die Enge des Spielraums, der in einer Kunst dem Häßlichen gelassen ist, welche so beschränkte Mittel besitzt, es ästhetisch aufzulösen. Nun sind wir an der Stelle angekommen, wo sich zeigen muß, was jenes Qualitative ist, wodurch die an sich ganz zulässige Darstellung des schlecht- hin Momentanen (§. 613) und der heftigsten Bewegung (§. 622) zum unplastisch Häßlichen wird: es ist ein Aeußerstes der Leidenschaft, d. h. derjenige Grad, worin die Seele völlig aus ihrem Centrum gerissen, also jene Gediegenheit, jenes sichere Insichruhen, jener ethische Schwerpunct eines substantiellen Charakters (vergl. §. 605) verloren und an die Stelle jenes Beisichbleibens im Einlassen in Anderes das Verlorensein seiner selbst getreten ist. Verboten ist nicht das Augenblickliche an sich, sondern das, dessen Anblick nur einen Augenblick erträglich ist. Da erst entsteht ein Widerspruch zwischen dem absolut Flüchtigen und der Feßlung im dauern- den Material. Im Aeußern muß sich der absolute Affect als ein Krampf der Verzerrung darstellen: statt einer "vielstimmigen Harmonie der Kräfte, statt einer nie endenden Kreisbewegung ein einziger schreiender Laut, etwas Maskenartiges; die Züge werden leblos und starr und in der Haltung der ganzen Gestalt, in jeder Gebärde erscheint die Bewegung nur wie das Zucken, die Ruhe wie die Erstarrung eines willenlosen Krampfes" (Feuerbach a. a. O. S. 60. 61). Wo nun der Moment eines höchsten Ausbruchs so beschaffen ist, da ist natürlich die nächste Auskunft, ihn überhaupt zu vermeiden und den Augenblick vorher oder nachher zu wählen; hier erst hat diese Vorschrift, die wir zu §. 613 als eine vorzeitige auftreten sehen, ihre Geltung. In Griechenland ver- fuhr auch der Maler, plastisch keusch, gerne nach ihr: die Medea des Malers Timomachus kämpft noch mit sich und zieht das Kindermordende Schwert unentschlossen halb aus der Scheide, sein Ajax hat die ent- ehrende That gethan; um so gewisser der Bildhauer: eine Niobe ist schon da angekommen, wo ihr die vom Mythus erzählte Versteinerung mit lösender Geister-Hand das Letzte, Aeußerste der Verzweiflung abnimmt, Laokoon hat wohl einen Augenblick vorher krampfhafter gerungen und die Rondaninische Meduse ist todt. Allein in der That ist es mit dieser Auskunft noch nicht gethan; gerade in diesen drei Beispielen sehen wir einen Moment gewählt, welcher dem Aeußersten, Verzerrenden eines schrecklichen Affects noch so nahe liegt, daß der Künstler, wenn diese Werke dennoch schön sind, offenbar dieß Heiligthum der Grazie durch andere Mittel zu retten gewußt hat, als durch das äußerliche der Wahl des Moments. Ist nun dieß zugegeben, so kann ja die Lösung der Schwierigkeit überhaupt nicht im Stoffe liegen, wir müssen die wahre Auskunft im Kunststyle suchen; seines Zaubers mächtig mag nun der Künstler jenen äußerlichen Ausweg geradezu ganz aufgeben, und er thut
die Enge des Spielraums, der in einer Kunſt dem Häßlichen gelaſſen iſt, welche ſo beſchränkte Mittel beſitzt, es äſthetiſch aufzulöſen. Nun ſind wir an der Stelle angekommen, wo ſich zeigen muß, was jenes Qualitative iſt, wodurch die an ſich ganz zuläſſige Darſtellung des ſchlecht- hin Momentanen (§. 613) und der heftigſten Bewegung (§. 622) zum unplaſtiſch Häßlichen wird: es iſt ein Aeußerſtes der Leidenſchaft, d. h. derjenige Grad, worin die Seele völlig aus ihrem Centrum geriſſen, alſo jene Gediegenheit, jenes ſichere Inſichruhen, jener ethiſche Schwerpunct eines ſubſtantiellen Charakters (vergl. §. 605) verloren und an die Stelle jenes Beiſichbleibens im Einlaſſen in Anderes das Verlorenſein ſeiner ſelbſt getreten iſt. Verboten iſt nicht das Augenblickliche an ſich, ſondern das, deſſen Anblick nur einen Augenblick erträglich iſt. Da erſt entſteht ein Widerſpruch zwiſchen dem abſolut Flüchtigen und der Feßlung im dauern- den Material. Im Aeußern muß ſich der abſolute Affect als ein Krampf der Verzerrung darſtellen: ſtatt einer „vielſtimmigen Harmonie der Kräfte, ſtatt einer nie endenden Kreisbewegung ein einziger ſchreiender Laut, etwas Maskenartiges; die Züge werden leblos und ſtarr und in der Haltung der ganzen Geſtalt, in jeder Gebärde erſcheint die Bewegung nur wie das Zucken, die Ruhe wie die Erſtarrung eines willenloſen Krampfes“ (Feuerbach a. a. O. S. 60. 61). Wo nun der Moment eines höchſten Ausbruchs ſo beſchaffen iſt, da iſt natürlich die nächſte Auskunft, ihn überhaupt zu vermeiden und den Augenblick vorher oder nachher zu wählen; hier erſt hat dieſe Vorſchrift, die wir zu §. 613 als eine vorzeitige auftreten ſehen, ihre Geltung. In Griechenland ver- fuhr auch der Maler, plaſtiſch keuſch, gerne nach ihr: die Medea des Malers Timomachus kämpft noch mit ſich und zieht das Kindermordende Schwert unentſchloſſen halb aus der Scheide, ſein Ajax hat die ent- ehrende That gethan; um ſo gewiſſer der Bildhauer: eine Niobe iſt ſchon da angekommen, wo ihr die vom Mythus erzählte Verſteinerung mit löſender Geiſter-Hand das Letzte, Aeußerſte der Verzweiflung abnimmt, Laokoon hat wohl einen Augenblick vorher krampfhafter gerungen und die Rondaniniſche Meduſe iſt todt. Allein in der That iſt es mit dieſer Auskunft noch nicht gethan; gerade in dieſen drei Beiſpielen ſehen wir einen Moment gewählt, welcher dem Aeußerſten, Verzerrenden eines ſchrecklichen Affects noch ſo nahe liegt, daß der Künſtler, wenn dieſe Werke dennoch ſchön ſind, offenbar dieß Heiligthum der Grazie durch andere Mittel zu retten gewußt hat, als durch das äußerliche der Wahl des Moments. Iſt nun dieß zugegeben, ſo kann ja die Löſung der Schwierigkeit überhaupt nicht im Stoffe liegen, wir müſſen die wahre Auskunft im Kunſtſtyle ſuchen; ſeines Zaubers mächtig mag nun der Künſtler jenen äußerlichen Ausweg geradezu ganz aufgeben, und er thut
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die Enge des Spielraums, der in einer Kunſt dem Häßlichen gelaſſen
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ſind wir an der Stelle angekommen, wo ſich zeigen muß, was jenes
Qualitative iſt, wodurch die an ſich ganz zuläſſige Darſtellung des ſchlecht-
hin Momentanen (§. 613) und der heftigſten Bewegung (§. 622) zum
unplaſtiſch Häßlichen wird: es iſt ein Aeußerſtes der Leidenſchaft, d. h.
derjenige Grad, worin die Seele völlig aus ihrem Centrum geriſſen, alſo
jene Gediegenheit, jenes ſichere Inſichruhen, jener ethiſche Schwerpunct
eines ſubſtantiellen Charakters (vergl. §. 605) verloren und an die Stelle
jenes Beiſichbleibens im Einlaſſen in Anderes das Verlorenſein ſeiner
ſelbſt getreten iſt. Verboten iſt nicht das Augenblickliche an ſich, ſondern
das, deſſen Anblick nur einen Augenblick erträglich iſt. Da erſt entſteht
ein Widerſpruch zwiſchen dem abſolut Flüchtigen und der Feßlung im dauern-
den Material. Im Aeußern muß ſich der abſolute Affect als ein Krampf
der Verzerrung darſtellen: ſtatt einer „vielſtimmigen Harmonie der Kräfte,
ſtatt einer nie endenden Kreisbewegung ein einziger ſchreiender Laut,
etwas Maskenartiges; die Züge werden leblos und ſtarr und in der
Haltung der ganzen Geſtalt, in jeder Gebärde erſcheint die Bewegung
nur wie das Zucken, die Ruhe wie die Erſtarrung eines willenloſen
Krampfes“ (Feuerbach a. a. O. S. 60. 61). Wo nun der Moment
eines höchſten Ausbruchs ſo beſchaffen iſt, da iſt natürlich die nächſte
Auskunft, ihn überhaupt zu vermeiden und den Augenblick vorher oder
nachher zu wählen; hier erſt hat dieſe Vorſchrift, die wir zu §. 613
als eine vorzeitige auftreten ſehen, ihre Geltung. In Griechenland ver-
fuhr auch der Maler, plaſtiſch keuſch, gerne nach ihr: die Medea des
Malers Timomachus kämpft noch mit ſich und zieht das Kindermordende
Schwert unentſchloſſen halb aus der Scheide, ſein Ajax hat die ent-
ehrende That gethan; um ſo gewiſſer der Bildhauer: eine Niobe iſt ſchon
da angekommen, wo ihr die vom Mythus erzählte Verſteinerung mit
löſender Geiſter-Hand das Letzte, Aeußerſte der Verzweiflung abnimmt,
Laokoon hat wohl einen Augenblick vorher krampfhafter gerungen und
die Rondaniniſche Meduſe iſt todt. Allein in der That iſt es mit dieſer
Auskunft noch nicht gethan; gerade in dieſen drei Beiſpielen ſehen wir
einen Moment gewählt, welcher dem Aeußerſten, Verzerrenden eines
ſchrecklichen Affects noch ſo nahe liegt, daß der Künſtler, wenn dieſe
Werke dennoch ſchön ſind, offenbar dieß Heiligthum der Grazie durch
andere Mittel zu retten gewußt hat, als durch das äußerliche der Wahl
des Moments. Iſt nun dieß zugegeben, ſo kann ja die Löſung der
Schwierigkeit überhaupt nicht im Stoffe liegen, wir müſſen die wahre
Auskunft im Kunſtſtyle ſuchen; ſeines Zaubers mächtig mag nun der
Künſtler jenen äußerlichen Ausweg geradezu ganz aufgeben, und er thut
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/105>, abgerufen am 30.07.2024.
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