lag. An die Stelle des Bösen trat bei den Griechen, dem Volke des schönen Maaßes, zunächst das Ungeordnete, Ungemessene: das sind eben die wilden Kräfte, die Titanen, die besiegt sind; dann das Sinnverwir- rende, das zwar eine ethische Gefühlsbewegung ist, aber eine dunkle und in die Organisation des Vernunftreichs, des menschlichen Staatslebens nicht in klarer Gesetzesform eingeführte. Sehr treffend weist Hegel ver- mittelst dieses Grundes nach, warum die Nemesis, Dike, Erinnyen zu den finsteren Mächten des besiegten Götterreichs, den Kindern der alten Nacht gehören (Aesth. Th. 2, S. 49 ff.). Die Scene in den Eumeni- den des Aeschylus, wo Apollo jene mit zorniger Rede von seinem Tem- pel jagt, zeigt deutlich, was die Griechen sich bei jener Stellung dachten: die dunkeln Aufregungen des Gewissens können falsch sein und sind es in der Collision mit dem rechtlich politischen Gewissen und seinen klaren Empfindungen. An die Stelle des Bösen trat ihnen ferner das Unheim- liche, Tod und Unterwelt, der Hades und seine Beherrscher, dann die chthonischen Gottheiten nach ihrer einen Seite, Demeter, Kora, Bacchus. Wir müssen aber die allgemeine Frage aufwerfen, welche Stellung das Schädliche, da es nicht mehr in dem Willen einer Hauptgottheit zusam- mengefaßt wurde, in dieser Phantasiewelt erhielt? Es mußte in ethischen Zusammenhang treten, es mußte als Strafe aufgefaßt werden, die eine gute, aber beleidigte Gottheit verhänge. Als reizbare Gottheiten, welche ebenso leicht verderblich, als heilsam wirken, wurden insbesondere Apollo und Artemis angeschaut. Die jüdische Phantasie, die in strengerem Sinn ethisch war, mußte diesen Standpunkt noch strenger festhalten und aus- bilden; Jehovah erzieht durch Strafen. Allein dem eifrigen Gott gegen- über stellte sich hier auch das Subject auf die Spitze seines Eigenwillens und faßte eine Welt der Empörung, im Widerspruche mit dem Mono- theismus, im Bilde des Teufels zusammen. Hieran knüpft sich von selbst die Frage, wie es sich mit dem Dualismus zwischen Gott und Welt bei den Griechen verhielt. Die juristische Trennung, welche die Juden zwi- schen beiden aufstellten, ist einem freundlich vertrauten Wandeln der Göt- ter unter den Menschen gewichen. Freilich ist die jüdische Anschauung der erste Schritt zur wahren Einheit der sittlichen Idee, dieser Schritt bleibt aber so abstract, daß die beste Frucht wieder verloren geht. Dieser über der Welt thronende Gott erläßt zwar und sanctionirt sittliche Ge- setze, allein wenn das menschliche Subject sich zu ihm wendet, verschwin- det ihm in der Allgemeinheit seiner Heiligkeit das Concrete des sittlichen Lebens und es ist eine Frömmigkeit ohne Sittlichkeit möglich ebenso wie nachher im Christenthum. Der Grieche dagegen trifft in seinem Gotte, der ihm freundlich und menschlich verwandt ist, ein bestimmtes sittliches Pathos an und da muß Frömmigkeit auch Tugend sein. Welche lange
lag. An die Stelle des Böſen trat bei den Griechen, dem Volke des ſchönen Maaßes, zunächſt das Ungeordnete, Ungemeſſene: das ſind eben die wilden Kräfte, die Titanen, die beſiegt ſind; dann das Sinnverwir- rende, das zwar eine ethiſche Gefühlsbewegung iſt, aber eine dunkle und in die Organiſation des Vernunftreichs, des menſchlichen Staatslebens nicht in klarer Geſetzesform eingeführte. Sehr treffend weist Hegel ver- mittelſt dieſes Grundes nach, warum die Nemeſis, Dike, Erinnyen zu den finſteren Mächten des beſiegten Götterreichs, den Kindern der alten Nacht gehören (Aeſth. Th. 2, S. 49 ff.). Die Scene in den Eumeni- den des Aeſchylus, wo Apollo jene mit zorniger Rede von ſeinem Tem- pel jagt, zeigt deutlich, was die Griechen ſich bei jener Stellung dachten: die dunkeln Aufregungen des Gewiſſens können falſch ſein und ſind es in der Colliſion mit dem rechtlich politiſchen Gewiſſen und ſeinen klaren Empfindungen. An die Stelle des Böſen trat ihnen ferner das Unheim- liche, Tod und Unterwelt, der Hades und ſeine Beherrſcher, dann die chthoniſchen Gottheiten nach ihrer einen Seite, Demeter, Kora, Bacchus. Wir müſſen aber die allgemeine Frage aufwerfen, welche Stellung das Schädliche, da es nicht mehr in dem Willen einer Hauptgottheit zuſam- mengefaßt wurde, in dieſer Phantaſiewelt erhielt? Es mußte in ethiſchen Zuſammenhang treten, es mußte als Strafe aufgefaßt werden, die eine gute, aber beleidigte Gottheit verhänge. Als reizbare Gottheiten, welche ebenſo leicht verderblich, als heilſam wirken, wurden insbeſondere Apollo und Artemis angeſchaut. Die jüdiſche Phantaſie, die in ſtrengerem Sinn ethiſch war, mußte dieſen Standpunkt noch ſtrenger feſthalten und aus- bilden; Jehovah erzieht durch Strafen. Allein dem eifrigen Gott gegen- über ſtellte ſich hier auch das Subject auf die Spitze ſeines Eigenwillens und faßte eine Welt der Empörung, im Widerſpruche mit dem Mono- theiſmus, im Bilde des Teufels zuſammen. Hieran knüpft ſich von ſelbſt die Frage, wie es ſich mit dem Dualiſmus zwiſchen Gott und Welt bei den Griechen verhielt. Die juriſtiſche Trennung, welche die Juden zwi- ſchen beiden aufſtellten, iſt einem freundlich vertrauten Wandeln der Göt- ter unter den Menſchen gewichen. Freilich iſt die jüdiſche Anſchauung der erſte Schritt zur wahren Einheit der ſittlichen Idee, dieſer Schritt bleibt aber ſo abſtract, daß die beſte Frucht wieder verloren geht. Dieſer über der Welt thronende Gott erläßt zwar und ſanctionirt ſittliche Ge- ſetze, allein wenn das menſchliche Subject ſich zu ihm wendet, verſchwin- det ihm in der Allgemeinheit ſeiner Heiligkeit das Concrete des ſittlichen Lebens und es iſt eine Frömmigkeit ohne Sittlichkeit möglich ebenſo wie nachher im Chriſtenthum. Der Grieche dagegen trifft in ſeinem Gotte, der ihm freundlich und menſchlich verwandt iſt, ein beſtimmtes ſittliches Pathos an und da muß Frömmigkeit auch Tugend ſein. Welche lange
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ſchönen Maaßes, zunächſt das Ungeordnete, Ungemeſſene: das ſind eben
die wilden Kräfte, die Titanen, die beſiegt ſind; dann das Sinnverwir-
rende, das zwar eine ethiſche Gefühlsbewegung iſt, aber eine dunkle und
in die Organiſation des Vernunftreichs, des menſchlichen Staatslebens
nicht in klarer Geſetzesform eingeführte. Sehr treffend weist Hegel ver-
mittelſt dieſes Grundes nach, warum die Nemeſis, Dike, Erinnyen zu
den finſteren Mächten des beſiegten Götterreichs, den Kindern der alten
Nacht gehören (Aeſth. Th. 2, S. 49 ff.). Die Scene in den Eumeni-
den des Aeſchylus, wo Apollo jene mit zorniger Rede von ſeinem Tem-
pel jagt, zeigt deutlich, was die Griechen ſich bei jener Stellung dachten:
die dunkeln Aufregungen des Gewiſſens können falſch ſein und ſind es
in der Colliſion mit dem rechtlich politiſchen Gewiſſen und ſeinen klaren
Empfindungen. An die Stelle des Böſen trat ihnen ferner das Unheim-
liche, Tod und Unterwelt, der Hades und ſeine Beherrſcher, dann die
chthoniſchen Gottheiten nach ihrer einen Seite, Demeter, Kora, Bacchus.
Wir müſſen aber die allgemeine Frage aufwerfen, welche Stellung das
Schädliche, da es nicht mehr in dem Willen einer Hauptgottheit zuſam-
mengefaßt wurde, in dieſer Phantaſiewelt erhielt? Es mußte in ethiſchen
Zuſammenhang treten, es mußte als Strafe aufgefaßt werden, die eine
gute, aber beleidigte Gottheit verhänge. Als reizbare Gottheiten, welche
ebenſo leicht verderblich, als heilſam wirken, wurden insbeſondere Apollo
und Artemis angeſchaut. Die jüdiſche Phantaſie, die in ſtrengerem Sinn
ethiſch war, mußte dieſen Standpunkt noch ſtrenger feſthalten und aus-
bilden; Jehovah erzieht durch Strafen. Allein dem eifrigen Gott gegen-
über ſtellte ſich hier auch das Subject auf die Spitze ſeines Eigenwillens
und faßte eine Welt der Empörung, im Widerſpruche mit dem Mono-
theiſmus, im Bilde des Teufels zuſammen. Hieran knüpft ſich von ſelbſt
die Frage, wie es ſich mit dem Dualiſmus zwiſchen Gott und Welt bei
den Griechen verhielt. Die juriſtiſche Trennung, welche die Juden zwi-
ſchen beiden aufſtellten, iſt einem freundlich vertrauten Wandeln der Göt-
ter unter den Menſchen gewichen. Freilich iſt die jüdiſche Anſchauung
der erſte Schritt zur wahren Einheit der ſittlichen Idee, dieſer Schritt
bleibt aber ſo abſtract, daß die beſte Frucht wieder verloren geht. Dieſer
über der Welt thronende Gott erläßt zwar und ſanctionirt ſittliche Ge-
ſetze, allein wenn das menſchliche Subject ſich zu ihm wendet, verſchwin-
det ihm in der Allgemeinheit ſeiner Heiligkeit das Concrete des ſittlichen
Lebens und es iſt eine Frömmigkeit ohne Sittlichkeit möglich ebenſo wie
nachher im Chriſtenthum. Der Grieche dagegen trifft in ſeinem Gotte,
der ihm freundlich und menſchlich verwandt iſt, ein beſtimmtes ſittliches
Pathos an und da muß Frömmigkeit auch Tugend ſein. Welche lange
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/165>, abgerufen am 08.07.2024.
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