Hegel in seiner übrigens so trefflichen Darstellung der romantischen Kunstform sagt (Aesth. Th. 2. S. 120 ff.), der Kreis der christlichen Phantasie verengt, weil der Olymp gestürzt, die Natur entgöttert sei, er sei unendlich erweitert, weil die ganze Geschichte der innern Welt und die ganze äußere bezogen auf sie nun offen daliege. So kann man die Sache nur darstellen, wenn man die weltlich freie moderne Welt- Anschauung mit der mittelalterlichen zusammenfaßt, die wir vielmehr als zwei geschiedene Ideale auseinanderhalten. So wenig das Mittelalter den Olymp stürzt, die Natur entgöttert, so wenig weiß es die ursprüngliche Stoffwelt rein zu gewinnen. Es ist noch weit bis dahin, daß man einsähe, die Welt als Schauplatz Gottes in der wunderlosen Bewegung des neuen, von innen überwindenden und befreienden Geistes darstellen heiße Gott darstellen. Es braucht noch eines ausdrücklichen Uebersprungs von ihr auf eine transcendente Welt, um im Endlichen das Unendliche als wir- kend aufzuzeigen. Nicht die weite Welt, sondern ein Auszug aus ihr, den die Sage in Verbindung mit dem Mythus bewerkstelligt, bildet den Inhalt dieses schillernden Ideals. So ist es zunächst Sage, wenn die Person des Religionsstifters mit einer Glorie des Wunderbaren umgeben wird. Von der andern Seite aber wirken dabei orientalische und grie- chische Mythen ein und führen, in neuplatonischer Philosophie zusammen- gefaßt, dahin, dem Göttersohn eine Präexistenz als zweiter Person in der Gottheit beizulegen. Er ist Wischnu, Krischna, er ist Buddha, Mithras, er ist Horos, er ist der von Zeus gezeugte und sich zur Götterwürde wieder hinaufkämpfende Herkules. Es ist wohl einerseits unendlicher Fortschritt, daß die Form des empirisch wirklichen Menschen Christus als Gott angeschaut, daß so "der Anthropomorphismus vollendet wird", wo- gegen die heidnischen Religionen "nicht anthropomorphisch genug" sind. Allein in Wahrheit ist hier keine Vollendung, sondern nur ein stockender An- fang der Vollendung des Anthropomorphismus. Einsehen, daß der Mensch die Persönlichkeit Gottes sei, ist unendlicher Fortschritt, aber daß Ein imaginärer und doch als real historisch vorgestellter Mensch es sei statt in unendlicher Wechselergänzung alle wirklichen Menschen, dieß Meinen ist nichts anders, als Buddhaismus, der den ungeheuren Sprung einer gren- zenlosen Confundirung nicht scheut und durch den furchtbaren Wider- spruch, ein individuell begrenztes Leben geradezu für das Absolute zu nehmen, ebenso himmelweit hinter den zarten Polytheismus der griechi- schen Phantasie zurückfällt, als er über sie hinauszugehen den Ansatz ge- nommen hatte. Im Erlösungstode sammelt sich die vorchristliche Opfer- Idee abschließend, aber auch bis zur blutigen Sitte der Menschenopfer zurückgreifend, zusammen. Der heilige Geist wird dritte Person in der Gottheit; den ganzen Widerspruch, monotheistisch und doch polytheistisch
Vischer's Aesthetik. 2. Band. 31
Hegel in ſeiner übrigens ſo trefflichen Darſtellung der romantiſchen Kunſtform ſagt (Aeſth. Th. 2. S. 120 ff.), der Kreis der chriſtlichen Phantaſie verengt, weil der Olymp geſtürzt, die Natur entgöttert ſei, er ſei unendlich erweitert, weil die ganze Geſchichte der innern Welt und die ganze äußere bezogen auf ſie nun offen daliege. So kann man die Sache nur darſtellen, wenn man die weltlich freie moderne Welt- Anſchauung mit der mittelalterlichen zuſammenfaßt, die wir vielmehr als zwei geſchiedene Ideale auseinanderhalten. So wenig das Mittelalter den Olymp ſtürzt, die Natur entgöttert, ſo wenig weiß es die urſprüngliche Stoffwelt rein zu gewinnen. Es iſt noch weit bis dahin, daß man einſähe, die Welt als Schauplatz Gottes in der wunderloſen Bewegung des neuen, von innen überwindenden und befreienden Geiſtes darſtellen heiße Gott darſtellen. Es braucht noch eines ausdrücklichen Ueberſprungs von ihr auf eine tranſcendente Welt, um im Endlichen das Unendliche als wir- kend aufzuzeigen. Nicht die weite Welt, ſondern ein Auszug aus ihr, den die Sage in Verbindung mit dem Mythus bewerkſtelligt, bildet den Inhalt dieſes ſchillernden Ideals. So iſt es zunächſt Sage, wenn die Perſon des Religionsſtifters mit einer Glorie des Wunderbaren umgeben wird. Von der andern Seite aber wirken dabei orientaliſche und grie- chiſche Mythen ein und führen, in neuplatoniſcher Philoſophie zuſammen- gefaßt, dahin, dem Götterſohn eine Präexiſtenz als zweiter Perſon in der Gottheit beizulegen. Er iſt Wiſchnu, Kriſchna, er iſt Buddha, Mithras, er iſt Horos, er iſt der von Zeus gezeugte und ſich zur Götterwürde wieder hinaufkämpfende Herkules. Es iſt wohl einerſeits unendlicher Fortſchritt, daß die Form des empiriſch wirklichen Menſchen Chriſtus als Gott angeſchaut, daß ſo „der Anthropomorphiſmus vollendet wird“, wo- gegen die heidniſchen Religionen „nicht anthropomorphiſch genug“ ſind. Allein in Wahrheit iſt hier keine Vollendung, ſondern nur ein ſtockender An- fang der Vollendung des Anthropomorphiſmus. Einſehen, daß der Menſch die Perſönlichkeit Gottes ſei, iſt unendlicher Fortſchritt, aber daß Ein imaginärer und doch als real hiſtoriſch vorgeſtellter Menſch es ſei ſtatt in unendlicher Wechſelergänzung alle wirklichen Menſchen, dieß Meinen iſt nichts anders, als Buddhaiſmus, der den ungeheuren Sprung einer gren- zenloſen Confundirung nicht ſcheut und durch den furchtbaren Wider- ſpruch, ein individuell begrenztes Leben geradezu für das Abſolute zu nehmen, ebenſo himmelweit hinter den zarten Polytheiſmus der griechi- ſchen Phantaſie zurückfällt, als er über ſie hinauszugehen den Anſatz ge- nommen hatte. Im Erlöſungstode ſammelt ſich die vorchriſtliche Opfer- Idee abſchließend, aber auch bis zur blutigen Sitte der Menſchenopfer zurückgreifend, zuſammen. Der heilige Geiſt wird dritte Perſon in der Gottheit; den ganzen Widerſpruch, monotheiſtiſch und doch polytheiſtiſch
Viſcher’s Aeſthetik. 2. Band. 31
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Kunſtform ſagt (Aeſth. Th. 2. S. 120 ff.), der Kreis der chriſtlichen
Phantaſie verengt, weil der Olymp geſtürzt, die Natur entgöttert ſei,
er ſei unendlich erweitert, weil die ganze Geſchichte der innern Welt
und die ganze äußere bezogen auf ſie nun offen daliege. So kann man
die Sache nur darſtellen, wenn man die weltlich freie moderne Welt-
Anſchauung mit der mittelalterlichen zuſammenfaßt, die wir vielmehr als
zwei geſchiedene Ideale auseinanderhalten. So wenig das Mittelalter den
Olymp ſtürzt, die Natur entgöttert, ſo wenig weiß es die urſprüngliche
Stoffwelt rein zu gewinnen. Es iſt noch weit bis dahin, daß man einſähe,
die Welt als Schauplatz Gottes in der wunderloſen Bewegung des neuen,
von innen überwindenden und befreienden Geiſtes darſtellen heiße Gott
darſtellen. Es braucht noch eines ausdrücklichen Ueberſprungs von ihr
auf eine tranſcendente Welt, um im Endlichen das Unendliche als wir-
kend aufzuzeigen. Nicht die weite Welt, ſondern ein Auszug aus ihr,
den die Sage in Verbindung mit dem Mythus bewerkſtelligt, bildet den
Inhalt dieſes ſchillernden Ideals. So iſt es zunächſt Sage, wenn die
Perſon des Religionsſtifters mit einer Glorie des Wunderbaren umgeben
wird. Von der andern Seite aber wirken dabei orientaliſche und grie-
chiſche Mythen ein und führen, in neuplatoniſcher Philoſophie zuſammen-
gefaßt, dahin, dem Götterſohn eine Präexiſtenz als zweiter Perſon in der
Gottheit beizulegen. Er iſt Wiſchnu, Kriſchna, er iſt Buddha, Mithras,
er iſt Horos, er iſt der von Zeus gezeugte und ſich zur Götterwürde
wieder hinaufkämpfende Herkules. Es iſt wohl einerſeits unendlicher
Fortſchritt, daß die Form des empiriſch wirklichen Menſchen Chriſtus als
Gott angeſchaut, daß ſo „der Anthropomorphiſmus vollendet wird“, wo-
gegen die heidniſchen Religionen „nicht anthropomorphiſch genug“ ſind.
Allein in Wahrheit iſt hier keine Vollendung, ſondern nur ein ſtockender An-
fang der Vollendung des Anthropomorphiſmus. Einſehen, daß der Menſch
die Perſönlichkeit Gottes ſei, iſt unendlicher Fortſchritt, aber daß Ein
imaginärer und doch als real hiſtoriſch vorgeſtellter Menſch es ſei ſtatt in
unendlicher Wechſelergänzung alle wirklichen Menſchen, dieß Meinen iſt
nichts anders, als Buddhaiſmus, der den ungeheuren Sprung einer gren-
zenloſen Confundirung nicht ſcheut und durch den furchtbaren Wider-
ſpruch, ein individuell begrenztes Leben geradezu für das Abſolute zu
nehmen, ebenſo himmelweit hinter den zarten Polytheiſmus der griechi-
ſchen Phantaſie zurückfällt, als er über ſie hinauszugehen den Anſatz ge-
nommen hatte. Im Erlöſungstode ſammelt ſich die vorchriſtliche Opfer-
Idee abſchließend, aber auch bis zur blutigen Sitte der Menſchenopfer
zurückgreifend, zuſammen. Der heilige Geiſt wird dritte Perſon in der
Gottheit; den ganzen Widerſpruch, monotheiſtiſch und doch polytheiſtiſch
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/189>, abgerufen am 08.07.2024.
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