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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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eine Wirkung, wiewohl sie nach der einen Seite eine Reaction war, denn
sie hat auch ihre wesentliche positive Bedeutung; die Revolution ist daher
in diesem Zusammenhang als Gegenwirkung zu bezeichnen. Die Monarchie
ist die Form des siebzehnten Jahrhunderts. In Spanien war die absolute
Herrschaft eines einzigen Menschen über ein ganzes Volk schon durch
Carl V vollendet, Philipp II übernimmt sein System ohne seinen Geist
und wird zum Vertreter der starren, bigotten Autokratie; aber Spanien
tritt nun aus der Reihe der geschichtlichen Völker, neue Verwirrung durch-
tobt Europa und es braucht einen neuen streng und klug durchgreifenden
Act, Ordnung und Einheit zu schaffen. Frankreich führt jetzt, und zwar
nicht mit Pfaffen und Inquisition, sondern mit weltlichem Verstande die
absolute Monarchie durch. Richelieu, Mazarin, Ludwig XIV. Die
Hauptmittel sind namentlich Heranziehung des Adels an den Hof,
Abgabensystem, stehendes Heer, fast mehr gegen innen, als gegen außen,
Polizei: in ihrer eigentlichen Bedeutung als Mißtrauenswaffe der
Monarchie durch die Beschränkung aller individuellen Lebendigkeit ein Tod-
feind des Schönen. Die Durchführung des Allgemeinen im Staate ist
keineswegs nothwendig eine Mechanisirung, Ertödtung, Einschnürung des
individuellen Lebens, aber sie mußte zuerst diese Form annehmen, weil
über die Reste des Vasallentrotzes, die zerrissene Welt der Parteiungen
und Leidenschaften eine starke Faust von oben kommen sollte und die
Menschen, die nicht einig sind im Willen der Ordnung, durch Einen
Gewalthaber in die Ordnung gezwängt werden müssen. Dieser Eine
mußte jedoch hinter seinem historischen Rechte Gefühl des Unrechts in sich
tragen, Mißtrauen wurde sein Schicksal, daher belauerte er auch die
gerechte freie Regung. Ueberhaupt aber konnte die Zeit, in welcher das
freie Selbstbewußtsein neu war, nicht aus der rohen Zersplitterung sogleich
zur concreten Idee übergehen, sondern nur erst zur verständigen Zusammen-
fassung. Der Verstand nun führt überhaupt einen Rest nicht aufgelöster
Sinnlichkeit in sich; er wirkt abstract, leblos zusammenfassend, er läßt
aber zugleich hinter dem Abstracten ein sinnliches Ding, ein Einzelnes
stehen. Einheit und Allgemeinheit des Staates führt sich also in der
Breite mit aller Härte der Abstractheit durch und auf der Spitze fällt sie,
sinnlich roh verstanden, in die Person des Monarchen: l'etat c'est moi;
sie ist Product Eines Individuums, statt aller. Volk und Bürger treten,
still und langsam reifend, wieder in Dunkel zurück, die Schönheit muß
ihre Stoffe an den Höfen suchen, im feierlichen Glanze der Repräsentation,
in den Genüssen und Ränken des den Monarchen umgebenden, gezähmten
und schwelgerischen Adels. -- Am wenigsten gelingt diese Durchführung
der verständigen Monarchie in England. Hier herrschen die Privilegien,
der Rest des Mittelalters, heilsam als Beschränkung der Monarchie,

eine Wirkung, wiewohl ſie nach der einen Seite eine Reaction war, denn
ſie hat auch ihre weſentliche poſitive Bedeutung; die Revolution iſt daher
in dieſem Zuſammenhang als Gegenwirkung zu bezeichnen. Die Monarchie
iſt die Form des ſiebzehnten Jahrhunderts. In Spanien war die abſolute
Herrſchaft eines einzigen Menſchen über ein ganzes Volk ſchon durch
Carl V vollendet, Philipp II übernimmt ſein Syſtem ohne ſeinen Geiſt
und wird zum Vertreter der ſtarren, bigotten Autokratie; aber Spanien
tritt nun aus der Reihe der geſchichtlichen Völker, neue Verwirrung durch-
tobt Europa und es braucht einen neuen ſtreng und klug durchgreifenden
Act, Ordnung und Einheit zu ſchaffen. Frankreich führt jetzt, und zwar
nicht mit Pfaffen und Inquiſition, ſondern mit weltlichem Verſtande die
abſolute Monarchie durch. Richelieu, Mazarin, Ludwig XIV. Die
Hauptmittel ſind namentlich Heranziehung des Adels an den Hof,
Abgabenſyſtem, ſtehendes Heer, faſt mehr gegen innen, als gegen außen,
Polizei: in ihrer eigentlichen Bedeutung als Mißtrauenswaffe der
Monarchie durch die Beſchränkung aller individuellen Lebendigkeit ein Tod-
feind des Schönen. Die Durchführung des Allgemeinen im Staate iſt
keineswegs nothwendig eine Mechaniſirung, Ertödtung, Einſchnürung des
individuellen Lebens, aber ſie mußte zuerſt dieſe Form annehmen, weil
über die Reſte des Vaſallentrotzes, die zerriſſene Welt der Parteiungen
und Leidenſchaften eine ſtarke Fauſt von oben kommen ſollte und die
Menſchen, die nicht einig ſind im Willen der Ordnung, durch Einen
Gewalthaber in die Ordnung gezwängt werden müſſen. Dieſer Eine
mußte jedoch hinter ſeinem hiſtoriſchen Rechte Gefühl des Unrechts in ſich
tragen, Mißtrauen wurde ſein Schickſal, daher belauerte er auch die
gerechte freie Regung. Ueberhaupt aber konnte die Zeit, in welcher das
freie Selbſtbewußtſein neu war, nicht aus der rohen Zerſplitterung ſogleich
zur concreten Idee übergehen, ſondern nur erſt zur verſtändigen Zuſammen-
faſſung. Der Verſtand nun führt überhaupt einen Reſt nicht aufgelöster
Sinnlichkeit in ſich; er wirkt abſtract, leblos zuſammenfaſſend, er läßt
aber zugleich hinter dem Abſtracten ein ſinnliches Ding, ein Einzelnes
ſtehen. Einheit und Allgemeinheit des Staates führt ſich alſo in der
Breite mit aller Härte der Abſtractheit durch und auf der Spitze fällt ſie,
ſinnlich roh verſtanden, in die Perſon des Monarchen: l’état c’est moi;
ſie iſt Product Eines Individuums, ſtatt aller. Volk und Bürger treten,
ſtill und langſam reifend, wieder in Dunkel zurück, die Schönheit muß
ihre Stoffe an den Höfen ſuchen, im feierlichen Glanze der Repräſentation,
in den Genüſſen und Ränken des den Monarchen umgebenden, gezähmten
und ſchwelgeriſchen Adels. — Am wenigſten gelingt dieſe Durchführung
der verſtändigen Monarchie in England. Hier herrſchen die Privilegien,
der Reſt des Mittelalters, heilſam als Beſchränkung der Monarchie,

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[280/0292] eine Wirkung, wiewohl ſie nach der einen Seite eine Reaction war, denn ſie hat auch ihre weſentliche poſitive Bedeutung; die Revolution iſt daher in dieſem Zuſammenhang als Gegenwirkung zu bezeichnen. Die Monarchie iſt die Form des ſiebzehnten Jahrhunderts. In Spanien war die abſolute Herrſchaft eines einzigen Menſchen über ein ganzes Volk ſchon durch Carl V vollendet, Philipp II übernimmt ſein Syſtem ohne ſeinen Geiſt und wird zum Vertreter der ſtarren, bigotten Autokratie; aber Spanien tritt nun aus der Reihe der geſchichtlichen Völker, neue Verwirrung durch- tobt Europa und es braucht einen neuen ſtreng und klug durchgreifenden Act, Ordnung und Einheit zu ſchaffen. Frankreich führt jetzt, und zwar nicht mit Pfaffen und Inquiſition, ſondern mit weltlichem Verſtande die abſolute Monarchie durch. Richelieu, Mazarin, Ludwig XIV. Die Hauptmittel ſind namentlich Heranziehung des Adels an den Hof, Abgabenſyſtem, ſtehendes Heer, faſt mehr gegen innen, als gegen außen, Polizei: in ihrer eigentlichen Bedeutung als Mißtrauenswaffe der Monarchie durch die Beſchränkung aller individuellen Lebendigkeit ein Tod- feind des Schönen. Die Durchführung des Allgemeinen im Staate iſt keineswegs nothwendig eine Mechaniſirung, Ertödtung, Einſchnürung des individuellen Lebens, aber ſie mußte zuerſt dieſe Form annehmen, weil über die Reſte des Vaſallentrotzes, die zerriſſene Welt der Parteiungen und Leidenſchaften eine ſtarke Fauſt von oben kommen ſollte und die Menſchen, die nicht einig ſind im Willen der Ordnung, durch Einen Gewalthaber in die Ordnung gezwängt werden müſſen. Dieſer Eine mußte jedoch hinter ſeinem hiſtoriſchen Rechte Gefühl des Unrechts in ſich tragen, Mißtrauen wurde ſein Schickſal, daher belauerte er auch die gerechte freie Regung. Ueberhaupt aber konnte die Zeit, in welcher das freie Selbſtbewußtſein neu war, nicht aus der rohen Zerſplitterung ſogleich zur concreten Idee übergehen, ſondern nur erſt zur verſtändigen Zuſammen- faſſung. Der Verſtand nun führt überhaupt einen Reſt nicht aufgelöster Sinnlichkeit in ſich; er wirkt abſtract, leblos zuſammenfaſſend, er läßt aber zugleich hinter dem Abſtracten ein ſinnliches Ding, ein Einzelnes ſtehen. Einheit und Allgemeinheit des Staates führt ſich alſo in der Breite mit aller Härte der Abſtractheit durch und auf der Spitze fällt ſie, ſinnlich roh verſtanden, in die Perſon des Monarchen: l’état c’est moi; ſie iſt Product Eines Individuums, ſtatt aller. Volk und Bürger treten, ſtill und langſam reifend, wieder in Dunkel zurück, die Schönheit muß ihre Stoffe an den Höfen ſuchen, im feierlichen Glanze der Repräſentation, in den Genüſſen und Ränken des den Monarchen umgebenden, gezähmten und ſchwelgeriſchen Adels. — Am wenigſten gelingt dieſe Durchführung der verſtändigen Monarchie in England. Hier herrſchen die Privilegien, der Reſt des Mittelalters, heilſam als Beſchränkung der Monarchie,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/292>, abgerufen am 25.11.2024.