Gefangenen, den Kranken, jeden Unglücklichen in das Land des Wunsches entführt, aber auch einen Chor von verlockenden Dämonen, die Mephi- stopheles "die Kleinen von den Seinen" nennt. Der Mensch kann diesen zauberkundigen Diener in jeder Weise zu seinem Dienste verwenden und lebt durch ihn mitten im Leben immer ein zweites Leben. Der §. nennt dieß Verhältniß (nicht die eigentliche Phantasie, wie Hegel) eine Synthese. Wir gehen nämlich zunächst, ohne umzusehen, den geraden Weg, der von der Anschauung zur Phantasie führt, aber wir müßen doch den con- creten Geist, der so oder so mit Gehalt erfüllt ist, nebenherführen, die Beziehungen, in die er zu den uns getrennt vorliegenden Thätigkeiten treten kann, seitlich in's Auge fassen, um dann am rechten Punkte beide Linien zu vereinigen. In der Einbildungskraft nun gießt sich der Geist noch nicht mit seiner erfüllten Unendlichkeit in seine Bilderwelt; sie umgaukelt ihn, sie reißt ihn fort, sie dient ihm und beherrscht ihn, wie es kommt. Dieß äußerliche Verhältniß ist (bloße) Synthese.
2. In dieser Synthese ist das Verhältniß des Subjects zu seinen Bildern zunächst ein stoffartiges, eine Beziehung des Interesse's (§. 75), und die erste Form ist, wie schon berührt, das sinnliche Interesse, per- sönliche Neigung und Abneigung, Begierde und Abscheu. Jeder weiß, daß die Einbildungskraft sogleich in prickelnde Thätigkeit tritt und zu weben anfängt, wenn Hunger, Eitelkeit, lebhafter Wunsch des Besitzes, unmächtige Rachelust nach Mitteln sucht; da sehen wir uns selbst, wie wir zaubern und bezaubern, uns unsichtbar machen können, uns durch die Kuchenmauer des Schlaraffenlands essen. Aber nicht nur dieß: alle persönliche Leidenschaft und ganz abgesehen von Erdichtung dienstreicher Wunder ist nicht durch die bloße Anschauung, sondern wesentlich erst durch die Einbildungskraft vermittelt. Der Mensch versieht sich in sein Bild und jede Handlung der Leidenschaft ist Ausführung nach diesem imagina- tiven Concepte. Daher hat der lebhafte Mensch nicht einmal Freude am Gelingen, wenn es diesem Bilde nicht entspricht, wenn ihm sein Bild in's Wasser fällt.
Der sittliche Geist hält die gaukelnde Flucht der bestechenden Bilder an, das wahre Bild des Lebens durch berichtigende Vergleichung mit der Anschauung in seinen Mängeln fest, um darauf den Plan seines Handelns zu bauen; der denkende geht zunächst ebenfalls vom Willensacte dieses Einhaltens aus, bildet die Vorstellung im engern Sinne, eine Zusammen- fassung der wesentlichen, Ausscheidung der unwesentlichen Züge, doch nur zum Zwecke der weiteren Auflösung in den abstracten Begriff, den nur noch wie ein Schatten das bleiche "Gemeinbild" begleitet. Auch diese beiden Arten des Interesse's sind stoffartig und daher außer-ästhetisch (vergl. §. 76 u. 78).
Gefangenen, den Kranken, jeden Unglücklichen in das Land des Wunſches entführt, aber auch einen Chor von verlockenden Dämonen, die Mephi- ſtopheles „die Kleinen von den Seinen“ nennt. Der Menſch kann dieſen zauberkundigen Diener in jeder Weiſe zu ſeinem Dienſte verwenden und lebt durch ihn mitten im Leben immer ein zweites Leben. Der §. nennt dieß Verhältniß (nicht die eigentliche Phantaſie, wie Hegel) eine Syntheſe. Wir gehen nämlich zunächſt, ohne umzuſehen, den geraden Weg, der von der Anſchauung zur Phantaſie führt, aber wir müßen doch den con- creten Geiſt, der ſo oder ſo mit Gehalt erfüllt iſt, nebenherführen, die Beziehungen, in die er zu den uns getrennt vorliegenden Thätigkeiten treten kann, ſeitlich in’s Auge faſſen, um dann am rechten Punkte beide Linien zu vereinigen. In der Einbildungskraft nun gießt ſich der Geiſt noch nicht mit ſeiner erfüllten Unendlichkeit in ſeine Bilderwelt; ſie umgaukelt ihn, ſie reißt ihn fort, ſie dient ihm und beherrſcht ihn, wie es kommt. Dieß äußerliche Verhältniß iſt (bloße) Syntheſe.
2. In dieſer Syntheſe iſt das Verhältniß des Subjects zu ſeinen Bildern zunächſt ein ſtoffartiges, eine Beziehung des Intereſſe’s (§. 75), und die erſte Form iſt, wie ſchon berührt, das ſinnliche Intereſſe, per- ſönliche Neigung und Abneigung, Begierde und Abſcheu. Jeder weiß, daß die Einbildungskraft ſogleich in prickelnde Thätigkeit tritt und zu weben anfängt, wenn Hunger, Eitelkeit, lebhafter Wunſch des Beſitzes, unmächtige Racheluſt nach Mitteln ſucht; da ſehen wir uns ſelbſt, wie wir zaubern und bezaubern, uns unſichtbar machen können, uns durch die Kuchenmauer des Schlaraffenlands eſſen. Aber nicht nur dieß: alle perſönliche Leidenſchaft und ganz abgeſehen von Erdichtung dienſtreicher Wunder iſt nicht durch die bloße Anſchauung, ſondern weſentlich erſt durch die Einbildungskraft vermittelt. Der Menſch verſieht ſich in ſein Bild und jede Handlung der Leidenſchaft iſt Ausführung nach dieſem imagina- tiven Concepte. Daher hat der lebhafte Menſch nicht einmal Freude am Gelingen, wenn es dieſem Bilde nicht entſpricht, wenn ihm ſein Bild in’s Waſſer fällt.
Der ſittliche Geiſt hält die gaukelnde Flucht der beſtechenden Bilder an, das wahre Bild des Lebens durch berichtigende Vergleichung mit der Anſchauung in ſeinen Mängeln feſt, um darauf den Plan ſeines Handelns zu bauen; der denkende geht zunächſt ebenfalls vom Willensacte dieſes Einhaltens aus, bildet die Vorſtellung im engern Sinne, eine Zuſammen- faſſung der weſentlichen, Ausſcheidung der unweſentlichen Züge, doch nur zum Zwecke der weiteren Auflöſung in den abſtracten Begriff, den nur noch wie ein Schatten das bleiche „Gemeinbild“ begleitet. Auch dieſe beiden Arten des Intereſſe’s ſind ſtoffartig und daher außer-äſthetiſch (vergl. §. 76 u. 78).
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Gefangenen, den Kranken, jeden Unglücklichen in das Land des Wunſches
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ſtopheles „die Kleinen von den Seinen“ nennt. Der Menſch kann dieſen
zauberkundigen Diener in jeder Weiſe zu ſeinem Dienſte verwenden und
lebt durch ihn mitten im Leben immer ein zweites Leben. Der §. nennt
dieß Verhältniß (nicht die eigentliche Phantaſie, wie Hegel) eine Syntheſe.
Wir gehen nämlich zunächſt, ohne umzuſehen, den geraden Weg, der
von der Anſchauung zur Phantaſie führt, aber wir müßen doch den con-
creten Geiſt, der ſo oder ſo mit Gehalt erfüllt iſt, nebenherführen, die
Beziehungen, in die er zu den uns getrennt vorliegenden Thätigkeiten treten
kann, ſeitlich in’s Auge faſſen, um dann am rechten Punkte beide Linien
zu vereinigen. In der Einbildungskraft nun gießt ſich der Geiſt noch nicht
mit ſeiner erfüllten Unendlichkeit in ſeine Bilderwelt; ſie umgaukelt ihn,
ſie reißt ihn fort, ſie dient ihm und beherrſcht ihn, wie es kommt. Dieß
äußerliche Verhältniß iſt (bloße) Syntheſe.
2. In dieſer Syntheſe iſt das Verhältniß des Subjects zu ſeinen
Bildern zunächſt ein ſtoffartiges, eine Beziehung des Intereſſe’s (§. 75),
und die erſte Form iſt, wie ſchon berührt, das ſinnliche Intereſſe, per-
ſönliche Neigung und Abneigung, Begierde und Abſcheu. Jeder weiß,
daß die Einbildungskraft ſogleich in prickelnde Thätigkeit tritt und zu
weben anfängt, wenn Hunger, Eitelkeit, lebhafter Wunſch des Beſitzes,
unmächtige Racheluſt nach Mitteln ſucht; da ſehen wir uns ſelbſt, wie
wir zaubern und bezaubern, uns unſichtbar machen können, uns durch
die Kuchenmauer des Schlaraffenlands eſſen. Aber nicht nur dieß: alle
perſönliche Leidenſchaft und ganz abgeſehen von Erdichtung dienſtreicher
Wunder iſt nicht durch die bloße Anſchauung, ſondern weſentlich erſt durch
die Einbildungskraft vermittelt. Der Menſch verſieht ſich in ſein Bild und
jede Handlung der Leidenſchaft iſt Ausführung nach dieſem imagina-
tiven Concepte. Daher hat der lebhafte Menſch nicht einmal Freude am
Gelingen, wenn es dieſem Bilde nicht entſpricht, wenn ihm ſein Bild
in’s Waſſer fällt.
Der ſittliche Geiſt hält die gaukelnde Flucht der beſtechenden Bilder
an, das wahre Bild des Lebens durch berichtigende Vergleichung mit der
Anſchauung in ſeinen Mängeln feſt, um darauf den Plan ſeines Handelns
zu bauen; der denkende geht zunächſt ebenfalls vom Willensacte dieſes
Einhaltens aus, bildet die Vorſtellung im engern Sinne, eine Zuſammen-
faſſung der weſentlichen, Ausſcheidung der unweſentlichen Züge, doch nur
zum Zwecke der weiteren Auflöſung in den abſtracten Begriff, den nur
noch wie ein Schatten das bleiche „Gemeinbild“ begleitet. Auch dieſe beiden
Arten des Intereſſe’s ſind ſtoffartig und daher außer-äſthetiſch (vergl.
§. 76 u. 78).
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/42>, abgerufen am 08.07.2024.
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