bezweckt, hervorgeht. Die Blüthe der Schönheit war den Italienern ein trügerisches, nicht nachhaltiges Surrogat der Reformation im sechzehnten Jahrhundert. Die gesunde Philisterhaftigkeit der deutschen Natur stieg hinter den dogmatischen Schein des Schönen, zernagte ihn schonungslos und befreite den Geist. Von Deutschland selbst bleibt jedoch ein Theil, im Westen, Nordwesten und Südosten, katholisch und dieser wird obscur und stabil, deutsche Türkei, jenen belebt zum Theil wieder die Berührung mit Frankreich.
2. Die mittelalterliche Kirche, die das Mittelalter überlebt, die Reformation ausgestoßen hat, ist eine andere, als vorher. Sie konnte in ihrem Prachtbau, als er zeitgemäß war, eine Religion der Schönheit heißen, jetzt wird sie Religion der Beschönigung. Sie restaurirt sich im Gegensatze gegen den Feind namentlich durch hohle Pracht. Die ganze ästhetische Schwäche dieser neuen Pracht ist an anderem Orte darzustellen. Hier ist wichtiger, daß sie böse wird. Erneute Ketzerverfolgung, Inqui- sition, Folter, zahllose Scheiterhaufen, Jesuiten, die Stütze der Kirche, die über ihren Tod hinaus leben will. Gespenstisch ist insbesondere die Erscheinung der Jesuiten. Dieser Orden verkehrt alle höchsten und feinsten Kräfte des Geistes in Mittel für ein Nichtseiendes, verdreht sie mit der absolut negativen Begeisterung, welche die ganze Geschichte läugnet, in Sophistik, Lüge, Mord, schleicht unsichtbar wie Pestluft, umspinnt flüsternd und lispelnd den gesunden Leib der Welt, sickert als feines Gift durch die Röhren ihres Baus. Vornehmer Habitus in der Ordenstracht, feiner Ueberzug des lauernden Fanatismus im physiognomischen Ausdruck. Reich- thum von Stoffen, die hier liegen, zuletzt von Eugen Süe mit Talent benützt. Tartüffe.
§. 367.
Als Erscheinung für sich auf dem Gebiete der Religion ist die Refor- mation unmittelbar kein ästhetischer Stoff; denn sie ist, obwohl mit den humanistischen Studien (§. 363, 2) zusammenwirkend, nur innere Sammlung und Befreiung des Geistes. Sie zerstört sogar eine Welt ästhetischer Erschei- nungen theils im Gottesdienste, theils mittelbar durch einseitige, physiognomisch1 allerdings sehr bemerkbare Innerlichkeit und Kampf gegen die Sinnlichkeit. Im Keime enthält sie zwar die Bedingungen höherer Wiederherstellung, aber2 dieser Keim trennt sich von ihr, indem sie zur Kirche verknöchert, die Zweiheit des Mittelalters (§. 359) fortsetzt, den Glauben bindet und durch Verfolgungs- sucht und Fanatismus auch von ihrer Seite eigenthümliche Formen des Bösen erzeugt.
bezweckt, hervorgeht. Die Blüthe der Schönheit war den Italienern ein trügeriſches, nicht nachhaltiges Surrogat der Reformation im ſechzehnten Jahrhundert. Die geſunde Philiſterhaftigkeit der deutſchen Natur ſtieg hinter den dogmatiſchen Schein des Schönen, zernagte ihn ſchonungslos und befreite den Geiſt. Von Deutſchland ſelbſt bleibt jedoch ein Theil, im Weſten, Nordweſten und Südoſten, katholiſch und dieſer wird obſcur und ſtabil, deutſche Türkei, jenen belebt zum Theil wieder die Berührung mit Frankreich.
2. Die mittelalterliche Kirche, die das Mittelalter überlebt, die Reformation ausgeſtoßen hat, iſt eine andere, als vorher. Sie konnte in ihrem Prachtbau, als er zeitgemäß war, eine Religion der Schönheit heißen, jetzt wird ſie Religion der Beſchönigung. Sie reſtaurirt ſich im Gegenſatze gegen den Feind namentlich durch hohle Pracht. Die ganze äſthetiſche Schwäche dieſer neuen Pracht iſt an anderem Orte darzuſtellen. Hier iſt wichtiger, daß ſie böſe wird. Erneute Ketzerverfolgung, Inqui- ſition, Folter, zahlloſe Scheiterhaufen, Jeſuiten, die Stütze der Kirche, die über ihren Tod hinaus leben will. Geſpenſtiſch iſt insbeſondere die Erſcheinung der Jeſuiten. Dieſer Orden verkehrt alle höchſten und feinſten Kräfte des Geiſtes in Mittel für ein Nichtſeiendes, verdreht ſie mit der abſolut negativen Begeiſterung, welche die ganze Geſchichte läugnet, in Sophiſtik, Lüge, Mord, ſchleicht unſichtbar wie Peſtluft, umſpinnt flüſternd und liſpelnd den geſunden Leib der Welt, ſickert als feines Gift durch die Röhren ihres Baus. Vornehmer Habitus in der Ordenstracht, feiner Ueberzug des lauernden Fanatiſmus im phyſiognomiſchen Ausdruck. Reich- thum von Stoffen, die hier liegen, zuletzt von Eugen Süe mit Talent benützt. Tartüffe.
§. 367.
Als Erſcheinung für ſich auf dem Gebiete der Religion iſt die Refor- mation unmittelbar kein äſthetiſcher Stoff; denn ſie iſt, obwohl mit den humaniſtiſchen Studien (§. 363, 2) zuſammenwirkend, nur innere Sammlung und Befreiung des Geiſtes. Sie zerſtört ſogar eine Welt äſthetiſcher Erſchei- nungen theils im Gottesdienſte, theils mittelbar durch einſeitige, phyſiognomiſch1 allerdings ſehr bemerkbare Innerlichkeit und Kampf gegen die Sinnlichkeit. Im Keime enthält ſie zwar die Bedingungen höherer Wiederherſtellung, aber2 dieſer Keim trennt ſich von ihr, indem ſie zur Kirche verknöchert, die Zweiheit des Mittelalters (§. 359) fortſetzt, den Glauben bindet und durch Verfolgungs- ſucht und Fanatiſmus auch von ihrer Seite eigenthümliche Formen des Böſen erzeugt.
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trügeriſches, nicht nachhaltiges Surrogat der Reformation im ſechzehnten
Jahrhundert. Die geſunde Philiſterhaftigkeit der deutſchen Natur ſtieg
hinter den dogmatiſchen Schein des Schönen, zernagte ihn ſchonungslos
und befreite den Geiſt. Von Deutſchland ſelbſt bleibt jedoch ein Theil,
im Weſten, Nordweſten und Südoſten, katholiſch und dieſer wird obſcur
und ſtabil, deutſche Türkei, jenen belebt zum Theil wieder die Berührung
mit Frankreich.
2. Die mittelalterliche Kirche, die das Mittelalter überlebt, die
Reformation ausgeſtoßen hat, iſt eine andere, als vorher. Sie konnte
in ihrem Prachtbau, als er zeitgemäß war, eine Religion der Schönheit
heißen, jetzt wird ſie Religion der Beſchönigung. Sie reſtaurirt ſich im
Gegenſatze gegen den Feind namentlich durch hohle Pracht. Die ganze
äſthetiſche Schwäche dieſer neuen Pracht iſt an anderem Orte darzuſtellen.
Hier iſt wichtiger, daß ſie böſe wird. Erneute Ketzerverfolgung, Inqui-
ſition, Folter, zahlloſe Scheiterhaufen, Jeſuiten, die Stütze der Kirche,
die über ihren Tod hinaus leben will. Geſpenſtiſch iſt insbeſondere die
Erſcheinung der Jeſuiten. Dieſer Orden verkehrt alle höchſten und feinſten
Kräfte des Geiſtes in Mittel für ein Nichtſeiendes, verdreht ſie mit der
abſolut negativen Begeiſterung, welche die ganze Geſchichte läugnet, in
Sophiſtik, Lüge, Mord, ſchleicht unſichtbar wie Peſtluft, umſpinnt flüſternd
und liſpelnd den geſunden Leib der Welt, ſickert als feines Gift durch
die Röhren ihres Baus. Vornehmer Habitus in der Ordenstracht, feiner
Ueberzug des lauernden Fanatiſmus im phyſiognomiſchen Ausdruck. Reich-
thum von Stoffen, die hier liegen, zuletzt von Eugen Süe mit Talent
benützt. Tartüffe.
§. 367.
Als Erſcheinung für ſich auf dem Gebiete der Religion iſt die Refor-
mation unmittelbar kein äſthetiſcher Stoff; denn ſie iſt, obwohl mit den
humaniſtiſchen Studien (§. 363, 2) zuſammenwirkend, nur innere Sammlung
und Befreiung des Geiſtes. Sie zerſtört ſogar eine Welt äſthetiſcher Erſchei-
nungen theils im Gottesdienſte, theils mittelbar durch einſeitige, phyſiognomiſch
allerdings ſehr bemerkbare Innerlichkeit und Kampf gegen die Sinnlichkeit.
Im Keime enthält ſie zwar die Bedingungen höherer Wiederherſtellung, aber
dieſer Keim trennt ſich von ihr, indem ſie zur Kirche verknöchert, die Zweiheit
des Mittelalters (§. 359) fortſetzt, den Glauben bindet und durch Verfolgungs-
ſucht und Fanatiſmus auch von ihrer Seite eigenthümliche Formen des Böſen
erzeugt.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/283>, abgerufen am 16.07.2024.
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