Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
Ideals dennoch nach den drei Haupt-Epochen des Völkerlebens an sich und folgt Die zweite Hauptform der Phantasie ist die des Mittelalters. Es §. 423. Die Phantasie ist also, gleichviel, ob sie die ursprünglichen Stoffe nur So viele Theilungsgründe wir in der Lehre von den Arten der
Ideals dennoch nach den drei Haupt-Epochen des Völkerlebens an ſich und folgt Die zweite Hauptform der Phantaſie iſt die des Mittelalters. Es §. 423. Die Phantaſie iſt alſo, gleichviel, ob ſie die urſprünglichen Stoffe nur So viele Theilungsgründe wir in der Lehre von den Arten der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0124" n="410"/> Ideals dennoch nach den drei Haupt-Epochen des Völkerlebens an ſich und folgt<lb/> daher der Eintheilung von §. 341—378.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Die zweite Hauptform der Phantaſie iſt die des Mittelalters. Es<lb/> iſt hier vorläufig mit Kurzem ausgeſprochen, warum ſie der antiken als<lb/> eine neue Epoche begründend gegenübertritt, und der Verlauf wird voll-<lb/> ſtändig zeigen, daß ſie gerade die nach beiden Seiten ſcharf abgeſchnittene<lb/> mittlere von drei Epochen bilden muß; denn was ſie von der antiken<lb/> unterſcheidet, iſt das Prinzip der chriſtlichen Religion, in den germaniſchen<lb/> Geiſt aufgenommen, was ſie von der modernen unterſcheidet, iſt das<lb/> Heidniſch-Mythiſche, wodurch ſie dieſes Prinzip zu einer tranſcendenten<lb/> Welt ausbildet. So haben wir ſchon dieſelben Eintheilungen, wie in der<lb/> Lehre von der geſchichtlichen Schönheit. Nun wiſſen wir ja aber über-<lb/> haupt, daß die Religion nichts Anderes, als ein Ausdruck des Bewußtſeins<lb/> der Menſchheit, der Nilmeſſer ihres Geiſtes iſt; als eigentlicher Einthei-<lb/> lungsgrund ſteht für uns auch hinter dem religiös beſtimmten Ideale der<lb/> urſprüngliche Geiſt des Volkes und der Zeit, und ſo iſt die ganze Ein-<lb/> theilung wieder da, wie in der geſchichtlichen Schönheit. In dieſer fragten<lb/> wir: wie viel und was für Stoff geben die Völker und ihre Zeitalter<lb/><hi rendition="#g">dem Schönen</hi>; jetzt fragen wir: was für und wie viel Schönes muß<lb/> die Phantaſie der ſo beſtimmten Zeiten und Völker <hi rendition="#g">ſelbſt hervorbrin-<lb/> gen</hi>? Die Benennungen der Hauptformen der Phantaſie können wir, da<lb/> wir ſo auf die Völker und Zeiten ſelbſt als Subject und Grund der<lb/> Unterſchiede zurückgehen, ebenſowohl von dieſen, als, wo das Ideal noch<lb/> religiös beſtimmt iſt, von dem Standpunkte der Religion entnehmen; am<lb/> beſten wird es ſein, beides zugleich in die Bezeichnungen aufzunehmen.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 423.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die Phantaſie iſt alſo, gleichviel, ob ſie die urſprünglichen Stoffe nur<lb/> durch die Mitte der zweiten Stoffwelt oder unmittelbar in die Schönheit<lb/> erhebt, immer die Frucht der Geſammtkräfte eines Volkes und Zeitalters, in<lb/> dem begabten Individuum zuſammengefaßt, und hiemit tritt eine Maſſe von<lb/> neuen, geſchichtlichen Bedingungen ein, durch welche ſich, indem ſie mit den<lb/> Arten §. 402—404 ſich durchdringen, die individuelle Phantaſie noch concreter<lb/> verſchlingt. Als dieſe lebendige Zuſammenfaſſung gibt ſie der Nation und Zeit<lb/> ihr eigenes erhöhtes Bild mit der unendlichen Kraft rückwirkender Bildungs-<lb/> mittel wieder.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">So viele Theilungsgründe wir in der Lehre von den Arten der<lb/> Phantaſie fanden, ſo blieb uns doch die Phantaſie des Individuums<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [410/0124]
Ideals dennoch nach den drei Haupt-Epochen des Völkerlebens an ſich und folgt
daher der Eintheilung von §. 341—378.
Die zweite Hauptform der Phantaſie iſt die des Mittelalters. Es
iſt hier vorläufig mit Kurzem ausgeſprochen, warum ſie der antiken als
eine neue Epoche begründend gegenübertritt, und der Verlauf wird voll-
ſtändig zeigen, daß ſie gerade die nach beiden Seiten ſcharf abgeſchnittene
mittlere von drei Epochen bilden muß; denn was ſie von der antiken
unterſcheidet, iſt das Prinzip der chriſtlichen Religion, in den germaniſchen
Geiſt aufgenommen, was ſie von der modernen unterſcheidet, iſt das
Heidniſch-Mythiſche, wodurch ſie dieſes Prinzip zu einer tranſcendenten
Welt ausbildet. So haben wir ſchon dieſelben Eintheilungen, wie in der
Lehre von der geſchichtlichen Schönheit. Nun wiſſen wir ja aber über-
haupt, daß die Religion nichts Anderes, als ein Ausdruck des Bewußtſeins
der Menſchheit, der Nilmeſſer ihres Geiſtes iſt; als eigentlicher Einthei-
lungsgrund ſteht für uns auch hinter dem religiös beſtimmten Ideale der
urſprüngliche Geiſt des Volkes und der Zeit, und ſo iſt die ganze Ein-
theilung wieder da, wie in der geſchichtlichen Schönheit. In dieſer fragten
wir: wie viel und was für Stoff geben die Völker und ihre Zeitalter
dem Schönen; jetzt fragen wir: was für und wie viel Schönes muß
die Phantaſie der ſo beſtimmten Zeiten und Völker ſelbſt hervorbrin-
gen? Die Benennungen der Hauptformen der Phantaſie können wir, da
wir ſo auf die Völker und Zeiten ſelbſt als Subject und Grund der
Unterſchiede zurückgehen, ebenſowohl von dieſen, als, wo das Ideal noch
religiös beſtimmt iſt, von dem Standpunkte der Religion entnehmen; am
beſten wird es ſein, beides zugleich in die Bezeichnungen aufzunehmen.
§. 423.
Die Phantaſie iſt alſo, gleichviel, ob ſie die urſprünglichen Stoffe nur
durch die Mitte der zweiten Stoffwelt oder unmittelbar in die Schönheit
erhebt, immer die Frucht der Geſammtkräfte eines Volkes und Zeitalters, in
dem begabten Individuum zuſammengefaßt, und hiemit tritt eine Maſſe von
neuen, geſchichtlichen Bedingungen ein, durch welche ſich, indem ſie mit den
Arten §. 402—404 ſich durchdringen, die individuelle Phantaſie noch concreter
verſchlingt. Als dieſe lebendige Zuſammenfaſſung gibt ſie der Nation und Zeit
ihr eigenes erhöhtes Bild mit der unendlichen Kraft rückwirkender Bildungs-
mittel wieder.
So viele Theilungsgründe wir in der Lehre von den Arten der
Phantaſie fanden, ſo blieb uns doch die Phantaſie des Individuums
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