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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

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auf auch abgesehen vom Erhabenen und Komischen. Es liegt demselben die
einfache Wahrheit zu Grunde, daß das, was Jedes ist, in sein volles
Licht erst tritt, wenn durch Gegenüberstellung klar wird, was es nicht und
was sein Gegentheil ist. Diese Wahrheit ist in dem erst inneren Bilde,
wo Alles wie unter einem Flor ineinander verschwimmt, noch nicht in
Kraft. Die allgemeine Accentverschärfung, die nun eintreten, dieser
verstärkte Druck, der, auf die Einzelbilder geworfen, sie durch Gegenspannung
herausheben soll, dieser Antagonismus, den wir Contrast nennen, hat
nun selbst wieder verschiedene Stufen. Für die weniger starke Form des
Contrastes wissen wir keine andere allgemeine Bezeichnung zu finden, als:
Contrast des Unterschieds; nur einzelne bestimmte Gebiete bieten die
erläuternde Terminologie. Wir nehmen hier als höchst belehrendes Beispiel
das Farbengebiet. Contrast des Unterschieds bedeutet den Contrast der
Töne Einer Farbe und der Schattirungen verwandter, d. h. im Farbenkreis
sich nahe liegender Farben (wogegen Contrast des Gegensatzes die
Gegenwirkung der Hauptfarben bedeutet); also z. B. die gegenseitige
Hebung, die dadurch eintritt, daß Hell- und Dunkelgrün oder Gelbgrün
und Blaugrün zusammengestellt wird. Die Farbe ist ein abstractes
Moment im Schönen; in allem concret Schönen wird der Unterschied
des Grades zugleich ein qualitativer, also Tonverschiedenheit zugleich
Schattirungs-Verschiedenheit seyn. Wir könnten nun die ganze Reihe der
Künste durchwandeln und an Beispielen die Bedeutung dieser ersten Stufe
des Contrastgesetzes nachweisen; wir deuten aber nur mit einem Worte
auf die belebenden Contraste innerhalb derselben Hauptlinie in der Bau-
kunst (z. B. die Theile des dorischen Gebälks), auf die contrastirenden
Lagen der Glieder in der Einzelstatue der Plastik hin: z. B. daß der eine
Arm gehoben, der andere gesenkt ist, daß keine Statue auf beiden Füßen
mit gleichem Gewichte steht u. s. w. In der Gruppe wird die Sache
klarer; man denke z. B. an die beiden Söhne Laokoons und ihren milden
Contrast, indem der eine schon verloren, der andere noch nicht verwundet
ist, mit der freien Hand die Schlange abzustreifen sucht und die Seele
noch frei hat, um voll Mitleid und Schrecken zum Vater aufzusehen; der
Contrast beider Söhne gegen den Vater ist stärker, läßt sich aber doch
auch noch unter der milderen Form befassen. In der Malerei stelle man
sich z. B. den verschiedenen Ausdruck desselben Affects in einer Darstellung
des bethlehemitischen Kindermords, zusammenwirkend mit dem Farben-
Unterschied, vor; daß die Musik die reichsten Belege liefert, leuchtet ein,
wir machen aber nur auf den gleichzeitigen Vortrag einer Melodie durch
verwandte Instrumente und Stimmen, namentlich auf das Verhältniß
zwischen Baß und Tenor, Alt und Discant hin und verweilen etwas mehr
bei der Poesie, und zwar der dramatischen, wo Shakespeare, dieser noch

auf auch abgeſehen vom Erhabenen und Komiſchen. Es liegt demſelben die
einfache Wahrheit zu Grunde, daß das, was Jedes iſt, in ſein volles
Licht erſt tritt, wenn durch Gegenüberſtellung klar wird, was es nicht und
was ſein Gegentheil iſt. Dieſe Wahrheit iſt in dem erſt inneren Bilde,
wo Alles wie unter einem Flor ineinander verſchwimmt, noch nicht in
Kraft. Die allgemeine Accentverſchärfung, die nun eintreten, dieſer
verſtärkte Druck, der, auf die Einzelbilder geworfen, ſie durch Gegenſpannung
herausheben ſoll, dieſer Antagonismus, den wir Contraſt nennen, hat
nun ſelbſt wieder verſchiedene Stufen. Für die weniger ſtarke Form des
Contraſtes wiſſen wir keine andere allgemeine Bezeichnung zu finden, als:
Contraſt des Unterſchieds; nur einzelne beſtimmte Gebiete bieten die
erläuternde Terminologie. Wir nehmen hier als höchſt belehrendes Beiſpiel
das Farbengebiet. Contraſt des Unterſchieds bedeutet den Contraſt der
Töne Einer Farbe und der Schattirungen verwandter, d. h. im Farbenkreis
ſich nahe liegender Farben (wogegen Contraſt des Gegenſatzes die
Gegenwirkung der Hauptfarben bedeutet); alſo z. B. die gegenſeitige
Hebung, die dadurch eintritt, daß Hell- und Dunkelgrün oder Gelbgrün
und Blaugrün zuſammengeſtellt wird. Die Farbe iſt ein abſtractes
Moment im Schönen; in allem concret Schönen wird der Unterſchied
des Grades zugleich ein qualitativer, alſo Tonverſchiedenheit zugleich
Schattirungs-Verſchiedenheit ſeyn. Wir könnten nun die ganze Reihe der
Künſte durchwandeln und an Beiſpielen die Bedeutung dieſer erſten Stufe
des Contraſtgeſetzes nachweiſen; wir deuten aber nur mit einem Worte
auf die belebenden Contraſte innerhalb derſelben Hauptlinie in der Bau-
kunſt (z. B. die Theile des doriſchen Gebälks), auf die contraſtirenden
Lagen der Glieder in der Einzelſtatue der Plaſtik hin: z. B. daß der eine
Arm gehoben, der andere geſenkt iſt, daß keine Statue auf beiden Füßen
mit gleichem Gewichte ſteht u. ſ. w. In der Gruppe wird die Sache
klarer; man denke z. B. an die beiden Söhne Laokoons und ihren milden
Contraſt, indem der eine ſchon verloren, der andere noch nicht verwundet
iſt, mit der freien Hand die Schlange abzuſtreifen ſucht und die Seele
noch frei hat, um voll Mitleid und Schrecken zum Vater aufzuſehen; der
Contraſt beider Söhne gegen den Vater iſt ſtärker, läßt ſich aber doch
auch noch unter der milderen Form befaſſen. In der Malerei ſtelle man
ſich z. B. den verſchiedenen Ausdruck deſſelben Affects in einer Darſtellung
des bethlehemitiſchen Kindermords, zuſammenwirkend mit dem Farben-
Unterſchied, vor; daß die Muſik die reichſten Belege liefert, leuchtet ein,
wir machen aber nur auf den gleichzeitigen Vortrag einer Melodie durch
verwandte Inſtrumente und Stimmen, namentlich auf das Verhältniß
zwiſchen Baß und Tenor, Alt und Diſcant hin und verweilen etwas mehr
bei der Poeſie, und zwar der dramatiſchen, wo Shakespeare, dieſer noch

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[34/0046] auf auch abgeſehen vom Erhabenen und Komiſchen. Es liegt demſelben die einfache Wahrheit zu Grunde, daß das, was Jedes iſt, in ſein volles Licht erſt tritt, wenn durch Gegenüberſtellung klar wird, was es nicht und was ſein Gegentheil iſt. Dieſe Wahrheit iſt in dem erſt inneren Bilde, wo Alles wie unter einem Flor ineinander verſchwimmt, noch nicht in Kraft. Die allgemeine Accentverſchärfung, die nun eintreten, dieſer verſtärkte Druck, der, auf die Einzelbilder geworfen, ſie durch Gegenſpannung herausheben ſoll, dieſer Antagonismus, den wir Contraſt nennen, hat nun ſelbſt wieder verſchiedene Stufen. Für die weniger ſtarke Form des Contraſtes wiſſen wir keine andere allgemeine Bezeichnung zu finden, als: Contraſt des Unterſchieds; nur einzelne beſtimmte Gebiete bieten die erläuternde Terminologie. Wir nehmen hier als höchſt belehrendes Beiſpiel das Farbengebiet. Contraſt des Unterſchieds bedeutet den Contraſt der Töne Einer Farbe und der Schattirungen verwandter, d. h. im Farbenkreis ſich nahe liegender Farben (wogegen Contraſt des Gegenſatzes die Gegenwirkung der Hauptfarben bedeutet); alſo z. B. die gegenſeitige Hebung, die dadurch eintritt, daß Hell- und Dunkelgrün oder Gelbgrün und Blaugrün zuſammengeſtellt wird. Die Farbe iſt ein abſtractes Moment im Schönen; in allem concret Schönen wird der Unterſchied des Grades zugleich ein qualitativer, alſo Tonverſchiedenheit zugleich Schattirungs-Verſchiedenheit ſeyn. Wir könnten nun die ganze Reihe der Künſte durchwandeln und an Beiſpielen die Bedeutung dieſer erſten Stufe des Contraſtgeſetzes nachweiſen; wir deuten aber nur mit einem Worte auf die belebenden Contraſte innerhalb derſelben Hauptlinie in der Bau- kunſt (z. B. die Theile des doriſchen Gebälks), auf die contraſtirenden Lagen der Glieder in der Einzelſtatue der Plaſtik hin: z. B. daß der eine Arm gehoben, der andere geſenkt iſt, daß keine Statue auf beiden Füßen mit gleichem Gewichte ſteht u. ſ. w. In der Gruppe wird die Sache klarer; man denke z. B. an die beiden Söhne Laokoons und ihren milden Contraſt, indem der eine ſchon verloren, der andere noch nicht verwundet iſt, mit der freien Hand die Schlange abzuſtreifen ſucht und die Seele noch frei hat, um voll Mitleid und Schrecken zum Vater aufzuſehen; der Contraſt beider Söhne gegen den Vater iſt ſtärker, läßt ſich aber doch auch noch unter der milderen Form befaſſen. In der Malerei ſtelle man ſich z. B. den verſchiedenen Ausdruck deſſelben Affects in einer Darſtellung des bethlehemitiſchen Kindermords, zuſammenwirkend mit dem Farben- Unterſchied, vor; daß die Muſik die reichſten Belege liefert, leuchtet ein, wir machen aber nur auf den gleichzeitigen Vortrag einer Melodie durch verwandte Inſtrumente und Stimmen, namentlich auf das Verhältniß zwiſchen Baß und Tenor, Alt und Diſcant hin und verweilen etwas mehr bei der Poeſie, und zwar der dramatiſchen, wo Shakespeare, dieſer noch

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/46>, abgerufen am 24.11.2024.