeugung einer Aehnlichkeit zu beſtimmt und zu ſehr in
blos geiſtiger Anwendung behalten, es bezeichnet das einzelne Gleichniß in
der Sprache und Poeſie, theils iſt ſeine Bedeutung ohne dieſe Beziehung zu
allgemein, ſo daß man auch ſchlechthin ein Gemälde darunter verſteht; das per-
ſönliche Subſtantiv Bilder iſt verloren; dagegen iſt durch Gewohnheit das,
grammatiſch eigentlich unrichtige, Wort Bildner feſtgeſtellt und darin jener
ältere, gediegene Sinn des Zeitworts Bilden erhalten. Von den verſchie-
denen Arten der Technik: Formen weichen Stoffes, Hauen, Gießen iſt da-
bei keine ausgeſchloſſen, während „Bildhauer“ die erſte und dritte aus-
ſchließt. So mag denn ſtehen: Bildnerkunſt, daneben aber auch der grie-
chiſche und lateiniſche Name nicht abgewieſen ſein. — Was nun die Be-
gründung des Uebergangs von der Baukunſt betrifft, ſo wäre eigentlich
gar nicht zu fragen: wie kommt es, daß nun die Kunſt fortgeht zur Nach-
bildung der beſeelten organiſchen Geſtalt? ſondern: wie kommt es, daß ſie
damit nicht ſogleich anfängt? und: wie kommt es, daß ſie dieſe Nachbil-
dung zunächſt nur in der Beſchränkung vornimmt, in welche wir die Bild-
nerkunſt ſofort ſich werden eingrenzen ſehen? Die erſte dieſer Fragen er-
gibt ſich von ſelbſt aus dem Satze, in welchem der §. die Nothwendigkeit
des nunmehr ſich öffnenden Kunſtgebiets einfach aus dem Weſen des Schö-
nen ableitet. Das Schöne iſt die reine Einheit zwiſchen Idee und Bild,
die wahre Erſcheinung dieſer Einheit iſt die Perſönlichkeit, und die Kunſt
als die Wirklichkeit des Schönen hat daher unmittelbar, ſo ſcheint es, dieſe
abſolute Aufgabe zu ergreifen. Die zweite Frage iſt in der erſten bereits
eingeſchloſſen; denn wenn es die Aufgabe der Kunſt iſt, das perſönliche
Leben darzuſtellen, ſo ſcheint daſſelbe auch ſogleich nach dem ganzen Um-
fang ſeiner Erſcheinung erfaßt werden zu müſſen, was doch die Bildner-
kunſt, wie ſich zeigen wird, nicht thut. Es drängt ſich aber bei dieſer zwei-
ten Frage noch ein weiterer Anſtand auf. Es ließe ſich nämlich, ſo ſcheint

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[340/0014] ſon (z. B. Gott bilden = Gottes Weſen an ſich darſtellen) oder objec- tiv durch ein Nachſchaffen, ſei es durch innere Thätigkeit blos der Phantaſie oder an einem äußern Stoffe. Die erſtere, intranſitive Bedeu- tung iſt verloren gegangen, die zweite, tranſitive ſchied im Zeitwort nach und nach die Beſtimmtheit der Beziehung auf das nachzuahmende Urbild aus und wurde zunächſt, ehe der moderne, ethiſche und intellectuelle Sinn ein- drang, vorzüglich von dem Herausarbeiten eines greiflichen, gediegenen Stoffes aus dem Groben gebraucht, wodurch er organiſche Form annimmt, die dann allerdings Nachbild eines Urbilds iſt, ſo daß mittelbar darin immer noch der Begriff der Herſtellung eines Aehnlichen liegt. In dieſem älteren, volksmäßigen Sinne würde das Wort Bilden ganz eigentlich die Kunſt bezeichnen, zu der wir nunmehr übergehen; Bildkunſt wäre der rechte Name. Allein im ſubſtantiven Gebrauche hat das Wort theils umgekehrt den Sinn der Erzeugung einer Aehnlichkeit zu beſtimmt und zu ſehr in blos geiſtiger Anwendung behalten, es bezeichnet das einzelne Gleichniß in der Sprache und Poeſie, theils iſt ſeine Bedeutung ohne dieſe Beziehung zu allgemein, ſo daß man auch ſchlechthin ein Gemälde darunter verſteht; das per- ſönliche Subſtantiv Bilder iſt verloren; dagegen iſt durch Gewohnheit das, grammatiſch eigentlich unrichtige, Wort Bildner feſtgeſtellt und darin jener ältere, gediegene Sinn des Zeitworts Bilden erhalten. Von den verſchie- denen Arten der Technik: Formen weichen Stoffes, Hauen, Gießen iſt da- bei keine ausgeſchloſſen, während „Bildhauer“ die erſte und dritte aus- ſchließt. So mag denn ſtehen: Bildnerkunſt, daneben aber auch der grie- chiſche und lateiniſche Name nicht abgewieſen ſein. — Was nun die Be- gründung des Uebergangs von der Baukunſt betrifft, ſo wäre eigentlich gar nicht zu fragen: wie kommt es, daß nun die Kunſt fortgeht zur Nach- bildung der beſeelten organiſchen Geſtalt? ſondern: wie kommt es, daß ſie damit nicht ſogleich anfängt? und: wie kommt es, daß ſie dieſe Nachbil- dung zunächſt nur in der Beſchränkung vornimmt, in welche wir die Bild- nerkunſt ſofort ſich werden eingrenzen ſehen? Die erſte dieſer Fragen er- gibt ſich von ſelbſt aus dem Satze, in welchem der §. die Nothwendigkeit des nunmehr ſich öffnenden Kunſtgebiets einfach aus dem Weſen des Schö- nen ableitet. Das Schöne iſt die reine Einheit zwiſchen Idee und Bild, die wahre Erſcheinung dieſer Einheit iſt die Perſönlichkeit, und die Kunſt als die Wirklichkeit des Schönen hat daher unmittelbar, ſo ſcheint es, dieſe abſolute Aufgabe zu ergreifen. Die zweite Frage iſt in der erſten bereits eingeſchloſſen; denn wenn es die Aufgabe der Kunſt iſt, das perſönliche Leben darzuſtellen, ſo ſcheint daſſelbe auch ſogleich nach dem ganzen Um- fang ſeiner Erſcheinung erfaßt werden zu müſſen, was doch die Bildner- kunſt, wie ſich zeigen wird, nicht thut. Es drängt ſich aber bei dieſer zwei- ten Frage noch ein weiterer Anſtand auf. Es ließe ſich nämlich, ſo ſcheint

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/14>, abgerufen am 21.11.2024.