Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.Daß die hier aufgeführten Nebenzweige nicht rein ästhetisch sind, 11**
Daß die hier aufgeführten Nebenzweige nicht rein äſthetiſch ſind, 11**
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0181" n="169"/> <p> <hi rendition="#et">Daß die hier aufgeführten Nebenzweige nicht rein äſthetiſch ſind,<lb/> bedarf nach den Auseinanderſetzungen des erſten Theils keines Wortes<lb/> mehr. Die Haupt-Stellen ſind zu §. 545 ſchon angegeben; es kommt<lb/> hier das Verhältniß zum Guten, zur Religion und zum Wahren §. 65—69.<lb/> 76—78 in Betracht. Das Gute iſt dort als ein dem Schönen Voraus-<lb/> geſetztes früher aufgeſtellt, das Wahre folgt als höhere Sphäre über dem-<lb/> ſelben. Die Religion kann hier mit dem Guten zuſammengefaßt werden,<lb/> denn wenn die Kunſt ihr dient, ſo thut ſie es nur, um ſie als Hebel des<lb/> Sittlichen zu verſtärken. Ebendieſe Bedeutung hat nun aber das dienende<lb/> Verhältniß der Kunſt zum Wahren, denn im unendlichen Wechſel-Ueber-<lb/> gang aller Kräfte des Lebens ſetzt ſich der reine Auszug einer<lb/> Geſammtſumme von Thaten und Zuſtänden, die Idee, wieder in Wille<lb/> und Thun um und nur auf den ſo gewendeten Gedanken bezieht ſich die<lb/> Kunſt, ſofern ſie einmal aus dem Gebiete des abſoluten Geiſtes herab-<lb/> ſteigt, ihre Elemente auflöst und die getrennte Form dem Wahren als<lb/> Mittel leiht; es gibt keine rein didaktiſche Kunſt, ſelbſt die Gedichte über<lb/> die Urſache des Uebels und die beſte Welt wollen nicht blos belehren,<lb/> ſondern beſſern. Wenn aber die Kunſt auch wirklich die Abſicht, rein zu<lb/> belehren, nicht unwillkürlich in die feurigere, auf den Willen zu wirken,<lb/> verwandeln müßte, ſo würde ihr dennoch durch dieſe Richtung, obwohl<lb/> die rein gedachte Wahrheit höher iſt, als die Kunſt, keine höhere Würde<lb/> zuwachſen, ſondern es bliebe dabei, daß ſie durch dieſe Miſchung nur<lb/> eine anhängende Form hervorbringt, wie §. 78, <hi rendition="#sub">2.</hi> bewieſen iſt, und<lb/> dazu kommt noch, daß die belehrende Kunſt nicht das reine und ganze<lb/> Wiſſen, das über den Gegenſätzen ſteht, ſondern nur ein Bruchſtück des<lb/> Wiſſens vortragen kann, das, der Wirklichkeit als einer nicht entſprechen-<lb/> den gegenübergeſtellt, blos relative Wahrheit iſt und ſo als Inhalt mit<lb/> dem Schönen äußerlich verbunden dieſes in ſeine Relativität mit hinein-<lb/> zieht. Es iſt übrigens nur die höchſte Gattung der bildenden Kunſt und die<lb/> Poeſie, welche in dieſer Richtung auf einen geiſtigen Zweck das Gebiet<lb/> des rein Schönen ſo beſtimmt überſchreiten, daß eigene Zwitterformen<lb/> entſtehen. Die Architektur und Muſik kann nicht dociren, dieß erhellt<lb/> aus dem individualitätsloſen Charaktere dieſer Künſte. Die Plaſtik thut<lb/> dieſen Schritt in den ſog. Chargen; dieſer Uebertritt iſt aber viel zu<lb/> unbeſtimmt, liegt viel zu weit über den Charakter einer ſo ſtreng gediegenen<lb/> Kunſt hinaus, als daß dabei irgend zu verweilen wäre. Daß übrigens<lb/> auch die Malerei ſich in dem Gebiete der Miſchung des Schönen mit<lb/> dem Wahren und Guten weniger ausbreiten könne, als die Poeſie, geht<lb/> daraus von ſelbſt hervor, daß ſie eine ſtumme Kunſt iſt. Nur mit Zwang<lb/> kann ſie didaktiſch verfahren, tendenziös und ſatyriſch aber ſehr wohl.<lb/> Was nun die nähern Beſtimmungen des §. über dieſes Zwittergebiet</hi><lb/> <fw place="bottom" type="sig">11**</fw><lb/> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [169/0181]
Daß die hier aufgeführten Nebenzweige nicht rein äſthetiſch ſind,
bedarf nach den Auseinanderſetzungen des erſten Theils keines Wortes
mehr. Die Haupt-Stellen ſind zu §. 545 ſchon angegeben; es kommt
hier das Verhältniß zum Guten, zur Religion und zum Wahren §. 65—69.
76—78 in Betracht. Das Gute iſt dort als ein dem Schönen Voraus-
geſetztes früher aufgeſtellt, das Wahre folgt als höhere Sphäre über dem-
ſelben. Die Religion kann hier mit dem Guten zuſammengefaßt werden,
denn wenn die Kunſt ihr dient, ſo thut ſie es nur, um ſie als Hebel des
Sittlichen zu verſtärken. Ebendieſe Bedeutung hat nun aber das dienende
Verhältniß der Kunſt zum Wahren, denn im unendlichen Wechſel-Ueber-
gang aller Kräfte des Lebens ſetzt ſich der reine Auszug einer
Geſammtſumme von Thaten und Zuſtänden, die Idee, wieder in Wille
und Thun um und nur auf den ſo gewendeten Gedanken bezieht ſich die
Kunſt, ſofern ſie einmal aus dem Gebiete des abſoluten Geiſtes herab-
ſteigt, ihre Elemente auflöst und die getrennte Form dem Wahren als
Mittel leiht; es gibt keine rein didaktiſche Kunſt, ſelbſt die Gedichte über
die Urſache des Uebels und die beſte Welt wollen nicht blos belehren,
ſondern beſſern. Wenn aber die Kunſt auch wirklich die Abſicht, rein zu
belehren, nicht unwillkürlich in die feurigere, auf den Willen zu wirken,
verwandeln müßte, ſo würde ihr dennoch durch dieſe Richtung, obwohl
die rein gedachte Wahrheit höher iſt, als die Kunſt, keine höhere Würde
zuwachſen, ſondern es bliebe dabei, daß ſie durch dieſe Miſchung nur
eine anhängende Form hervorbringt, wie §. 78, 2. bewieſen iſt, und
dazu kommt noch, daß die belehrende Kunſt nicht das reine und ganze
Wiſſen, das über den Gegenſätzen ſteht, ſondern nur ein Bruchſtück des
Wiſſens vortragen kann, das, der Wirklichkeit als einer nicht entſprechen-
den gegenübergeſtellt, blos relative Wahrheit iſt und ſo als Inhalt mit
dem Schönen äußerlich verbunden dieſes in ſeine Relativität mit hinein-
zieht. Es iſt übrigens nur die höchſte Gattung der bildenden Kunſt und die
Poeſie, welche in dieſer Richtung auf einen geiſtigen Zweck das Gebiet
des rein Schönen ſo beſtimmt überſchreiten, daß eigene Zwitterformen
entſtehen. Die Architektur und Muſik kann nicht dociren, dieß erhellt
aus dem individualitätsloſen Charaktere dieſer Künſte. Die Plaſtik thut
dieſen Schritt in den ſog. Chargen; dieſer Uebertritt iſt aber viel zu
unbeſtimmt, liegt viel zu weit über den Charakter einer ſo ſtreng gediegenen
Kunſt hinaus, als daß dabei irgend zu verweilen wäre. Daß übrigens
auch die Malerei ſich in dem Gebiete der Miſchung des Schönen mit
dem Wahren und Guten weniger ausbreiten könne, als die Poeſie, geht
daraus von ſelbſt hervor, daß ſie eine ſtumme Kunſt iſt. Nur mit Zwang
kann ſie didaktiſch verfahren, tendenziös und ſatyriſch aber ſehr wohl.
Was nun die nähern Beſtimmungen des §. über dieſes Zwittergebiet
11**
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |