reine Form, also ein von der Idee, dem Gehalte des Geistes, ganz durch- drungenes Bild soll sich im Geiste dem Geist gegenüberstellen; behält er aber sich mit dem Gehalte der Idee zurück, so kann er diese nur auf vermittelte Weise zu dem Bild in Beziehung setzen. Jene Synthese (§. 389) ist daher zu subjectiv und vermittelt, der Traum aber zu objectiv und unmittelbar. Sub- jectivität, Freiheit, Bewußtsein und Objectivität, unbewußtes und nothwendiges Thun, Vermittlung und Unmittelbarkeit sollen in dem Prozesse der Erhebung des Bildes zur reinen Form in ungeschiedener Einheit wirken.
Dieser §. stellt in gedrängter Fassung heraus, was zu dem vorher- gehenden in der Anmerkung vorgebracht wurde. Schon in der Abtheilung a wurde entwickelt, daß das Bild unreif bleibt, wenn es nicht von der Ver- wechslung mit dem Gegenstande sich ganz ablöst und nur im Geiste als das seinige sich von ihm gegenübergestellt wird. Eben wenn es in diesem Sinne ganz subjectiv wird, so wird es, im Sinne innerer Gegenüberstellung, erst ganz objectiv, und ebendaher sagten wir, das Traumbild sei zu ob- jectiv: es ist dieß, weil es ebensosehr nicht objectiv genug ist, weil es zwar nicht mit dem wirklichen Gegenstande verwechselt, aber doch in voller Täu- schung, in die sich der Geist verliert, für objectiv gehalten wird. Der wache Geist behält außer dem innern Bilde zugleich den Gegenstand, um jenes mit diesem zu vergleichen, und so ist allerdings mit der vollen innern auch eine, das Bild an der Sache messende, äußere Objectivität vorhan- den; wir haben die Natur im Rücken, dürfen sie aber nicht verlieren. Die uns entstandene Forderung können wir nun auch so ausdrücken: ein waches Träumen, Traum in Wachen (wenn man nur die ganz eigentliche Be- deutung dieses Ausdrucks, die auf Somnambulismus, Wahnsinn und das einschlägige Krankheitsgebiet weist, gehörig fernhält). Ein vorläufiges Beispiel aber mag uns Göthe geben. Er wollte mit Recht seine Dichter- Natur besonders daran erkennen, daß jeder Gegenstand von vorwiegend dialektischem Inhalt ihn von jeher alsbald nöthigte, das Für und Wider an vorgestellte Personen zu vertheilen und sich innerlich eine Scene aus- zumalen, wo diese Personen lebhaft, stehend, sitzend, aufspringend, ge- sticulirend über die Sache debattirten, ja, daß er sich ebenso und nicht anders die Aufgabe zur Klarheit zu bringen wisse. Dieß ist das Verfahren des Traums, dieses sich Eingebenlassen von Gebilden, denen man doch selbst eingegeben hat, aber mit der Freiheit des wahren Bewußtseins, denn die innere Bühne geht mit dem Dichter nicht durch, die Entwicklung folgt dem vernünftigen Inhalt und wird von einem Denken, -- das sich doch keineswegs neben sein inneres Bild hinstellt, -- überwacht. Eben diese Einheit aber des Denkens, Wollens und des unbewußten, nothwendigen Thuns suchen wir erst.
reine Form, alſo ein von der Idee, dem Gehalte des Geiſtes, ganz durch- drungenes Bild ſoll ſich im Geiſte dem Geiſt gegenüberſtellen; behält er aber ſich mit dem Gehalte der Idee zurück, ſo kann er dieſe nur auf vermittelte Weiſe zu dem Bild in Beziehung ſetzen. Jene Syntheſe (§. 389) iſt daher zu ſubjectiv und vermittelt, der Traum aber zu objectiv und unmittelbar. Sub- jectivität, Freiheit, Bewußtſein und Objectivität, unbewußtes und nothwendiges Thun, Vermittlung und Unmittelbarkeit ſollen in dem Prozeſſe der Erhebung des Bildes zur reinen Form in ungeſchiedener Einheit wirken.
Dieſer §. ſtellt in gedrängter Faſſung heraus, was zu dem vorher- gehenden in der Anmerkung vorgebracht wurde. Schon in der Abtheilung a wurde entwickelt, daß das Bild unreif bleibt, wenn es nicht von der Ver- wechſlung mit dem Gegenſtande ſich ganz ablöst und nur im Geiſte als das ſeinige ſich von ihm gegenübergeſtellt wird. Eben wenn es in dieſem Sinne ganz ſubjectiv wird, ſo wird es, im Sinne innerer Gegenüberſtellung, erſt ganz objectiv, und ebendaher ſagten wir, das Traumbild ſei zu ob- jectiv: es iſt dieß, weil es ebenſoſehr nicht objectiv genug iſt, weil es zwar nicht mit dem wirklichen Gegenſtande verwechſelt, aber doch in voller Täu- ſchung, in die ſich der Geiſt verliert, für objectiv gehalten wird. Der wache Geiſt behält außer dem innern Bilde zugleich den Gegenſtand, um jenes mit dieſem zu vergleichen, und ſo iſt allerdings mit der vollen innern auch eine, das Bild an der Sache meſſende, äußere Objectivität vorhan- den; wir haben die Natur im Rücken, dürfen ſie aber nicht verlieren. Die uns entſtandene Forderung können wir nun auch ſo ausdrücken: ein waches Träumen, Traum in Wachen (wenn man nur die ganz eigentliche Be- deutung dieſes Ausdrucks, die auf Somnambuliſmus, Wahnſinn und das einſchlägige Krankheitsgebiet weist, gehörig fernhält). Ein vorläufiges Beiſpiel aber mag uns Göthe geben. Er wollte mit Recht ſeine Dichter- Natur beſonders daran erkennen, daß jeder Gegenſtand von vorwiegend dialektiſchem Inhalt ihn von jeher alsbald nöthigte, das Für und Wider an vorgeſtellte Perſonen zu vertheilen und ſich innerlich eine Scene aus- zumalen, wo dieſe Perſonen lebhaft, ſtehend, ſitzend, aufſpringend, ge- ſticulirend über die Sache debattirten, ja, daß er ſich ebenſo und nicht anders die Aufgabe zur Klarheit zu bringen wiſſe. Dieß iſt das Verfahren des Traums, dieſes ſich Eingebenlaſſen von Gebilden, denen man doch ſelbſt eingegeben hat, aber mit der Freiheit des wahren Bewußtſeins, denn die innere Bühne geht mit dem Dichter nicht durch, die Entwicklung folgt dem vernünftigen Inhalt und wird von einem Denken, — das ſich doch keineswegs neben ſein inneres Bild hinſtellt, — überwacht. Eben dieſe Einheit aber des Denkens, Wollens und des unbewußten, nothwendigen Thuns ſuchen wir erſt.
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reine Form, alſo ein von der Idee, dem Gehalte des Geiſtes, ganz durch-
drungenes Bild ſoll ſich im Geiſte dem Geiſt gegenüberſtellen; behält er aber
ſich mit dem Gehalte der Idee zurück, ſo kann er dieſe nur auf vermittelte
Weiſe zu dem Bild in Beziehung ſetzen. Jene Syntheſe (§. 389) iſt daher
zu ſubjectiv und vermittelt, der Traum aber zu objectiv und unmittelbar. Sub-
jectivität, Freiheit, Bewußtſein und Objectivität, unbewußtes und nothwendiges
Thun, Vermittlung und Unmittelbarkeit ſollen in dem Prozeſſe der Erhebung
des Bildes zur reinen Form in ungeſchiedener Einheit wirken.
Dieſer §. ſtellt in gedrängter Faſſung heraus, was zu dem vorher-
gehenden in der Anmerkung vorgebracht wurde. Schon in der Abtheilung
a wurde entwickelt, daß das Bild unreif bleibt, wenn es nicht von der Ver-
wechſlung mit dem Gegenſtande ſich ganz ablöst und nur im Geiſte als
das ſeinige ſich von ihm gegenübergeſtellt wird. Eben wenn es in dieſem
Sinne ganz ſubjectiv wird, ſo wird es, im Sinne innerer Gegenüberſtellung,
erſt ganz objectiv, und ebendaher ſagten wir, das Traumbild ſei zu ob-
jectiv: es iſt dieß, weil es ebenſoſehr nicht objectiv genug iſt, weil es zwar
nicht mit dem wirklichen Gegenſtande verwechſelt, aber doch in voller Täu-
ſchung, in die ſich der Geiſt verliert, für objectiv gehalten wird. Der
wache Geiſt behält außer dem innern Bilde zugleich den Gegenſtand, um
jenes mit dieſem zu vergleichen, und ſo iſt allerdings mit der vollen innern
auch eine, das Bild an der Sache meſſende, äußere Objectivität vorhan-
den; wir haben die Natur im Rücken, dürfen ſie aber nicht verlieren. Die
uns entſtandene Forderung können wir nun auch ſo ausdrücken: ein waches
Träumen, Traum in Wachen (wenn man nur die ganz eigentliche Be-
deutung dieſes Ausdrucks, die auf Somnambuliſmus, Wahnſinn und das
einſchlägige Krankheitsgebiet weist, gehörig fernhält). Ein vorläufiges
Beiſpiel aber mag uns Göthe geben. Er wollte mit Recht ſeine Dichter-
Natur beſonders daran erkennen, daß jeder Gegenſtand von vorwiegend
dialektiſchem Inhalt ihn von jeher alsbald nöthigte, das Für und Wider
an vorgeſtellte Perſonen zu vertheilen und ſich innerlich eine Scene aus-
zumalen, wo dieſe Perſonen lebhaft, ſtehend, ſitzend, aufſpringend, ge-
ſticulirend über die Sache debattirten, ja, daß er ſich ebenſo und nicht
anders die Aufgabe zur Klarheit zu bringen wiſſe. Dieß iſt das Verfahren
des Traums, dieſes ſich Eingebenlaſſen von Gebilden, denen man doch ſelbſt
eingegeben hat, aber mit der Freiheit des wahren Bewußtſeins, denn die
innere Bühne geht mit dem Dichter nicht durch, die Entwicklung folgt dem
vernünftigen Inhalt und wird von einem Denken, — das ſich doch keineswegs
neben ſein inneres Bild hinſtellt, — überwacht. Eben dieſe Einheit aber
des Denkens, Wollens und des unbewußten, nothwendigen Thuns ſuchen
wir erſt.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/48>, abgerufen am 08.07.2024.
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