von der Leidenschaft positiv unterstützt und es ist keine Gefahr, daß der erhabene Lichtgott, der so eben das Ungeheuer getödtet, im strahlenden Siegesgefühl, worin der göttliche Zorn noch über seine Befriedigung ge- mäßigt hinüberwirkt, seine Würde verliere: "von der Höhe seiner Ge- nugsamkeit geht sein erhabener Blick, wie in's Unendliche, weit über seinen Sieg hinaus; Verachtung sitzt auf seinen Lippen und der Unmuth, welchen er in sich zieht, blähet sich in den Nüstern seiner Nase und tritt bis in die stolze Stirn hinauf, aber der Friede, welcher in einer seligen Stille auf derselben schwebet, bleibt ungestört und sein Auge ist voll Süß[i]gkeit, wie unter den Musen, die ihn zu umarmen suchen" (Winkel- mann a. a. O.). Aber im negativ Pathetischen, wo alle Nerven im äußersten Schmerze zucken und im innersten, verborgenen Grunde der Wille dem Leiden entgegenwirken soll, ohne daß uns doch der Künstler auf den Boden abstracter, moderner, Kantischer Moral versetzte: da wird es schwer, das Maaß zu treffen. An dieser Grenze steht der sterbende Fechter und jene Gruppe in der Villa Ludovisi, wo der stolze Ueberwun- dene seinen und seines Weibes Tod der Knechtschaft vorzieht. Beides sind Barbaren, Kelten, die reine Linie der Schönheit ist nicht ihr Element, kann sie also nicht, wie wir dieß bei andern Stoffen finden werden, im Aeußersten vor Häßlichkeit schützen; es gilt strengen Befehl der Seele über alle niederschlagenden Affecte, dort, damit der Tod durch fremde Hand nicht zum Schauspiele schmählichen Niedertaumelns werde, hier, damit der Tod durch eigene Hand als freies Werk des Willens, nicht der blinden Verzweiflung erscheine. Aber nun sind es zwar barbarische Naturen, doch Naturen, ihr freiestes Wollen kein abstractes, sondern ein gefülltes, kernhaftes, feurig männliches: und so hält sich jener, ehe die Glieder erlahmend zusammenbrechen, noch einen Augenblick mit Helden- anstand, stählern, muskelstraff, ein eherner Mensch, zusammen, so stößt sich dieser, das stolze Haupt nach dem Feinde zurückgeworfen, kurzweg, ohne Scrupel, mit Einem ganzen Entschluß das kurze Schwert in die breite Brust. Trotz dem Mangel des griechischen Profils bewirkt nun aber allerdings auch bei solchen härteren Stoffen der Künstler die wun- derbare Mäßigung des Furchtbaren nicht allein durch den besonderen Vor- satz, im Leiden eine große, männliche Seele zu zeigen. Seine Kunst selbst bietet ihm ein System von Formen, wie sie zum Ausdruck des innern Maaßes und Gleichgewichts der Seele der plastische Styl einmal entwickelt hat; es ist die straffe Fülle, es ist der Schwung des Umrisses, der an sich schon die häßliche Zerwühlung abhält. Dieß gilt nun in seiner ganzen Bedeutung da, wo tiefes Leiden ohne diese ausdrückliche Selbstbeherrschung darzustellen ist, wo dagegen der ideale Stoff den höheren Adel der Form, das griechische Profil mit sich bringt. Hier muß
von der Leidenſchaft poſitiv unterſtützt und es iſt keine Gefahr, daß der erhabene Lichtgott, der ſo eben das Ungeheuer getödtet, im ſtrahlenden Siegesgefühl, worin der göttliche Zorn noch über ſeine Befriedigung ge- mäßigt hinüberwirkt, ſeine Würde verliere: „von der Höhe ſeiner Ge- nugſamkeit geht ſein erhabener Blick, wie in’s Unendliche, weit über ſeinen Sieg hinaus; Verachtung ſitzt auf ſeinen Lippen und der Unmuth, welchen er in ſich zieht, blähet ſich in den Nüſtern ſeiner Naſe und tritt bis in die ſtolze Stirn hinauf, aber der Friede, welcher in einer ſeligen Stille auf derſelben ſchwebet, bleibt ungeſtört und ſein Auge iſt voll Süß[i]gkeit, wie unter den Muſen, die ihn zu umarmen ſuchen“ (Winkel- mann a. a. O.). Aber im negativ Pathetiſchen, wo alle Nerven im äußerſten Schmerze zucken und im innerſten, verborgenen Grunde der Wille dem Leiden entgegenwirken ſoll, ohne daß uns doch der Künſtler auf den Boden abſtracter, moderner, Kantiſcher Moral verſetzte: da wird es ſchwer, das Maaß zu treffen. An dieſer Grenze ſteht der ſterbende Fechter und jene Gruppe in der Villa Ludoviſi, wo der ſtolze Ueberwun- dene ſeinen und ſeines Weibes Tod der Knechtſchaft vorzieht. Beides ſind Barbaren, Kelten, die reine Linie der Schönheit iſt nicht ihr Element, kann ſie alſo nicht, wie wir dieß bei andern Stoffen finden werden, im Aeußerſten vor Häßlichkeit ſchützen; es gilt ſtrengen Befehl der Seele über alle niederſchlagenden Affecte, dort, damit der Tod durch fremde Hand nicht zum Schauſpiele ſchmählichen Niedertaumelns werde, hier, damit der Tod durch eigene Hand als freies Werk des Willens, nicht der blinden Verzweiflung erſcheine. Aber nun ſind es zwar barbariſche Naturen, doch Naturen, ihr freieſtes Wollen kein abſtractes, ſondern ein gefülltes, kernhaftes, feurig männliches: und ſo hält ſich jener, ehe die Glieder erlahmend zuſammenbrechen, noch einen Augenblick mit Helden- anſtand, ſtählern, muſkelſtraff, ein eherner Menſch, zuſammen, ſo ſtößt ſich dieſer, das ſtolze Haupt nach dem Feinde zurückgeworfen, kurzweg, ohne Scrupel, mit Einem ganzen Entſchluß das kurze Schwert in die breite Bruſt. Trotz dem Mangel des griechiſchen Profils bewirkt nun aber allerdings auch bei ſolchen härteren Stoffen der Künſtler die wun- derbare Mäßigung des Furchtbaren nicht allein durch den beſonderen Vor- ſatz, im Leiden eine große, männliche Seele zu zeigen. Seine Kunſt ſelbſt bietet ihm ein Syſtem von Formen, wie ſie zum Ausdruck des innern Maaßes und Gleichgewichts der Seele der plaſtiſche Styl einmal entwickelt hat; es iſt die ſtraffe Fülle, es iſt der Schwung des Umriſſes, der an ſich ſchon die häßliche Zerwühlung abhält. Dieß gilt nun in ſeiner ganzen Bedeutung da, wo tiefes Leiden ohne dieſe ausdrückliche Selbſtbeherrſchung darzuſtellen iſt, wo dagegen der ideale Stoff den höheren Adel der Form, das griechiſche Profil mit ſich bringt. Hier muß
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von der Leidenſchaft poſitiv unterſtützt und es iſt keine Gefahr, daß der
erhabene Lichtgott, der ſo eben das Ungeheuer getödtet, im ſtrahlenden
Siegesgefühl, worin der göttliche Zorn noch über ſeine Befriedigung ge-
mäßigt hinüberwirkt, ſeine Würde verliere: „von der Höhe ſeiner Ge-
nugſamkeit geht ſein erhabener Blick, wie in’s Unendliche, weit über
ſeinen Sieg hinaus; Verachtung ſitzt auf ſeinen Lippen und der Unmuth,
welchen er in ſich zieht, blähet ſich in den Nüſtern ſeiner Naſe und tritt
bis in die ſtolze Stirn hinauf, aber der Friede, welcher in einer ſeligen
Stille auf derſelben ſchwebet, bleibt ungeſtört und ſein Auge iſt voll
Süßigkeit, wie unter den Muſen, die ihn zu umarmen ſuchen“ (Winkel-
mann a. a. O.). Aber im negativ Pathetiſchen, wo alle Nerven im
äußerſten Schmerze zucken und im innerſten, verborgenen Grunde der
Wille dem Leiden entgegenwirken ſoll, ohne daß uns doch der Künſtler
auf den Boden abſtracter, moderner, Kantiſcher Moral verſetzte: da wird
es ſchwer, das Maaß zu treffen. An dieſer Grenze ſteht der ſterbende
Fechter und jene Gruppe in der Villa Ludoviſi, wo der ſtolze Ueberwun-
dene ſeinen und ſeines Weibes Tod der Knechtſchaft vorzieht. Beides
ſind Barbaren, Kelten, die reine Linie der Schönheit iſt nicht ihr Element,
kann ſie alſo nicht, wie wir dieß bei andern Stoffen finden werden, im
Aeußerſten vor Häßlichkeit ſchützen; es gilt ſtrengen Befehl der Seele
über alle niederſchlagenden Affecte, dort, damit der Tod durch fremde
Hand nicht zum Schauſpiele ſchmählichen Niedertaumelns werde, hier,
damit der Tod durch eigene Hand als freies Werk des Willens, nicht
der blinden Verzweiflung erſcheine. Aber nun ſind es zwar barbariſche
Naturen, doch Naturen, ihr freieſtes Wollen kein abſtractes, ſondern ein
gefülltes, kernhaftes, feurig männliches: und ſo hält ſich jener, ehe die
Glieder erlahmend zuſammenbrechen, noch einen Augenblick mit Helden-
anſtand, ſtählern, muſkelſtraff, ein eherner Menſch, zuſammen, ſo ſtößt
ſich dieſer, das ſtolze Haupt nach dem Feinde zurückgeworfen, kurzweg,
ohne Scrupel, mit Einem ganzen Entſchluß das kurze Schwert in die
breite Bruſt. Trotz dem Mangel des griechiſchen Profils bewirkt nun
aber allerdings auch bei ſolchen härteren Stoffen der Künſtler die wun-
derbare Mäßigung des Furchtbaren nicht allein durch den beſonderen Vor-
ſatz, im Leiden eine große, männliche Seele zu zeigen. Seine Kunſt
ſelbſt bietet ihm ein Syſtem von Formen, wie ſie zum Ausdruck des
innern Maaßes und Gleichgewichts der Seele der plaſtiſche Styl einmal
entwickelt hat; es iſt die ſtraffe Fülle, es iſt der Schwung des Umriſſes,
der an ſich ſchon die häßliche Zerwühlung abhält. Dieß gilt nun in ſeiner
ganzen Bedeutung da, wo tiefes Leiden ohne dieſe ausdrückliche
Selbſtbeherrſchung darzuſtellen iſt, wo dagegen der ideale Stoff den
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/107>, abgerufen am 30.07.2024.
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