Oblongum gespannt; daß in dem Bau, von dem hier die Rede ist, der Sophien-Kirche in Constantinopel, an die zwei andern Seiten sich Räume legen, die mit Kreuzgewölben überdeckt sind (wie in jener polygonischen Grundform der Umgang um das mittlere Rund mit einem Tonnengewölbe), beweist nur das Unbestimmte des tastenden Suchens, denn diese Räume, die man entfernt mit Seitenschiffen vergleichen kann, bilden kein Con- tinuum und der Hauptraum hat diese tiefere Gliederung der Decke eben nicht. Die Kuppel und die Halbkuppeln (an die größeren wieder kleinere angelegt) treten hier im Aeußern hervor, während sie in jenem Polygon- bau noch überdacht sind: dieß ist wieder mehr Zugeständniß an den Außenbau, während übrigens Vorhof und Vorhalle den reichen Innenbau dort wie hier nach außen kundgeben; aber es tritt ein Aufgehäuftes, un- klar Aufgeschupptes in diesen steigenden Anlagerungen vor das Auge, das eben auch einen dunkel suchenden, thürmenden Geist ausspricht. Anderswo (auf den griechischen Inseln) wird ein einfaches Oblongum kofferförmig mit einem Tonnengewölbe bedeckt; es tritt aber auch eine reichere Form auf: der Grundriß zeigt ein griechisches Kreuz mit vier fast oder ganz gleichen Armen, die Kuppel in der Mitte, die Arme mit Tonnengewölbe gedeckt, mit außen sichtbarer oder (wie in Nazario e Celso in Ravenna) bedachter Kuppel, oder es tritt außer der Hauptkuppel auf jeden der vier Arme eine kleine Kuppel (Apostelkirche in Constantinopel, häufig im späteren byzantinischen Reiche, in Italien noch in der Marcus-Kirche beibehalten); ja der unbestimmte Drang, der doch die wahre Form in der Anwendung des Kreuzgewölbes nicht finden kann, übersetzt alle Nebenräume mit kleinen Kuppeln. Auch auf dem einfachen Quadrate bringt man mehrere Kuppeln an und bildet durch diese ein Kreuz, indem man vier kleinere um eine größere stellt. In Rußland bürgert sich neben einer Form, wo vier Kuppeln auf den Ecken eines Quadrats stehen, die Grundform eines Kreuzes mit fünf Kuppeln stehend ein. -- Alle diese verschiedenen Bildungen nun sind ihrer Anlage nach concentrisch. Aber der Altar stand nicht im Centrum (außer in der Apostelkirche in Constantinopel); er trat an die östliche Seite dem Eingang gegenüber in die Apsis, die auch diesen Bauten nicht fehlte. Das war nun ein Widerspruch, denn die Anlage des Ganzen weist auf den Mittelpunct des Kreises, der geistige Mittelpunct aber be- findet sich an einer der Seiten. Die Symbolik der weltlichen überspannen- den Macht in der Kuppel will sich noch nicht hergeben zum Uebergang in eine Form, die sich als jene "Bahn zum Tische des Herrn" darstellt; gleichsam ein Bild der Cäsareopapie. Reicher Schmuck von Mosaik, Goldgrund, Marmor, Malerei erhöht die Pracht dieser Bauten, aber die architektonische Ornamentik ist auch hier nicht weiter entwickelt, sondern wiederholt nur die alten römisch-griechischen Formen. Nur erst schwach
Oblongum geſpannt; daß in dem Bau, von dem hier die Rede iſt, der Sophien-Kirche in Conſtantinopel, an die zwei andern Seiten ſich Räume legen, die mit Kreuzgewölben überdeckt ſind (wie in jener polygoniſchen Grundform der Umgang um das mittlere Rund mit einem Tonnengewölbe), beweist nur das Unbeſtimmte des taſtenden Suchens, denn dieſe Räume, die man entfernt mit Seitenſchiffen vergleichen kann, bilden kein Con- tinuum und der Hauptraum hat dieſe tiefere Gliederung der Decke eben nicht. Die Kuppel und die Halbkuppeln (an die größeren wieder kleinere angelegt) treten hier im Aeußern hervor, während ſie in jenem Polygon- bau noch überdacht ſind: dieß iſt wieder mehr Zugeſtändniß an den Außenbau, während übrigens Vorhof und Vorhalle den reichen Innenbau dort wie hier nach außen kundgeben; aber es tritt ein Aufgehäuftes, un- klar Aufgeſchupptes in dieſen ſteigenden Anlagerungen vor das Auge, das eben auch einen dunkel ſuchenden, thürmenden Geiſt ausſpricht. Anderswo (auf den griechiſchen Inſeln) wird ein einfaches Oblongum kofferförmig mit einem Tonnengewölbe bedeckt; es tritt aber auch eine reichere Form auf: der Grundriß zeigt ein griechiſches Kreuz mit vier faſt oder ganz gleichen Armen, die Kuppel in der Mitte, die Arme mit Tonnengewölbe gedeckt, mit außen ſichtbarer oder (wie in Nazario e Celſo in Ravenna) bedachter Kuppel, oder es tritt außer der Hauptkuppel auf jeden der vier Arme eine kleine Kuppel (Apoſtelkirche in Conſtantinopel, häufig im ſpäteren byzantiniſchen Reiche, in Italien noch in der Marcus-Kirche beibehalten); ja der unbeſtimmte Drang, der doch die wahre Form in der Anwendung des Kreuzgewölbes nicht finden kann, überſetzt alle Nebenräume mit kleinen Kuppeln. Auch auf dem einfachen Quadrate bringt man mehrere Kuppeln an und bildet durch dieſe ein Kreuz, indem man vier kleinere um eine größere ſtellt. In Rußland bürgert ſich neben einer Form, wo vier Kuppeln auf den Ecken eines Quadrats ſtehen, die Grundform eines Kreuzes mit fünf Kuppeln ſtehend ein. — Alle dieſe verſchiedenen Bildungen nun ſind ihrer Anlage nach concentriſch. Aber der Altar ſtand nicht im Centrum (außer in der Apoſtelkirche in Conſtantinopel); er trat an die öſtliche Seite dem Eingang gegenüber in die Apſis, die auch dieſen Bauten nicht fehlte. Das war nun ein Widerſpruch, denn die Anlage des Ganzen weist auf den Mittelpunct des Kreiſes, der geiſtige Mittelpunct aber be- findet ſich an einer der Seiten. Die Symbolik der weltlichen überſpannen- den Macht in der Kuppel will ſich noch nicht hergeben zum Uebergang in eine Form, die ſich als jene „Bahn zum Tiſche des Herrn“ darſtellt; gleichſam ein Bild der Cäſareopapie. Reicher Schmuck von Moſaik, Goldgrund, Marmor, Malerei erhöht die Pracht dieſer Bauten, aber die architektoniſche Ornamentik iſt auch hier nicht weiter entwickelt, ſondern wiederholt nur die alten römiſch-griechiſchen Formen. Nur erſt ſchwach
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><p><pbfacs="#f0142"n="302"/><hirendition="#et">Oblongum geſpannt; daß in dem Bau, von dem hier die Rede iſt, der<lb/>
Sophien-Kirche in Conſtantinopel, an die zwei andern Seiten ſich Räume<lb/>
legen, die mit Kreuzgewölben überdeckt ſind (wie in jener polygoniſchen<lb/>
Grundform der Umgang um das mittlere Rund mit einem Tonnengewölbe),<lb/>
beweist nur das Unbeſtimmte des taſtenden Suchens, denn dieſe Räume,<lb/>
die man entfernt mit Seitenſchiffen vergleichen kann, bilden kein Con-<lb/>
tinuum und der Hauptraum hat dieſe tiefere Gliederung der Decke eben<lb/>
nicht. Die Kuppel und die Halbkuppeln (an die größeren wieder kleinere<lb/>
angelegt) treten hier im Aeußern hervor, während ſie in jenem Polygon-<lb/>
bau noch überdacht ſind: dieß iſt wieder mehr Zugeſtändniß an den<lb/>
Außenbau, während übrigens Vorhof und Vorhalle den reichen Innenbau<lb/>
dort wie hier nach außen kundgeben; aber es tritt ein Aufgehäuftes, un-<lb/>
klar Aufgeſchupptes in dieſen ſteigenden Anlagerungen vor das Auge, das<lb/>
eben auch einen dunkel ſuchenden, thürmenden Geiſt ausſpricht. Anderswo<lb/>
(auf den griechiſchen Inſeln) wird ein einfaches Oblongum kofferförmig<lb/>
mit einem Tonnengewölbe bedeckt; es tritt aber auch eine reichere Form<lb/>
auf: der Grundriß zeigt ein griechiſches Kreuz mit vier faſt oder ganz<lb/>
gleichen Armen, die Kuppel in der Mitte, die Arme mit Tonnengewölbe<lb/>
gedeckt, mit außen ſichtbarer oder (wie in Nazario e Celſo in Ravenna)<lb/>
bedachter Kuppel, oder es tritt außer der Hauptkuppel auf jeden der vier Arme<lb/>
eine kleine Kuppel (Apoſtelkirche in Conſtantinopel, häufig im ſpäteren<lb/>
byzantiniſchen Reiche, in Italien noch in der Marcus-Kirche beibehalten);<lb/>
ja der unbeſtimmte Drang, der doch die wahre Form in der Anwendung<lb/>
des Kreuzgewölbes nicht finden kann, überſetzt alle Nebenräume mit kleinen<lb/>
Kuppeln. Auch auf dem einfachen Quadrate bringt man mehrere Kuppeln<lb/>
an und bildet durch dieſe ein Kreuz, indem man vier kleinere um eine<lb/>
größere ſtellt. In Rußland bürgert ſich neben einer Form, wo vier<lb/>
Kuppeln auf den Ecken eines Quadrats ſtehen, die Grundform eines<lb/>
Kreuzes mit fünf Kuppeln ſtehend ein. — Alle dieſe verſchiedenen Bildungen<lb/>
nun ſind ihrer Anlage nach concentriſch. Aber der Altar ſtand nicht im<lb/>
Centrum (außer in der Apoſtelkirche in Conſtantinopel); er trat an die<lb/>
öſtliche Seite dem Eingang gegenüber in die Apſis, die auch dieſen Bauten<lb/>
nicht fehlte. Das war nun ein Widerſpruch, denn die Anlage des Ganzen<lb/>
weist auf den Mittelpunct des Kreiſes, der geiſtige Mittelpunct aber be-<lb/>
findet ſich an einer der Seiten. Die Symbolik der weltlichen überſpannen-<lb/>
den Macht in der Kuppel will ſich noch nicht hergeben zum Uebergang in<lb/>
eine Form, die ſich als jene „Bahn zum Tiſche des Herrn“ darſtellt;<lb/>
gleichſam ein Bild der <hirendition="#g">Cäſareopapie</hi>. Reicher Schmuck von Moſaik,<lb/>
Goldgrund, Marmor, Malerei erhöht die Pracht dieſer Bauten, aber die<lb/>
architektoniſche Ornamentik iſt auch hier nicht weiter entwickelt, ſondern<lb/>
wiederholt nur die alten römiſch-griechiſchen Formen. Nur erſt ſchwach<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[302/0142]
Oblongum geſpannt; daß in dem Bau, von dem hier die Rede iſt, der
Sophien-Kirche in Conſtantinopel, an die zwei andern Seiten ſich Räume
legen, die mit Kreuzgewölben überdeckt ſind (wie in jener polygoniſchen
Grundform der Umgang um das mittlere Rund mit einem Tonnengewölbe),
beweist nur das Unbeſtimmte des taſtenden Suchens, denn dieſe Räume,
die man entfernt mit Seitenſchiffen vergleichen kann, bilden kein Con-
tinuum und der Hauptraum hat dieſe tiefere Gliederung der Decke eben
nicht. Die Kuppel und die Halbkuppeln (an die größeren wieder kleinere
angelegt) treten hier im Aeußern hervor, während ſie in jenem Polygon-
bau noch überdacht ſind: dieß iſt wieder mehr Zugeſtändniß an den
Außenbau, während übrigens Vorhof und Vorhalle den reichen Innenbau
dort wie hier nach außen kundgeben; aber es tritt ein Aufgehäuftes, un-
klar Aufgeſchupptes in dieſen ſteigenden Anlagerungen vor das Auge, das
eben auch einen dunkel ſuchenden, thürmenden Geiſt ausſpricht. Anderswo
(auf den griechiſchen Inſeln) wird ein einfaches Oblongum kofferförmig
mit einem Tonnengewölbe bedeckt; es tritt aber auch eine reichere Form
auf: der Grundriß zeigt ein griechiſches Kreuz mit vier faſt oder ganz
gleichen Armen, die Kuppel in der Mitte, die Arme mit Tonnengewölbe
gedeckt, mit außen ſichtbarer oder (wie in Nazario e Celſo in Ravenna)
bedachter Kuppel, oder es tritt außer der Hauptkuppel auf jeden der vier Arme
eine kleine Kuppel (Apoſtelkirche in Conſtantinopel, häufig im ſpäteren
byzantiniſchen Reiche, in Italien noch in der Marcus-Kirche beibehalten);
ja der unbeſtimmte Drang, der doch die wahre Form in der Anwendung
des Kreuzgewölbes nicht finden kann, überſetzt alle Nebenräume mit kleinen
Kuppeln. Auch auf dem einfachen Quadrate bringt man mehrere Kuppeln
an und bildet durch dieſe ein Kreuz, indem man vier kleinere um eine
größere ſtellt. In Rußland bürgert ſich neben einer Form, wo vier
Kuppeln auf den Ecken eines Quadrats ſtehen, die Grundform eines
Kreuzes mit fünf Kuppeln ſtehend ein. — Alle dieſe verſchiedenen Bildungen
nun ſind ihrer Anlage nach concentriſch. Aber der Altar ſtand nicht im
Centrum (außer in der Apoſtelkirche in Conſtantinopel); er trat an die
öſtliche Seite dem Eingang gegenüber in die Apſis, die auch dieſen Bauten
nicht fehlte. Das war nun ein Widerſpruch, denn die Anlage des Ganzen
weist auf den Mittelpunct des Kreiſes, der geiſtige Mittelpunct aber be-
findet ſich an einer der Seiten. Die Symbolik der weltlichen überſpannen-
den Macht in der Kuppel will ſich noch nicht hergeben zum Uebergang in
eine Form, die ſich als jene „Bahn zum Tiſche des Herrn“ darſtellt;
gleichſam ein Bild der Cäſareopapie. Reicher Schmuck von Moſaik,
Goldgrund, Marmor, Malerei erhöht die Pracht dieſer Bauten, aber die
architektoniſche Ornamentik iſt auch hier nicht weiter entwickelt, ſondern
wiederholt nur die alten römiſch-griechiſchen Formen. Nur erſt ſchwach
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/142>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.