Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
thore, Propyläen führten zu den bedeutendsten Tempeln (Parthenon,
thore, Propyläen führten zu den bedeutendſten Tempeln (Parthenon, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0104" n="264"/> thore, Propyläen führten zu den bedeutendſten Tempeln (Parthenon,<lb/> Tempel in Eleuſis u. and.). Im Mittelalter dehnen ſich Prieſterwoh-<lb/> nungen zu Abteien, Klöſtern aus; dieſe geſelligen Clauſuren für Solche,<lb/> die ſich der Aſceſe dieſer Zeit gewidmet, ſind aber zugleich Wiegen un-<lb/> entwickelter Wiſſenſchaft und Kunſt und entſprechen nach dieſer Seite den<lb/> Gebäuden für dieſen Zweig, den Univerſitätshäuſern, Akademieen. Sie<lb/> haben nach innen ihre Oeffentlichkeit, die ſich in der an das antike Peri-<lb/> ſtyl erinnernden Halle des Kreuzgangs darſtellt. Kapitelſaal und Refec-<lb/> torium ſind die Rathhaus- und Palaſtähnlichen Feſträume. Baptiſterien,<lb/> Kapellen, Grabkirchen geſellen ſich ferner zum Dome des Mittelalters. —<lb/> Blicken wir nun auf die Gebäude-Arten §. 575 zurück und überſchauen<lb/> wir, wie ſie in einer natürlichen Reihe zu dem Tempel führen, ſo ſehen<lb/> wir in dieſem ihren Gipfel und Mittelpunct, der ſich, unbeſchadet ein-<lb/> zelner abgeſonderter Tempelbauten, nicht nur mit den Räumen und Ge-<lb/> bäuden der ausdrücklichen Oeffentlichkeit, ſondern auch mit den bedeutendſten<lb/> jener für Einzelzwecke beſtimmten Bauwerke zuſammengruppirt. In Rom<lb/> ſtand der höchſte Nationaltempel auf dem Capitol unmittelbar am Forum,<lb/> in Athen, verbunden mit dem Theater und hochwichtigen Heiligthümern<lb/> an und auf der Akropolis, ebenfalls unmittelbar an der Agora, wo ja<lb/> auch der Areopag ſich befand. Wie im Dorfe der Kirchthurm idylliſch als<lb/> Hirte der Heerde erſcheint, ſo iſt nun der Tempel auch räumlich zu einem<lb/> Mittelpuncte geworden, der, mit den wichtigſten öffentlichen Gebäuden<lb/> vereinigt, die Maſſe der Privathäuſer ſich unterordnet, ihnen ihre höchſte<lb/> Idealität, mit dem Markt u. ſ. w. ihren abſoluten Feſtraum und Feſt-<lb/> ſaal gibt. Dieß muß das Haupt-Augenmerk für die höchſte, cykliſche<lb/> Aufgabe, den Städtebau, ſein. Von der andern Seite macht ſich aber<lb/> hier in ihrem ganzen Gewichte die Rückſicht auf die umgebende Natur in<lb/> der Beziehung der Geſundheit (Licht, Luft, Waſſer) Sicherheit und Schön-<lb/> heit (Höhe und Thal, Fluß, Meer, Vegetation) geltend. Die Alten bil-<lb/> deten zwar ein Ideal einer regelmäßigen Stadt aus, orientaliſche Städte,<lb/> wie Babylon, waren ganz ſyſtematiſch angelegt, aber ſelten iſt dem Bau-<lb/> meiſter die Aufgabe eines Stadtbaus rein gegeben: Zufall und Inſtinct<lb/> bilden die Anfänge, die Kunſt findet in dem Gegebenen oft ein abſolutes<lb/> Hinderniß, oft höchſt fördernde Motive. Wo Zufall und Inſtinct glücklich<lb/> gegriffen, die Kunſt edel nachgewirkt, entſtehen die wahrhaft lebendigen<lb/> Städtebilder mit hiſtoriſchem Charakter. Iſt aber die Aufgabe rein ge-<lb/> ſtellt, ſo muß künſtleriſche Verbindung von Regelmäßigkeit und mit Rück-<lb/> ſicht auf große und ſchöne Natur zu gewinnende Mannigfaltigkeit das<lb/> Ziel ſein; die geradlinigten, öden Reſidenzſtädte, die namentlich das vorige<lb/> Jahrhundert abſtract auf den Sand hinſtellte, ſind traurige Denkmale<lb/> unfruchtbarer Willkühr.</hi> </p> </div> </div><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [264/0104]
thore, Propyläen führten zu den bedeutendſten Tempeln (Parthenon,
Tempel in Eleuſis u. and.). Im Mittelalter dehnen ſich Prieſterwoh-
nungen zu Abteien, Klöſtern aus; dieſe geſelligen Clauſuren für Solche,
die ſich der Aſceſe dieſer Zeit gewidmet, ſind aber zugleich Wiegen un-
entwickelter Wiſſenſchaft und Kunſt und entſprechen nach dieſer Seite den
Gebäuden für dieſen Zweig, den Univerſitätshäuſern, Akademieen. Sie
haben nach innen ihre Oeffentlichkeit, die ſich in der an das antike Peri-
ſtyl erinnernden Halle des Kreuzgangs darſtellt. Kapitelſaal und Refec-
torium ſind die Rathhaus- und Palaſtähnlichen Feſträume. Baptiſterien,
Kapellen, Grabkirchen geſellen ſich ferner zum Dome des Mittelalters. —
Blicken wir nun auf die Gebäude-Arten §. 575 zurück und überſchauen
wir, wie ſie in einer natürlichen Reihe zu dem Tempel führen, ſo ſehen
wir in dieſem ihren Gipfel und Mittelpunct, der ſich, unbeſchadet ein-
zelner abgeſonderter Tempelbauten, nicht nur mit den Räumen und Ge-
bäuden der ausdrücklichen Oeffentlichkeit, ſondern auch mit den bedeutendſten
jener für Einzelzwecke beſtimmten Bauwerke zuſammengruppirt. In Rom
ſtand der höchſte Nationaltempel auf dem Capitol unmittelbar am Forum,
in Athen, verbunden mit dem Theater und hochwichtigen Heiligthümern
an und auf der Akropolis, ebenfalls unmittelbar an der Agora, wo ja
auch der Areopag ſich befand. Wie im Dorfe der Kirchthurm idylliſch als
Hirte der Heerde erſcheint, ſo iſt nun der Tempel auch räumlich zu einem
Mittelpuncte geworden, der, mit den wichtigſten öffentlichen Gebäuden
vereinigt, die Maſſe der Privathäuſer ſich unterordnet, ihnen ihre höchſte
Idealität, mit dem Markt u. ſ. w. ihren abſoluten Feſtraum und Feſt-
ſaal gibt. Dieß muß das Haupt-Augenmerk für die höchſte, cykliſche
Aufgabe, den Städtebau, ſein. Von der andern Seite macht ſich aber
hier in ihrem ganzen Gewichte die Rückſicht auf die umgebende Natur in
der Beziehung der Geſundheit (Licht, Luft, Waſſer) Sicherheit und Schön-
heit (Höhe und Thal, Fluß, Meer, Vegetation) geltend. Die Alten bil-
deten zwar ein Ideal einer regelmäßigen Stadt aus, orientaliſche Städte,
wie Babylon, waren ganz ſyſtematiſch angelegt, aber ſelten iſt dem Bau-
meiſter die Aufgabe eines Stadtbaus rein gegeben: Zufall und Inſtinct
bilden die Anfänge, die Kunſt findet in dem Gegebenen oft ein abſolutes
Hinderniß, oft höchſt fördernde Motive. Wo Zufall und Inſtinct glücklich
gegriffen, die Kunſt edel nachgewirkt, entſtehen die wahrhaft lebendigen
Städtebilder mit hiſtoriſchem Charakter. Iſt aber die Aufgabe rein ge-
ſtellt, ſo muß künſtleriſche Verbindung von Regelmäßigkeit und mit Rück-
ſicht auf große und ſchöne Natur zu gewinnende Mannigfaltigkeit das
Ziel ſein; die geradlinigten, öden Reſidenzſtädte, die namentlich das vorige
Jahrhundert abſtract auf den Sand hinſtellte, ſind traurige Denkmale
unfruchtbarer Willkühr.
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