Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
der Entschiedenheit, um Zweige zu begründen. Indessen hat jenes mehr Spiel- Der §. zieht nur aus Solchem, was schon ausgeführt ist, das Er-
der Entſchiedenheit, um Zweige zu begründen. Indeſſen hat jenes mehr Spiel- Der §. zieht nur aus Solchem, was ſchon ausgeführt iſt, das Er- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0138" n="464"/> der Entſchiedenheit, um Zweige zu begründen. Indeſſen hat jenes mehr Spiel-<lb/> raum, als dieſes; äußerlich tritt es im Coloſſalen hervor.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Der §. zieht nur aus Solchem, was ſchon ausgeführt iſt, das Er-<lb/> gebniß, indem er einen weitern Eintheilungsgrund für die Kunſtzweige<lb/> aus §. 540, den dieſer auf §. 402 gründete, aufnimmt. Daß das Er-<lb/> habene eine größere Rolle ſpielt, als das Komiſche, hat darin ſeinen<lb/> Grund, daß ſein Prozeß, wie aus der Metaphyſik des Schönen hervor-<lb/> geht, ein weniger verwickelter, weniger geiſtig reflectirter iſt, als der des<lb/> Komiſchen. Wir haben geſehen, wie es als Erhabenes der Kraft, der<lb/> mehr ſinnlichen Erregung, der tieferen Leidenſchaft, des Charakters auf-<lb/> tritt; in den Scenen tiefen Leidens, im Conflicte mit ewigen Mächten<lb/> erhebt es ſich auch zum Tragiſchen; allein nicht nur bleibt ihm die ganze<lb/> Unendlichkeit geiſtiger Höhe und Tiefe verſchloſſen, welche der mittelal-<lb/> terlichen und noch mehr der modernen Welt der geiſtigen Innerlichkeit<lb/> ſich aufgethan hat, ſondern auch der claſſiſchen Tragödie konnte die Plaſtik<lb/> nicht in alle Formen des Schrecklichen folgen, z. B. nicht in das Ganze des<lb/> Seelenleidens eines Oedipus. Daß das Erhabene in den äußern Maa-<lb/> ßen der Kunſtdarſtellung als Erhabenes des Raums ſich geltend macht,<lb/> iſt in §. 609 erörtert, und ſoweit mag der Gegenſatz zwiſchen ihm und<lb/> dem einfach Schönen gewiſſermaßen als ein Zweigbegründender gefaßt<lb/> werden, als dadurch das Coloſſale und nicht Coloſſale unterſchieden wird.<lb/> Das Weſentliche aber bleibt die Rückführung ſelbſt des Furchtbarſten zur<lb/> anmuthsvollen Schönheits-Linie des einfach Schönen; dieſes Stylgeſetz iſt<lb/> ſtärker, als der ſächliche Gegenſatz des Schönen und Erhabenen, der<lb/> ebendeßwegen nicht hier eine geſchloſſene Gattung anmuthiger, dort eine<lb/> geſchloſſene Gattung erhabener Werke mit der Beſtimmtheit eines Unter-<lb/> ſchieds von Zweigen entwickeln kann. Das Komiſche hat ebenfalls ver-<lb/> ſchiedene Stufen; im bacchiſchen Kreiſe, auf den es ſich im Alterthum<lb/> hauptſächlich warf, tritt es in den Satyrn gewöhnlich nur als gedämpf-<lb/> ter, fein gemilderter Anſtrich von Gemeinheit, als fühlbarere Rohheit in<lb/> einer derberen Form der Satyrn, wie dem betrunken ſchlafenden, Wein-<lb/> dunſt ſchwer ausathmenden barberiniſchen, noch gröber, wilder, entfeſſel-<lb/> ter in den Silenen, Paniſken oder eigentlichen Faunen auf. Dieß und<lb/> Aehnliches kann ein komiſches Genre genannt werden und entſpricht un-<lb/> gefähr der niederländiſchen Genremalerei; allein der Unterſchied iſt doch<lb/> ein unendlicher, wenn man bedenkt, wie hoch die Plaſtik ſelbſt dieſe<lb/> Stoffe ſtyliſirt und wie z. B. ſelbſt der barberin. Faun immer noch eine<lb/> vollkommene, eine göttliche Natur iſt. Die Komödie gab Stoffe zu man-<lb/> chem ſehr kecken Relief. Allein das Keckere mußte ſich nicht nur, gemäß<lb/> den Geſetzen einer Kunſt der greiflichen Form, auf dem Boden der Poſſe<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [464/0138]
der Entſchiedenheit, um Zweige zu begründen. Indeſſen hat jenes mehr Spiel-
raum, als dieſes; äußerlich tritt es im Coloſſalen hervor.
Der §. zieht nur aus Solchem, was ſchon ausgeführt iſt, das Er-
gebniß, indem er einen weitern Eintheilungsgrund für die Kunſtzweige
aus §. 540, den dieſer auf §. 402 gründete, aufnimmt. Daß das Er-
habene eine größere Rolle ſpielt, als das Komiſche, hat darin ſeinen
Grund, daß ſein Prozeß, wie aus der Metaphyſik des Schönen hervor-
geht, ein weniger verwickelter, weniger geiſtig reflectirter iſt, als der des
Komiſchen. Wir haben geſehen, wie es als Erhabenes der Kraft, der
mehr ſinnlichen Erregung, der tieferen Leidenſchaft, des Charakters auf-
tritt; in den Scenen tiefen Leidens, im Conflicte mit ewigen Mächten
erhebt es ſich auch zum Tragiſchen; allein nicht nur bleibt ihm die ganze
Unendlichkeit geiſtiger Höhe und Tiefe verſchloſſen, welche der mittelal-
terlichen und noch mehr der modernen Welt der geiſtigen Innerlichkeit
ſich aufgethan hat, ſondern auch der claſſiſchen Tragödie konnte die Plaſtik
nicht in alle Formen des Schrecklichen folgen, z. B. nicht in das Ganze des
Seelenleidens eines Oedipus. Daß das Erhabene in den äußern Maa-
ßen der Kunſtdarſtellung als Erhabenes des Raums ſich geltend macht,
iſt in §. 609 erörtert, und ſoweit mag der Gegenſatz zwiſchen ihm und
dem einfach Schönen gewiſſermaßen als ein Zweigbegründender gefaßt
werden, als dadurch das Coloſſale und nicht Coloſſale unterſchieden wird.
Das Weſentliche aber bleibt die Rückführung ſelbſt des Furchtbarſten zur
anmuthsvollen Schönheits-Linie des einfach Schönen; dieſes Stylgeſetz iſt
ſtärker, als der ſächliche Gegenſatz des Schönen und Erhabenen, der
ebendeßwegen nicht hier eine geſchloſſene Gattung anmuthiger, dort eine
geſchloſſene Gattung erhabener Werke mit der Beſtimmtheit eines Unter-
ſchieds von Zweigen entwickeln kann. Das Komiſche hat ebenfalls ver-
ſchiedene Stufen; im bacchiſchen Kreiſe, auf den es ſich im Alterthum
hauptſächlich warf, tritt es in den Satyrn gewöhnlich nur als gedämpf-
ter, fein gemilderter Anſtrich von Gemeinheit, als fühlbarere Rohheit in
einer derberen Form der Satyrn, wie dem betrunken ſchlafenden, Wein-
dunſt ſchwer ausathmenden barberiniſchen, noch gröber, wilder, entfeſſel-
ter in den Silenen, Paniſken oder eigentlichen Faunen auf. Dieß und
Aehnliches kann ein komiſches Genre genannt werden und entſpricht un-
gefähr der niederländiſchen Genremalerei; allein der Unterſchied iſt doch
ein unendlicher, wenn man bedenkt, wie hoch die Plaſtik ſelbſt dieſe
Stoffe ſtyliſirt und wie z. B. ſelbſt der barberin. Faun immer noch eine
vollkommene, eine göttliche Natur iſt. Die Komödie gab Stoffe zu man-
chem ſehr kecken Relief. Allein das Keckere mußte ſich nicht nur, gemäß
den Geſetzen einer Kunſt der greiflichen Form, auf dem Boden der Poſſe
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