zusagenden Stoffen des Privatlebens. Das Individuum ist in sich zu- zückgetreten, die empfindende, näher die empfindend dichtende Phantasie wird also die bildende verdrängen. Die Empfindung kann aber noch nicht die geistig verklärte sein, sie ist sinnlich bestimmt, doch nicht mehr in bruchloser Einheit des Sittlichen mit dem Sinnlichen, wie vorher. Sie erwärmt ihren Stoff mit Leidenschaft und Sehnsucht. Die Sehnsucht kann ohne unmittelbare Betheiligung des dichtenden Subjects auf das entschwun- dene Glück der Unschuld der objectiven Lebensform gehen und seine Reste da aufsuchen, wo sie weitab von der verderbten großen Welt ihre länd- liche Zuflucht haben; die bewegtere Empfindung kann die Irrgänge der Leidenschaft und Lebensschicksale Anderer verfolgen oder die eigenen in Gluth des Augenblicks und Klage des Rückblicks entfalten. Man sieht: die Zeit der ersten Anfänge der Landschaft-, Genre- und Porträt-Malerei, die Zeit des Idylls, des Romans, der Elegie im antiken und im moder- neren Sinne, ist gekommen.
2. Gerade weil die mythische Art der Idealisirung vorüber ist, die reine und freie aber noch nicht ganz eintreten kann, so liegen mehrere der in §. 406 aufgeführten Einseitigkeit ganz besonders nahe. Das Sub- ject ist in sich zurückgetreten, hat aber das schöne Maaß der Sittlichkeit verloren; die Leidenschaft entbrennt in einer Art von Innerlichkeit und isolirter Lüsternheit, welche der ächt antiken directen Sinnlichkeit nicht mehr gleich sieht; die pornographoi traten schon zu Alexanders Zeit auf, diese Ueppigkeiten waren aber noch immer vom systematischen Durchkosten des Liebesgenusses, wie es in der römischen Poesie auftritt, verschieden. Die Schmeichelei und Ueppigkeit mißbraucht und entstellt mythische Formen. Auf der andern Seite beginnt Reflexion, Sentenz, dann Absichtlichkeit, Gemachtheit überhaupt ihre Kälte über das theilweis Talentvolle zu verbreiten.
§. 446.
Die ursprüngliche Stoffwelt wird aber auch in negativem Sinne ergriffen und in einer Weise behandelt, welche wirklich als Gattung bereits jenseits der Grenze des ästhetischen Gebietes liegt. Aus der verderbten Welt zieht sich das Subject in sich zurück, vergleicht sie mit der wahren Idee und bringt ihre Verkehrtheit mit geradezu strafendem Ernste oder ironisch durch komische Auf- lösung zu Tage. Es bedarf nur noch eines Schrittes, um das Bildliche völlig zum Mittel der Belehrung und Ermahnung herabzusetzen, und die Phantasie ist wirklich desorganisirt, was sich insbesondere da, wo sie noch bildend auf- treten will, als Verlust alles Formsinns ausspricht.
Es genügt hier, den innern Grund von Erscheinungen, welche als rein anhängend schon in den bloßen Vorhof oder Hinterhof des Schönen
zuſagenden Stoffen des Privatlebens. Das Individuum iſt in ſich zu- zückgetreten, die empfindende, näher die empfindend dichtende Phantaſie wird alſo die bildende verdrängen. Die Empfindung kann aber noch nicht die geiſtig verklärte ſein, ſie iſt ſinnlich beſtimmt, doch nicht mehr in bruchloſer Einheit des Sittlichen mit dem Sinnlichen, wie vorher. Sie erwärmt ihren Stoff mit Leidenſchaft und Sehnſucht. Die Sehnſucht kann ohne unmittelbare Betheiligung des dichtenden Subjects auf das entſchwun- dene Glück der Unſchuld der objectiven Lebensform gehen und ſeine Reſte da aufſuchen, wo ſie weitab von der verderbten großen Welt ihre länd- liche Zuflucht haben; die bewegtere Empfindung kann die Irrgänge der Leidenſchaft und Lebensſchickſale Anderer verfolgen oder die eigenen in Gluth des Augenblicks und Klage des Rückblicks entfalten. Man ſieht: die Zeit der erſten Anfänge der Landſchaft-, Genre- und Porträt-Malerei, die Zeit des Idylls, des Romans, der Elegie im antiken und im moder- neren Sinne, iſt gekommen.
2. Gerade weil die mythiſche Art der Idealiſirung vorüber iſt, die reine und freie aber noch nicht ganz eintreten kann, ſo liegen mehrere der in §. 406 aufgeführten Einſeitigkeit ganz beſonders nahe. Das Sub- ject iſt in ſich zurückgetreten, hat aber das ſchöne Maaß der Sittlichkeit verloren; die Leidenſchaft entbrennt in einer Art von Innerlichkeit und iſolirter Lüſternheit, welche der ächt antiken directen Sinnlichkeit nicht mehr gleich ſieht; die πορνογράφοι traten ſchon zu Alexanders Zeit auf, dieſe Ueppigkeiten waren aber noch immer vom ſyſtematiſchen Durchkoſten des Liebesgenuſſes, wie es in der römiſchen Poeſie auftritt, verſchieden. Die Schmeichelei und Ueppigkeit mißbraucht und entſtellt mythiſche Formen. Auf der andern Seite beginnt Reflexion, Sentenz, dann Abſichtlichkeit, Gemachtheit überhaupt ihre Kälte über das theilweis Talentvolle zu verbreiten.
§. 446.
Die urſprüngliche Stoffwelt wird aber auch in negativem Sinne ergriffen und in einer Weiſe behandelt, welche wirklich als Gattung bereits jenſeits der Grenze des äſthetiſchen Gebietes liegt. Aus der verderbten Welt zieht ſich das Subject in ſich zurück, vergleicht ſie mit der wahren Idee und bringt ihre Verkehrtheit mit geradezu ſtrafendem Ernſte oder ironiſch durch komiſche Auf- löſung zu Tage. Es bedarf nur noch eines Schrittes, um das Bildliche völlig zum Mittel der Belehrung und Ermahnung herabzuſetzen, und die Phantaſie iſt wirklich desorganiſirt, was ſich insbeſondere da, wo ſie noch bildend auf- treten will, als Verluſt alles Formſinns ausſpricht.
Es genügt hier, den innern Grund von Erſcheinungen, welche als rein anhängend ſchon in den bloßen Vorhof oder Hinterhof des Schönen
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zuſagenden Stoffen des Privatlebens. Das Individuum iſt in ſich zu-
zückgetreten, die empfindende, näher die empfindend dichtende Phantaſie
wird alſo die bildende verdrängen. Die Empfindung kann aber noch nicht
die geiſtig verklärte ſein, ſie iſt ſinnlich beſtimmt, doch nicht mehr in
bruchloſer Einheit des Sittlichen mit dem Sinnlichen, wie vorher. Sie
erwärmt ihren Stoff mit Leidenſchaft und Sehnſucht. Die Sehnſucht kann
ohne unmittelbare Betheiligung des dichtenden Subjects auf das entſchwun-
dene Glück der Unſchuld der objectiven Lebensform gehen und ſeine Reſte
da aufſuchen, wo ſie weitab von der verderbten großen Welt ihre länd-
liche Zuflucht haben; die bewegtere Empfindung kann die Irrgänge der
Leidenſchaft und Lebensſchickſale Anderer verfolgen oder die eigenen in
Gluth des Augenblicks und Klage des Rückblicks entfalten. Man ſieht:
die Zeit der erſten Anfänge der Landſchaft-, Genre- und Porträt-Malerei,
die Zeit des Idylls, des Romans, der Elegie im antiken und im moder-
neren Sinne, iſt gekommen.
2. Gerade weil die mythiſche Art der Idealiſirung vorüber iſt, die
reine und freie aber noch nicht ganz eintreten kann, ſo liegen mehrere
der in §. 406 aufgeführten Einſeitigkeit ganz beſonders nahe. Das Sub-
ject iſt in ſich zurückgetreten, hat aber das ſchöne Maaß der Sittlichkeit
verloren; die Leidenſchaft entbrennt in einer Art von Innerlichkeit und
iſolirter Lüſternheit, welche der ächt antiken directen Sinnlichkeit nicht mehr
gleich ſieht; die πορνογράφοι traten ſchon zu Alexanders Zeit auf, dieſe
Ueppigkeiten waren aber noch immer vom ſyſtematiſchen Durchkoſten des
Liebesgenuſſes, wie es in der römiſchen Poeſie auftritt, verſchieden. Die
Schmeichelei und Ueppigkeit mißbraucht und entſtellt mythiſche Formen.
Auf der andern Seite beginnt Reflexion, Sentenz, dann Abſichtlichkeit,
Gemachtheit überhaupt ihre Kälte über das theilweis Talentvolle zu verbreiten.
§. 446.
Die urſprüngliche Stoffwelt wird aber auch in negativem Sinne ergriffen
und in einer Weiſe behandelt, welche wirklich als Gattung bereits jenſeits der
Grenze des äſthetiſchen Gebietes liegt. Aus der verderbten Welt zieht ſich
das Subject in ſich zurück, vergleicht ſie mit der wahren Idee und bringt ihre
Verkehrtheit mit geradezu ſtrafendem Ernſte oder ironiſch durch komiſche Auf-
löſung zu Tage. Es bedarf nur noch eines Schrittes, um das Bildliche völlig
zum Mittel der Belehrung und Ermahnung herabzuſetzen, und die Phantaſie
iſt wirklich desorganiſirt, was ſich insbeſondere da, wo ſie noch bildend auf-
treten will, als Verluſt alles Formſinns ausſpricht.
Es genügt hier, den innern Grund von Erſcheinungen, welche als
rein anhängend ſchon in den bloßen Vorhof oder Hinterhof des Schönen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/186>, abgerufen am 08.07.2024.
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