und Ende habe, damit sie wie Ein ganzes lebendiges Wesen das ihr eigenthümliche Vergnügen bewirke. Unter der Mitte, welche hier zwischen die in der ersten Stelle unterschiedenen zwei Theile tritt, kann nichts Anderes verstanden sein, als der Gipfel der Schürzung auf dem Punkte, wo der Umschwung eintritt, dem nun die Vorbereitung vorangeht und die Lösung nachfolgt. Allein diese Mitte ist so reich, daß sie sich in mehrere Momente zerlegen muß: der Anfang ist die gegebene Situation mit dem Keime der Collision, nun müßen sich diese Keime entfalten, verwickeln, der Kampf muß ausbrechen, seine Höhe erreichen und dann erst erfolgt der Umschwung. Dieß ist die ansteigende Linie, von welcher der §. spricht. Steigt diese Linie rascher an, so kann es dagegen durch die Idee des Kunstwerks gefordert sein, daß die absteigende Linie, welche von der Katastrophe zum Schluße führen muß, langsamer sinke, der Zuschauer bei der Lösung mehr verweile. In der Tragödie begründet diese an- und abstei- gende Linie zwischen Anfang und Mitte und Mitte und Ende sehr naturgemäß mit jenen 3 Hauptmomenten 5 Acte und die Katastrophe fällt entweder in den vierten oder fünften. Dieß ist nun aber ein ganz natürliches orga- nisches Zahlenverhältniß, das sich am menschlichen Organismus in den 5 Fingern und Zehen ausspricht, und so stellt dieser überhaupt und ähn- lich der thierische Leib den Fortschritt von 2 zu 3 und zu 5 ganz einfach in seinen Grundverhältnissen dar, wie Thiersch nachweist: die 2 in der symmetrischen Theilung in 2 gleiche Seiten, in dem Gegensatze von Leib und Haupt oder von Haupt mit Rumpf als dem Getragenen und den Füßen als Tragendem; die 3 in Haupt, Rumpf, Füßen, am Haupt für sich in Kinn mit Mund, Nase mit Backen, Augen mit Stirne, am Rumpf in Unterleib, Brust mit Schulter, Hals, in den drei Hebeln der Bewe- gungsorgane im Großen (Armen und Beinen) und wieder an der Hand in Knöchel, Handfläche, Fingern, am Fuße in Ferse, Fläche, Zehe, endlich in den drei Gelenken der Finger und Zehen, an denen dann die genannte 5 eintritt: diese Theilung der Bewegungsorgane entspricht dem dreifachen Zwecke des Bewegens, Biegens, Greifens (Festhaltens, Abschnellens). In jeder physischen Bewegung weist er drei Momente nach; im Organismus der Pflanze findet er die 2 in Wurzel mit Stamm und Krone, die 3, wenn Wurzel und Stamm unterschieden werden, und selbst im landschaftlichen Leben überhaupt unterscheidet er in Erde und Himmel die 2, in Fläche, Berg und Himmel die 3 u. s. w.; dieselben Momente sucht er im geistigen Prozesse nachzuweisen, worauf wir nicht weiter eingehen, da wir die tiefere und bestimmtere Ent- wicklung derselben durch die neuere Philosophie hier überhaupt als bekannt voraussetzen. Wir sind von der höchsten Kunstform aus- gegangen und haben uns von da zu Naturformen abgesehen von
und Ende habe, damit ſie wie Ein ganzes lebendiges Weſen das ihr eigenthümliche Vergnügen bewirke. Unter der Mitte, welche hier zwiſchen die in der erſten Stelle unterſchiedenen zwei Theile tritt, kann nichts Anderes verſtanden ſein, als der Gipfel der Schürzung auf dem Punkte, wo der Umſchwung eintritt, dem nun die Vorbereitung vorangeht und die Löſung nachfolgt. Allein dieſe Mitte iſt ſo reich, daß ſie ſich in mehrere Momente zerlegen muß: der Anfang iſt die gegebene Situation mit dem Keime der Colliſion, nun müßen ſich dieſe Keime entfalten, verwickeln, der Kampf muß ausbrechen, ſeine Höhe erreichen und dann erſt erfolgt der Umſchwung. Dieß iſt die anſteigende Linie, von welcher der §. ſpricht. Steigt dieſe Linie raſcher an, ſo kann es dagegen durch die Idee des Kunſtwerks gefordert ſein, daß die abſteigende Linie, welche von der Kataſtrophe zum Schluße führen muß, langſamer ſinke, der Zuſchauer bei der Löſung mehr verweile. In der Tragödie begründet dieſe an- und abſtei- gende Linie zwiſchen Anfang und Mitte und Mitte und Ende ſehr naturgemäß mit jenen 3 Hauptmomenten 5 Acte und die Kataſtrophe fällt entweder in den vierten oder fünften. Dieß iſt nun aber ein ganz natürliches orga- niſches Zahlenverhältniß, das ſich am menſchlichen Organismus in den 5 Fingern und Zehen ausſpricht, und ſo ſtellt dieſer überhaupt und ähn- lich der thieriſche Leib den Fortſchritt von 2 zu 3 und zu 5 ganz einfach in ſeinen Grundverhältniſſen dar, wie Thierſch nachweist: die 2 in der ſymmetriſchen Theilung in 2 gleiche Seiten, in dem Gegenſatze von Leib und Haupt oder von Haupt mit Rumpf als dem Getragenen und den Füßen als Tragendem; die 3 in Haupt, Rumpf, Füßen, am Haupt für ſich in Kinn mit Mund, Naſe mit Backen, Augen mit Stirne, am Rumpf in Unterleib, Bruſt mit Schulter, Hals, in den drei Hebeln der Bewe- gungsorgane im Großen (Armen und Beinen) und wieder an der Hand in Knöchel, Handfläche, Fingern, am Fuße in Ferſe, Fläche, Zehe, endlich in den drei Gelenken der Finger und Zehen, an denen dann die genannte 5 eintritt: dieſe Theilung der Bewegungsorgane entſpricht dem dreifachen Zwecke des Bewegens, Biegens, Greifens (Feſthaltens, Abſchnellens). In jeder phyſiſchen Bewegung weist er drei Momente nach; im Organismus der Pflanze findet er die 2 in Wurzel mit Stamm und Krone, die 3, wenn Wurzel und Stamm unterſchieden werden, und ſelbſt im landſchaftlichen Leben überhaupt unterſcheidet er in Erde und Himmel die 2, in Fläche, Berg und Himmel die 3 u. ſ. w.; dieſelben Momente ſucht er im geiſtigen Prozeſſe nachzuweiſen, worauf wir nicht weiter eingehen, da wir die tiefere und beſtimmtere Ent- wicklung derſelben durch die neuere Philoſophie hier überhaupt als bekannt vorausſetzen. Wir ſind von der höchſten Kunſtform aus- gegangen und haben uns von da zu Naturformen abgeſehen von
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[50/0062]
und Ende habe, damit ſie wie Ein ganzes lebendiges Weſen das ihr
eigenthümliche Vergnügen bewirke. Unter der Mitte, welche hier zwiſchen
die in der erſten Stelle unterſchiedenen zwei Theile tritt, kann nichts
Anderes verſtanden ſein, als der Gipfel der Schürzung auf dem Punkte,
wo der Umſchwung eintritt, dem nun die Vorbereitung vorangeht und die
Löſung nachfolgt. Allein dieſe Mitte iſt ſo reich, daß ſie ſich in mehrere
Momente zerlegen muß: der Anfang iſt die gegebene Situation mit dem
Keime der Colliſion, nun müßen ſich dieſe Keime entfalten, verwickeln,
der Kampf muß ausbrechen, ſeine Höhe erreichen und dann erſt erfolgt
der Umſchwung. Dieß iſt die anſteigende Linie, von welcher der §.
ſpricht. Steigt dieſe Linie raſcher an, ſo kann es dagegen durch die Idee
des Kunſtwerks gefordert ſein, daß die abſteigende Linie, welche von der
Kataſtrophe zum Schluße führen muß, langſamer ſinke, der Zuſchauer bei
der Löſung mehr verweile. In der Tragödie begründet dieſe an- und abſtei-
gende Linie zwiſchen Anfang und Mitte und Mitte und Ende ſehr naturgemäß
mit jenen 3 Hauptmomenten 5 Acte und die Kataſtrophe fällt entweder in
den vierten oder fünften. Dieß iſt nun aber ein ganz natürliches orga-
niſches Zahlenverhältniß, das ſich am menſchlichen Organismus in den
5 Fingern und Zehen ausſpricht, und ſo ſtellt dieſer überhaupt und ähn-
lich der thieriſche Leib den Fortſchritt von 2 zu 3 und zu 5 ganz einfach
in ſeinen Grundverhältniſſen dar, wie Thierſch nachweist: die 2 in der
ſymmetriſchen Theilung in 2 gleiche Seiten, in dem Gegenſatze von Leib
und Haupt oder von Haupt mit Rumpf als dem Getragenen und den
Füßen als Tragendem; die 3 in Haupt, Rumpf, Füßen, am Haupt für
ſich in Kinn mit Mund, Naſe mit Backen, Augen mit Stirne, am Rumpf
in Unterleib, Bruſt mit Schulter, Hals, in den drei Hebeln der Bewe-
gungsorgane im Großen (Armen und Beinen) und wieder an der Hand
in Knöchel, Handfläche, Fingern, am Fuße in Ferſe, Fläche, Zehe, endlich
in den drei Gelenken der Finger und Zehen, an denen dann die genannte
5 eintritt: dieſe Theilung der Bewegungsorgane entſpricht dem dreifachen
Zwecke des Bewegens, Biegens, Greifens (Feſthaltens, Abſchnellens).
In jeder phyſiſchen Bewegung weist er drei Momente nach; im
Organismus der Pflanze findet er die 2 in Wurzel mit Stamm
und Krone, die 3, wenn Wurzel und Stamm unterſchieden werden,
und ſelbſt im landſchaftlichen Leben überhaupt unterſcheidet er in
Erde und Himmel die 2, in Fläche, Berg und Himmel die 3 u. ſ. w.;
dieſelben Momente ſucht er im geiſtigen Prozeſſe nachzuweiſen, worauf
wir nicht weiter eingehen, da wir die tiefere und beſtimmtere Ent-
wicklung derſelben durch die neuere Philoſophie hier überhaupt als
bekannt vorausſetzen. Wir ſind von der höchſten Kunſtform aus-
gegangen und haben uns von da zu Naturformen abgeſehen von
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/62>, abgerufen am 16.07.2024.
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