Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.Aesthetik diese Form vor allen zu berücksichtigen hat. Hier erscheint denn Aeſthetik dieſe Form vor allen zu berückſichtigen hat. Hier erſcheint denn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <pb facs="#f0096" n="84"/> <hi rendition="#et">Aeſthetik dieſe Form vor allen zu berückſichtigen hat. Hier erſcheint denn<lb/> das Organ der Saftleitung, der Stamm, in langgeſtreckter, walzenförmiger<lb/> Geſtalt und zeigt ſeine Beſtimmung, blos zu vermitteln, durch den dichten<lb/> Holzcharakter und die Rinde an, eine Verhärtung, die an Unorganiſches<lb/> erinnert, während jedoch die runde Linie ſeiner Cylinderform bereits über<lb/> dieß ganze Reich, worin das Runde nur zufällig und verſchwindend auf-<lb/> tritt, weſentlich hinausweist. Dem unmittelbaren, äſthetiſchen Anblick<lb/> ſtellt ſich ſo der Stamm weſentlich als der feſte Träger dar, der die<lb/> lebendigere Krone in die Höhe ſchickt. Die Aeſte mit ihren Zweigen und<lb/> Blättern nun ſtehen im Allgemeinen horizontal vom Stamme ab, die<lb/> Linie iſt jedoch ſelten die gerade, wodurch ein rechter Winkel mit dem<lb/> Stamme entſteht, wie z. B. bei einigen Nadelhölzern, ſondern durch die<lb/> Richtung der Aeſte nach oben oder ihr Ueberhängen bildet ſich bald ein<lb/> ſpitzer, bald ein ſtumpfer Winkel, was für den äſthetiſchen Charakter des<lb/> Baums von großer Wichtigkeit iſt. Auf die Monokotyledonen, deren ſcheiden-<lb/> artige Blätter ohne Veräſtung und Verſtielung unmittelbar vom Stamme<lb/> ausgehen, konnte hier keine beſondere Rückſicht genommen werden; die<lb/> vollkommneren unter ihnen bilden durch den Blätterbüſchel eine Krone,<lb/> welche in ihrem Umriß eine Kugelform darſtellt, und theils dieſelbe Form,<lb/> theils die Pyramidenform iſt es, welche die Krone der dikotyledoniſchen<lb/> Bäume entwickelt. Die kugelähnliche Form der Krone iſt allerdings theils<lb/> nach oben durch den höher ragenden Gipfel dem Kegel, theils nach unten,<lb/> wo die Aeſte beginnen, mehr oder minder einer geradlinigen Baſis genähert;<lb/> an einigen Bäumen erſcheint breite Kuppelform u. ſ. w.; es kommt aber<lb/> hier auf eine kurze Bezeichnung des allgemeinen Hauptumriſſes an. Die<lb/> Organe der Pflanzen ſtellen ſich kreisförmig um Stamm und Stengel her,<lb/> wogegen im thieriſchen Reiche weſentlich die Anordnung von je zwei<lb/> Organen zu zwei Seiten auftreten wird. Dieſe Form nun einer breiten<lb/> maſſigen Krone auf einem geradlinig aufſteigenden, im Verhältniß zu ihr<lb/> dünnen Träger würde unſer Auge verletzen, wenn nicht die Krone in<lb/> ihrer Laubumhüllung zart, beweglich, durchſichtig, der Stamm feſt und<lb/> holzig wäre. Was aber die im §. ausgeſprochene Symmetrie der Pflanze<lb/> im Ganzen betrifft, welche ſich vorzüglich auch in der Anordnung der<lb/> Blätter am Stengel und den Aeſten, der gegenſtändigen, wechſelſtändigen,<lb/> wirtelförmigen, ſpiralartigen u. ſ. w., und ebenſo auch im geſetzmäßigen<lb/> Bau des einzelnen Blatts darſtellt, ſo erwäge man zunächſt nur, daß das<lb/> Thier und der Menſch zwar auch ſymmetriſch, ja ſtrenger ſymmetriſch<lb/> gebaut iſt, daß aber dieſe Weſen außer der Symmetrie durch andere,<lb/> reichere Eigenſchaften höhere äſthetiſche Momente in ſich vereinigen, wodurch<lb/> die Symmetrie aufhört, bezeichnendes Prädicat zu ſein. Die Pflanze ſelbſt<lb/> erreicht vielmehr gerade durch das erſt ihre äſthetiſche Bedeutung, wodurch ſie<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0096]
Aeſthetik dieſe Form vor allen zu berückſichtigen hat. Hier erſcheint denn
das Organ der Saftleitung, der Stamm, in langgeſtreckter, walzenförmiger
Geſtalt und zeigt ſeine Beſtimmung, blos zu vermitteln, durch den dichten
Holzcharakter und die Rinde an, eine Verhärtung, die an Unorganiſches
erinnert, während jedoch die runde Linie ſeiner Cylinderform bereits über
dieß ganze Reich, worin das Runde nur zufällig und verſchwindend auf-
tritt, weſentlich hinausweist. Dem unmittelbaren, äſthetiſchen Anblick
ſtellt ſich ſo der Stamm weſentlich als der feſte Träger dar, der die
lebendigere Krone in die Höhe ſchickt. Die Aeſte mit ihren Zweigen und
Blättern nun ſtehen im Allgemeinen horizontal vom Stamme ab, die
Linie iſt jedoch ſelten die gerade, wodurch ein rechter Winkel mit dem
Stamme entſteht, wie z. B. bei einigen Nadelhölzern, ſondern durch die
Richtung der Aeſte nach oben oder ihr Ueberhängen bildet ſich bald ein
ſpitzer, bald ein ſtumpfer Winkel, was für den äſthetiſchen Charakter des
Baums von großer Wichtigkeit iſt. Auf die Monokotyledonen, deren ſcheiden-
artige Blätter ohne Veräſtung und Verſtielung unmittelbar vom Stamme
ausgehen, konnte hier keine beſondere Rückſicht genommen werden; die
vollkommneren unter ihnen bilden durch den Blätterbüſchel eine Krone,
welche in ihrem Umriß eine Kugelform darſtellt, und theils dieſelbe Form,
theils die Pyramidenform iſt es, welche die Krone der dikotyledoniſchen
Bäume entwickelt. Die kugelähnliche Form der Krone iſt allerdings theils
nach oben durch den höher ragenden Gipfel dem Kegel, theils nach unten,
wo die Aeſte beginnen, mehr oder minder einer geradlinigen Baſis genähert;
an einigen Bäumen erſcheint breite Kuppelform u. ſ. w.; es kommt aber
hier auf eine kurze Bezeichnung des allgemeinen Hauptumriſſes an. Die
Organe der Pflanzen ſtellen ſich kreisförmig um Stamm und Stengel her,
wogegen im thieriſchen Reiche weſentlich die Anordnung von je zwei
Organen zu zwei Seiten auftreten wird. Dieſe Form nun einer breiten
maſſigen Krone auf einem geradlinig aufſteigenden, im Verhältniß zu ihr
dünnen Träger würde unſer Auge verletzen, wenn nicht die Krone in
ihrer Laubumhüllung zart, beweglich, durchſichtig, der Stamm feſt und
holzig wäre. Was aber die im §. ausgeſprochene Symmetrie der Pflanze
im Ganzen betrifft, welche ſich vorzüglich auch in der Anordnung der
Blätter am Stengel und den Aeſten, der gegenſtändigen, wechſelſtändigen,
wirtelförmigen, ſpiralartigen u. ſ. w., und ebenſo auch im geſetzmäßigen
Bau des einzelnen Blatts darſtellt, ſo erwäge man zunächſt nur, daß das
Thier und der Menſch zwar auch ſymmetriſch, ja ſtrenger ſymmetriſch
gebaut iſt, daß aber dieſe Weſen außer der Symmetrie durch andere,
reichere Eigenſchaften höhere äſthetiſche Momente in ſich vereinigen, wodurch
die Symmetrie aufhört, bezeichnendes Prädicat zu ſein. Die Pflanze ſelbſt
erreicht vielmehr gerade durch das erſt ihre äſthetiſche Bedeutung, wodurch ſie
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