dern auch nach der Seite des Materials durch seine Abhängigkeit vom natürlichen Brechen des Gesteins. Es lassen sich freilich Steinbalken bis in die 30 Fuß Länge brechen, aber dieß bleibt mehr oder minder zufällig; die Baukunst muß suchen, Räume verschiedener Weiten überspannen zu können ohne diese Abhängigkeit und das Verharren im Steinbau ist daher nur der Beweis, daß sich dieses Streben noch nicht eingestellt hat. Daß übrigens der Zufall des Gesteinbruchs auch hier zum ästhetischen Motiv werden kann, leuchtet ein: große Quader, große Balken, wo sie sich brechen lassen, bestimmen den Künstler zu energischeren Formen, als kleine. -- Jenes künstliche Material nun ist der zum Ziegel gebrannte Lehm. Abgesehen von dem Zwecke freierer Gliederung ist es zunächst der Stein-Mangel, der dieses Material (auch durch bloße Trocknung an der Luft gehärtet) hervorbringt. So in Assyrien, so in steinarmen Gegenden überall. Große Härte und Dauerhaftigkeit läßt sich ihm geben, in der Form, Größe, Fügungsweise läßt es große Freiheit zu, es ist bekannt, wie man jetzt z. B. ganze Fensterfüllungen zu Kirchen aus Einem Stück herstellt; der Mörtel verbindet die Theile zu ungemein festen Massen. Für die tragenden Haupttheile wird der Stein mit der sichtbaren Fügung seiner massigen Blöcke günstiger sein, der sich dann in der Wölbung (und Dachdeckung) mit dem Backstein verbindet. Bloßer Backstein-Bau setzt, wie der Holzbau, wenn er sich zu monumentaler Bedeutung erheben soll, allerdings den entwickelten Steinbau voraus, wie er aber in steinarmem Lande die Noth in eine Tugend verwandeln kann, ist schon zu §. 518 berührt. Wir führen noch an, wie die nöthige Sparsamkeit zu Gliede- rungen im gothischen Bau geführt, welche das Prinzip der Theilung in fungirende und blos verschließende Masse in höchst belebter Weise auch auf die Mauer des Wohnhauses übergetragen haben, wo denn zwischen Pilaster-artigen stärkeren Körpern die mittleren Felder mit den Fenstern als bloße Füllung erscheinen (vergl. die schönen Häuser aus Greifswalde und Elbing in Kallenbachs Atlas); wenn hier ornamentartige Theile zu tragenden, widerhaltenden sich entwickeln, so werden umgekehrt tragende, wie die kleinen Wölbungen, die über wagrechte Thür- und Fensterstürze gesetzt sind, zu Ornamenten. Im Uebrigen ist durch schwerere Brennung und leichtere Verbröcklung des aus der Linie Heraustretenden im Orna- mente Mäßigkeit geboten, was namentlich bei der wuchernden gothischen Ornamentik als heilsam erkannt ist. Was nun die Oberfläche betrifft, so läßt sich der Backstein besonders leicht für polychromischen Schmuck ver- kleiden; allein er bedarf es keineswegs, gerade hier liegt vielmehr noch ein wichtiger Punct, der uns auch zum natürlichen Steine noch einmal zurückführt. Der Backstein läßt sich noch abgesehen von der Farbe durch die Fügungsweise zu einer in mannigfaltiger Zeichnung an Stickerei
dern auch nach der Seite des Materials durch ſeine Abhängigkeit vom natürlichen Brechen des Geſteins. Es laſſen ſich freilich Steinbalken bis in die 30 Fuß Länge brechen, aber dieß bleibt mehr oder minder zufällig; die Baukunſt muß ſuchen, Räume verſchiedener Weiten überſpannen zu können ohne dieſe Abhängigkeit und das Verharren im Steinbau iſt daher nur der Beweis, daß ſich dieſes Streben noch nicht eingeſtellt hat. Daß übrigens der Zufall des Geſteinbruchs auch hier zum äſthetiſchen Motiv werden kann, leuchtet ein: große Quader, große Balken, wo ſie ſich brechen laſſen, beſtimmen den Künſtler zu energiſcheren Formen, als kleine. — Jenes künſtliche Material nun iſt der zum Ziegel gebrannte Lehm. Abgeſehen von dem Zwecke freierer Gliederung iſt es zunächſt der Stein-Mangel, der dieſes Material (auch durch bloße Trocknung an der Luft gehärtet) hervorbringt. So in Aſſyrien, ſo in ſteinarmen Gegenden überall. Große Härte und Dauerhaftigkeit läßt ſich ihm geben, in der Form, Größe, Fügungsweiſe läßt es große Freiheit zu, es iſt bekannt, wie man jetzt z. B. ganze Fenſterfüllungen zu Kirchen aus Einem Stück herſtellt; der Mörtel verbindet die Theile zu ungemein feſten Maſſen. Für die tragenden Haupttheile wird der Stein mit der ſichtbaren Fügung ſeiner maſſigen Blöcke günſtiger ſein, der ſich dann in der Wölbung (und Dachdeckung) mit dem Backſtein verbindet. Bloßer Backſtein-Bau ſetzt, wie der Holzbau, wenn er ſich zu monumentaler Bedeutung erheben ſoll, allerdings den entwickelten Steinbau voraus, wie er aber in ſteinarmem Lande die Noth in eine Tugend verwandeln kann, iſt ſchon zu §. 518 berührt. Wir führen noch an, wie die nöthige Sparſamkeit zu Gliede- rungen im gothiſchen Bau geführt, welche das Prinzip der Theilung in fungirende und blos verſchließende Maſſe in höchſt belebter Weiſe auch auf die Mauer des Wohnhauſes übergetragen haben, wo denn zwiſchen Pilaſter-artigen ſtärkeren Körpern die mittleren Felder mit den Fenſtern als bloße Füllung erſcheinen (vergl. die ſchönen Häuſer aus Greifswalde und Elbing in Kallenbachs Atlas); wenn hier ornamentartige Theile zu tragenden, widerhaltenden ſich entwickeln, ſo werden umgekehrt tragende, wie die kleinen Wölbungen, die über wagrechte Thür- und Fenſterſtürze geſetzt ſind, zu Ornamenten. Im Uebrigen iſt durch ſchwerere Brennung und leichtere Verbröcklung des aus der Linie Heraustretenden im Orna- mente Mäßigkeit geboten, was namentlich bei der wuchernden gothiſchen Ornamentik als heilſam erkannt iſt. Was nun die Oberfläche betrifft, ſo läßt ſich der Backſtein beſonders leicht für polychromiſchen Schmuck ver- kleiden; allein er bedarf es keineswegs, gerade hier liegt vielmehr noch ein wichtiger Punct, der uns auch zum natürlichen Steine noch einmal zurückführt. Der Backſtein läßt ſich noch abgeſehen von der Farbe durch die Fügungsweiſe zu einer in mannigfaltiger Zeichnung an Stickerei
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[214/0054]
dern auch nach der Seite des Materials durch ſeine Abhängigkeit vom
natürlichen Brechen des Geſteins. Es laſſen ſich freilich Steinbalken bis
in die 30 Fuß Länge brechen, aber dieß bleibt mehr oder minder zufällig;
die Baukunſt muß ſuchen, Räume verſchiedener Weiten überſpannen zu
können ohne dieſe Abhängigkeit und das Verharren im Steinbau iſt daher
nur der Beweis, daß ſich dieſes Streben noch nicht eingeſtellt hat. Daß
übrigens der Zufall des Geſteinbruchs auch hier zum äſthetiſchen Motiv
werden kann, leuchtet ein: große Quader, große Balken, wo ſie ſich
brechen laſſen, beſtimmen den Künſtler zu energiſcheren Formen, als
kleine. — Jenes künſtliche Material nun iſt der zum Ziegel gebrannte
Lehm. Abgeſehen von dem Zwecke freierer Gliederung iſt es zunächſt der
Stein-Mangel, der dieſes Material (auch durch bloße Trocknung an der
Luft gehärtet) hervorbringt. So in Aſſyrien, ſo in ſteinarmen Gegenden
überall. Große Härte und Dauerhaftigkeit läßt ſich ihm geben, in der
Form, Größe, Fügungsweiſe läßt es große Freiheit zu, es iſt bekannt,
wie man jetzt z. B. ganze Fenſterfüllungen zu Kirchen aus Einem Stück
herſtellt; der Mörtel verbindet die Theile zu ungemein feſten Maſſen.
Für die tragenden Haupttheile wird der Stein mit der ſichtbaren Fügung
ſeiner maſſigen Blöcke günſtiger ſein, der ſich dann in der Wölbung (und
Dachdeckung) mit dem Backſtein verbindet. Bloßer Backſtein-Bau ſetzt, wie
der Holzbau, wenn er ſich zu monumentaler Bedeutung erheben ſoll,
allerdings den entwickelten Steinbau voraus, wie er aber in ſteinarmem
Lande die Noth in eine Tugend verwandeln kann, iſt ſchon zu §. 518
berührt. Wir führen noch an, wie die nöthige Sparſamkeit zu Gliede-
rungen im gothiſchen Bau geführt, welche das Prinzip der Theilung in
fungirende und blos verſchließende Maſſe in höchſt belebter Weiſe auch
auf die Mauer des Wohnhauſes übergetragen haben, wo denn zwiſchen
Pilaſter-artigen ſtärkeren Körpern die mittleren Felder mit den Fenſtern
als bloße Füllung erſcheinen (vergl. die ſchönen Häuſer aus Greifswalde
und Elbing in Kallenbachs Atlas); wenn hier ornamentartige Theile zu
tragenden, widerhaltenden ſich entwickeln, ſo werden umgekehrt tragende,
wie die kleinen Wölbungen, die über wagrechte Thür- und Fenſterſtürze
geſetzt ſind, zu Ornamenten. Im Uebrigen iſt durch ſchwerere Brennung
und leichtere Verbröcklung des aus der Linie Heraustretenden im Orna-
mente Mäßigkeit geboten, was namentlich bei der wuchernden gothiſchen
Ornamentik als heilſam erkannt iſt. Was nun die Oberfläche betrifft, ſo
läßt ſich der Backſtein beſonders leicht für polychromiſchen Schmuck ver-
kleiden; allein er bedarf es keineswegs, gerade hier liegt vielmehr noch
ein wichtiger Punct, der uns auch zum natürlichen Steine noch einmal
zurückführt. Der Backſtein läßt ſich noch abgeſehen von der Farbe durch
die Fügungsweiſe zu einer in mannigfaltiger Zeichnung an Stickerei
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/54>, abgerufen am 16.07.2024.
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