Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
das Blatt der Esche, der Acazie, doppelt gefiedert sind solche Blätter, wo Daß nun aber ein Baum mit gebuchteten Blättern einen andern 2. Der dicke Stamm der Eiche hat vorzüglich rauhe Rinde, knorrige,
das Blatt der Eſche, der Acazie, doppelt gefiedert ſind ſolche Blätter, wo Daß nun aber ein Baum mit gebuchteten Blättern einen andern 2. Der dicke Stamm der Eiche hat vorzüglich rauhe Rinde, knorrige, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0099" n="87"/> das Blatt der Eſche, der Acazie, doppelt gefiedert ſind ſolche Blätter, wo<lb/> vom gemeinſamen Blattſtiele wieder ſecundäre Blattſtiele mit ſich gegen-<lb/> überſtehenden Blättchen auslaufen, wie z. B. bei manchen Mimoſen;<lb/> gefingert iſt das Blatt der Kaſtanie u. ſ. w. Eine neue Form entſteht<lb/> durch die Stachelbildung am Rande, wie ſie namentlich die Diſteln in ſo<lb/> mannigfaltigem und anziehendem Spiele darſtellen. So zierlich nun alle<lb/> dieſe Formen ſind, ſo kann doch das vereinzelte Blatt niemals ſelbſtändig<lb/> ſchön heißen, denn dieſe Formen führen zwar Vorſtellungen verwandter<lb/> Bildungen, die eine Bedeutung haben (Organe des thieriſchen Leibes,<lb/> Waffen u. ſ. w.) vor das Gemüth, aber ſo ungefähr und dunkel, das<lb/> Verwandte ſelbſt iſt auch etwas für ſich ſo Unſelbſtändiges, daß dieſes<lb/> anklingende Spiel unmöglich im eigentlichen Sinne ſchön heißen kann.<lb/> Es wird hier Jedem ſogleich beifallen, daß die Kunſt einzelne Blattformen<lb/> benutzt, aber auch nur zu Verzierungen eines Körpers, deſſen ganze<lb/> Schönheit anderswo, in ſeinen Verhältniſſen überhaupt liegt, und zudem<lb/> doch nicht ſowohl das einzelne Blatt, als vielmehr eine Reihe, Gruppe<lb/> von Blättern und zwar meiſt nicht nur von verſchiedenartigen, ſondern über-<lb/> dieß in Verbindung mit rankenden Stielen, Stengeln, mit Thier- und<lb/> Menſchengeſtalten u. dergl.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Daß nun aber ein Baum mit gebuchteten Blättern einen andern<lb/> Charakter haben wird, als mit gefiederten, gelappten u. ſ. w. leuchtet ein,<lb/> und hier erſt erhalten auch Stellung, Größe u. ſ. w. ihre ganze äſthetiſche<lb/> Bedeutung: Blätter, welche rund um ihre Axe zerſtreut ſtehen, werden<lb/> dem Baume ein volleres Anſehen geben, als ſolche, die ſich zu zwei<lb/> gerade gegenüberſtehen u. ſ. w. Von beſonderer Wichtigkeit iſt die Textur:<lb/> der ſilhouettenartige Charakter der ſüdlichen Pflanzenwelt rührt namentlich von<lb/> der lederartigen Qualität ſo vieler Baumſchläge, des Lorbeers, der immer-<lb/> grünen Eiche u. ſ. w.; ferner die von der Länge des Stiels abhängige<lb/> Beweglichkeit: die Zitterpappel oder Eſpe mit dem ſtets bewegten Laube<lb/> wird anders zum Gemüthe ſprechen, als die ſtarre Buche mit den kurzen<lb/> und feſten Blattſtielen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Der dicke Stamm der Eiche hat vorzüglich rauhe Rinde, knorrige,<lb/> vielgekrümmte Aeſte und ſie müßte in hohem Grade hart erſcheinen, wenn<lb/> nicht die ſaftigen und ſchön gebuchteten Blätter ſie überkleideten, ſo aber<lb/> entſteht ein ſchöner Gegenſatz; die lanzettförmigen Blätter der Weide müßten<lb/> dem Baume ein ſcharfes, ſpitzes Anſehen geben, wären nicht Aeſte und<lb/> Zweige ſo biegſam, daß jeder Wind ſie umlegt und reizende Wellen erzeugt;<lb/> noch weicher erſcheint die Trauerweide mit den überhängenden Zweigen.<lb/> Mit dem zarten Laube der Eſpe und Birke ſtimmt ſchlanker, großentheils<lb/> glatter Stamm, in halbem rechtem Winkel abſtehende, überhängende<lb/> Zweige u. ſ. w. Es iſt im Bau ſelbſt des entblätterten Gerippes der<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0099]
das Blatt der Eſche, der Acazie, doppelt gefiedert ſind ſolche Blätter, wo
vom gemeinſamen Blattſtiele wieder ſecundäre Blattſtiele mit ſich gegen-
überſtehenden Blättchen auslaufen, wie z. B. bei manchen Mimoſen;
gefingert iſt das Blatt der Kaſtanie u. ſ. w. Eine neue Form entſteht
durch die Stachelbildung am Rande, wie ſie namentlich die Diſteln in ſo
mannigfaltigem und anziehendem Spiele darſtellen. So zierlich nun alle
dieſe Formen ſind, ſo kann doch das vereinzelte Blatt niemals ſelbſtändig
ſchön heißen, denn dieſe Formen führen zwar Vorſtellungen verwandter
Bildungen, die eine Bedeutung haben (Organe des thieriſchen Leibes,
Waffen u. ſ. w.) vor das Gemüth, aber ſo ungefähr und dunkel, das
Verwandte ſelbſt iſt auch etwas für ſich ſo Unſelbſtändiges, daß dieſes
anklingende Spiel unmöglich im eigentlichen Sinne ſchön heißen kann.
Es wird hier Jedem ſogleich beifallen, daß die Kunſt einzelne Blattformen
benutzt, aber auch nur zu Verzierungen eines Körpers, deſſen ganze
Schönheit anderswo, in ſeinen Verhältniſſen überhaupt liegt, und zudem
doch nicht ſowohl das einzelne Blatt, als vielmehr eine Reihe, Gruppe
von Blättern und zwar meiſt nicht nur von verſchiedenartigen, ſondern über-
dieß in Verbindung mit rankenden Stielen, Stengeln, mit Thier- und
Menſchengeſtalten u. dergl.
Daß nun aber ein Baum mit gebuchteten Blättern einen andern
Charakter haben wird, als mit gefiederten, gelappten u. ſ. w. leuchtet ein,
und hier erſt erhalten auch Stellung, Größe u. ſ. w. ihre ganze äſthetiſche
Bedeutung: Blätter, welche rund um ihre Axe zerſtreut ſtehen, werden
dem Baume ein volleres Anſehen geben, als ſolche, die ſich zu zwei
gerade gegenüberſtehen u. ſ. w. Von beſonderer Wichtigkeit iſt die Textur:
der ſilhouettenartige Charakter der ſüdlichen Pflanzenwelt rührt namentlich von
der lederartigen Qualität ſo vieler Baumſchläge, des Lorbeers, der immer-
grünen Eiche u. ſ. w.; ferner die von der Länge des Stiels abhängige
Beweglichkeit: die Zitterpappel oder Eſpe mit dem ſtets bewegten Laube
wird anders zum Gemüthe ſprechen, als die ſtarre Buche mit den kurzen
und feſten Blattſtielen.
2. Der dicke Stamm der Eiche hat vorzüglich rauhe Rinde, knorrige,
vielgekrümmte Aeſte und ſie müßte in hohem Grade hart erſcheinen, wenn
nicht die ſaftigen und ſchön gebuchteten Blätter ſie überkleideten, ſo aber
entſteht ein ſchöner Gegenſatz; die lanzettförmigen Blätter der Weide müßten
dem Baume ein ſcharfes, ſpitzes Anſehen geben, wären nicht Aeſte und
Zweige ſo biegſam, daß jeder Wind ſie umlegt und reizende Wellen erzeugt;
noch weicher erſcheint die Trauerweide mit den überhängenden Zweigen.
Mit dem zarten Laube der Eſpe und Birke ſtimmt ſchlanker, großentheils
glatter Stamm, in halbem rechtem Winkel abſtehende, überhängende
Zweige u. ſ. w. Es iſt im Bau ſelbſt des entblätterten Gerippes der
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