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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.

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dürfen uns näher in dieses Geschlinge nicht einlassen, denn wir haben
noch andere Aufgaben vor uns.

b.
Das Maaß der Phantasie.
§. 408.

Welche der normalen Arten auch den Mittelpunkt in der Verschlingung
der individuellen Phantasie bilden mag, so ist dieselbe, da sie Geist in Natur-
form, also angeboren ist, wesentlich als ein gegebenes Maaß bestimmt. Von
der Ausdehnung über verschiedene Arten ist zunächst wieder abzusehen und
ebendieß festzuhalten, daß in jeder Art verschiedenes Maaß der Phantasie sich
hervorthun kann. Was dem engeren Maaße zum volleren fehlt, ist verschieden
von den in §. 406 aufgeführten Mängeln und Fehlern, denn es ist jedesmal
ein Mangel, womit die ganze Phantasie behaftet ist; doch stellen sich mit die-
sem in mancherlei Weise auch jene ein.

Daß die Phantasie als wesentlich unmittelbar und (beziehungsweise)
unbewußt wirkendes Organ Naturgabe ist, braucht keiner weiteren Nach-
weisung. Das Zufällige des Naturschönen setzt sich als Zufall angebo-
rener Ausstattung in das subjectiv Schöne fort. Das Maaß ist die
mittlere Kategorie zwischen Geist und Natur, unter welcher die Phantasie
in den Individuen wirklich wird. Maaß ist Einheit der Qualität und
Quantität. Nun sehen wir zwar zunächst von der Ausdehnung über die
Arten wieder ab, um sie erst nach diesem wieder aufzunehmen; allein
von dieser Ausdehnung ist zu unterscheiden die Fülle oder Spärlichkeit,
welche sich ganz in Einer Art zeigen kann und als Quantum immer zu-
gleich Quale ist, Intensität, Kraft, welche äußerlich so und nicht anders
bestimmt ist, weil sie es innerlich ist. Ist nun das Maaß nicht voll,
so wird es der Phantasie auf allen Punkten fehlen, sie wird also von
allen Mängeln und Einseitigkeiten, die in §. 406 auftraten, etwas an
sich haben, doch aber muß auf verschiedenen Stufen des Maaßes der eine
jener Mängel und Fehler leichter eintreten als der andere, wie sich dieß
sogleich zeigen wird.

§. 409.

Die Phantasie ist reine Formthätigkeit, in welche der volle Gehalt der
Idee ununterscheidbar aufgeht. Die erste Stufe der spezifischen Begabung für
dieses reine Formgebiet ist nun diejenige, worin die Formthätigkeit mit einer

dürfen uns näher in dieſes Geſchlinge nicht einlaſſen, denn wir haben
noch andere Aufgaben vor uns.

β.
Das Maaß der Phantaſie.
§. 408.

Welche der normalen Arten auch den Mittelpunkt in der Verſchlingung
der individuellen Phantaſie bilden mag, ſo iſt dieſelbe, da ſie Geiſt in Natur-
form, alſo angeboren iſt, weſentlich als ein gegebenes Maaß beſtimmt. Von
der Ausdehnung über verſchiedene Arten iſt zunächſt wieder abzuſehen und
ebendieß feſtzuhalten, daß in jeder Art verſchiedenes Maaß der Phantaſie ſich
hervorthun kann. Was dem engeren Maaße zum volleren fehlt, iſt verſchieden
von den in §. 406 aufgeführten Mängeln und Fehlern, denn es iſt jedesmal
ein Mangel, womit die ganze Phantaſie behaftet iſt; doch ſtellen ſich mit die-
ſem in mancherlei Weiſe auch jene ein.

Daß die Phantaſie als weſentlich unmittelbar und (beziehungsweiſe)
unbewußt wirkendes Organ Naturgabe iſt, braucht keiner weiteren Nach-
weiſung. Das Zufällige des Naturſchönen ſetzt ſich als Zufall angebo-
rener Ausſtattung in das ſubjectiv Schöne fort. Das Maaß iſt die
mittlere Kategorie zwiſchen Geiſt und Natur, unter welcher die Phantaſie
in den Individuen wirklich wird. Maaß iſt Einheit der Qualität und
Quantität. Nun ſehen wir zwar zunächſt von der Ausdehnung über die
Arten wieder ab, um ſie erſt nach dieſem wieder aufzunehmen; allein
von dieſer Ausdehnung iſt zu unterſcheiden die Fülle oder Spärlichkeit,
welche ſich ganz in Einer Art zeigen kann und als Quantum immer zu-
gleich Quale iſt, Intenſität, Kraft, welche äußerlich ſo und nicht anders
beſtimmt iſt, weil ſie es innerlich iſt. Iſt nun das Maaß nicht voll,
ſo wird es der Phantaſie auf allen Punkten fehlen, ſie wird alſo von
allen Mängeln und Einſeitigkeiten, die in §. 406 auftraten, etwas an
ſich haben, doch aber muß auf verſchiedenen Stufen des Maaßes der eine
jener Mängel und Fehler leichter eintreten als der andere, wie ſich dieß
ſogleich zeigen wird.

§. 409.

Die Phantaſie iſt reine Formthätigkeit, in welche der volle Gehalt der
Idee ununterſcheidbar aufgeht. Die erſte Stufe der ſpezifiſchen Begabung für
dieſes reine Formgebiet iſt nun diejenige, worin die Formthätigkeit mit einer

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[388/0102] dürfen uns näher in dieſes Geſchlinge nicht einlaſſen, denn wir haben noch andere Aufgaben vor uns. β. Das Maaß der Phantaſie. §. 408. Welche der normalen Arten auch den Mittelpunkt in der Verſchlingung der individuellen Phantaſie bilden mag, ſo iſt dieſelbe, da ſie Geiſt in Natur- form, alſo angeboren iſt, weſentlich als ein gegebenes Maaß beſtimmt. Von der Ausdehnung über verſchiedene Arten iſt zunächſt wieder abzuſehen und ebendieß feſtzuhalten, daß in jeder Art verſchiedenes Maaß der Phantaſie ſich hervorthun kann. Was dem engeren Maaße zum volleren fehlt, iſt verſchieden von den in §. 406 aufgeführten Mängeln und Fehlern, denn es iſt jedesmal ein Mangel, womit die ganze Phantaſie behaftet iſt; doch ſtellen ſich mit die- ſem in mancherlei Weiſe auch jene ein. Daß die Phantaſie als weſentlich unmittelbar und (beziehungsweiſe) unbewußt wirkendes Organ Naturgabe iſt, braucht keiner weiteren Nach- weiſung. Das Zufällige des Naturſchönen ſetzt ſich als Zufall angebo- rener Ausſtattung in das ſubjectiv Schöne fort. Das Maaß iſt die mittlere Kategorie zwiſchen Geiſt und Natur, unter welcher die Phantaſie in den Individuen wirklich wird. Maaß iſt Einheit der Qualität und Quantität. Nun ſehen wir zwar zunächſt von der Ausdehnung über die Arten wieder ab, um ſie erſt nach dieſem wieder aufzunehmen; allein von dieſer Ausdehnung iſt zu unterſcheiden die Fülle oder Spärlichkeit, welche ſich ganz in Einer Art zeigen kann und als Quantum immer zu- gleich Quale iſt, Intenſität, Kraft, welche äußerlich ſo und nicht anders beſtimmt iſt, weil ſie es innerlich iſt. Iſt nun das Maaß nicht voll, ſo wird es der Phantaſie auf allen Punkten fehlen, ſie wird alſo von allen Mängeln und Einſeitigkeiten, die in §. 406 auftraten, etwas an ſich haben, doch aber muß auf verſchiedenen Stufen des Maaßes der eine jener Mängel und Fehler leichter eintreten als der andere, wie ſich dieß ſogleich zeigen wird. §. 409. Die Phantaſie iſt reine Formthätigkeit, in welche der volle Gehalt der Idee ununterſcheidbar aufgeht. Die erſte Stufe der ſpezifiſchen Begabung für dieſes reine Formgebiet iſt nun diejenige, worin die Formthätigkeit mit einer

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/102>, abgerufen am 23.11.2024.