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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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seine Ausbildung in Rom als Mittelpunkt wird im Folgenden her-
vortreten.

2. Eine römische Culturform (zu den Culturformen dürfen wir auch
politische Einrichtungen zählen, sofern sie nur übergetragen sind) ist vor
Allem das Kaiserthum selbst, es soll eine Fortsetzung der Imperatorenwürde
sein. Es gibt dem König Deutschlands als dem Schirmherrn der Kirche
eine abstracte Beziehung nach außen, deren Uebel sofort sich geltend
machen. Von eigentlichen Culturformen im engern Sinn muß hier
namentlich die Tracht erwähnt werden. (Wir folgen hier und in der
weiteren Geschichte der Tracht den trefflichen Artikeln von C. Eichfeld
"Zur Geschichte des Kostüms" im Morgenbl. 1846 u. 1847; man wird
leicht bemerken, wo sie uns verlassen, bei der Zeit Ludwigs XIV nämlich.
Zum Theil vergl. auch H. Hauff: Moden und Trachten). Die Deutschen
führten in die antike Tracht die Hauptstücke ein, die ihnen als einem
nordischen, der Verhüllung bedürftigen und schamhaften Volke eigenthümlich
waren; dieß sind in der männlichen Kleidung die Hosen, in der weiblichen
das Mieder. Durch die Hosen wird nun die Tunica und die ihr ähnliche
längere Stola soweit eigentlich entbehrlich, daß statt ihrer ein Wams
genügt, aber ganze Aermel sind dann nothwendig. Die Toga kann eben-
falls wegfallen. Allein diese Consequenzen werden noch nicht gezogen,
die antiken Formen überdecken noch die neuen, über die engen Hosen
wird eine Tunica, jedoch mit langen Aermeln und kurz, nur bis an die
Kniee reichend, über diese die schon im alten Rom gewöhnliche Dalma-
tica, jetzt etwas über die Kniee reichend, vorzüglich von den Priestern
unter dem Namen Casula oder Planeta, und als allgemeines Kleid der
Würde und Ehre die Toga getragen, nur nicht mit dem freien Wurfe
der antiken, sondern durch einen Knopf auf der Brust festgemacht. So
herrscht also wie im Alterthum das lang herab Fließende und bietet dem
Auge überall ohne mühsame Draperie-Studien am Gliedermanne einen
Reichthum schöner Faltenmotive, nur daß allerdings durch die theil-
weise mechanische Befestigung dessen, was im Alterthum freier sich in
Falten warf, etwas Hartes, Krystallisches in die antike Kleidung
kommt, wie noch mehr in allen Formen von Geräthen, Architectur,
Ornament. Außerdem kommt die antike Pänula und Amiculum, der
Regen- oder Reisemantel mit Aermeln und häufig mit Kapuze (cucullus,
Gugel) in häufigen Gebrauch (die capotta der Neugriechen) und bleibt
später Mönchskleid. Reiche, hohe Kopfbedeckungen als Zeichen höherer
Würde, die schon früher aus dem Oriente eingedrungen, Diademe
Hauben (runde Mützen), Hüte (spitze Mützen), nehmen überhand. Grelle
Farben sind von Anfang des Mittelalters im Gegensatz gegen die antike
Farben-Einfachheit beliebt, ja sehr frühe kommen verschiedenfarbige Streifen

ſeine Ausbildung in Rom als Mittelpunkt wird im Folgenden her-
vortreten.

2. Eine römiſche Culturform (zu den Culturformen dürfen wir auch
politiſche Einrichtungen zählen, ſofern ſie nur übergetragen ſind) iſt vor
Allem das Kaiſerthum ſelbſt, es ſoll eine Fortſetzung der Imperatorenwürde
ſein. Es gibt dem König Deutſchlands als dem Schirmherrn der Kirche
eine abſtracte Beziehung nach außen, deren Uebel ſofort ſich geltend
machen. Von eigentlichen Culturformen im engern Sinn muß hier
namentlich die Tracht erwähnt werden. (Wir folgen hier und in der
weiteren Geſchichte der Tracht den trefflichen Artikeln von C. Eichfeld
„Zur Geſchichte des Koſtüms“ im Morgenbl. 1846 u. 1847; man wird
leicht bemerken, wo ſie uns verlaſſen, bei der Zeit Ludwigs XIV nämlich.
Zum Theil vergl. auch H. Hauff: Moden und Trachten). Die Deutſchen
führten in die antike Tracht die Hauptſtücke ein, die ihnen als einem
nordiſchen, der Verhüllung bedürftigen und ſchamhaften Volke eigenthümlich
waren; dieß ſind in der männlichen Kleidung die Hoſen, in der weiblichen
das Mieder. Durch die Hoſen wird nun die Tunica und die ihr ähnliche
längere Stola ſoweit eigentlich entbehrlich, daß ſtatt ihrer ein Wams
genügt, aber ganze Aermel ſind dann nothwendig. Die Toga kann eben-
falls wegfallen. Allein dieſe Conſequenzen werden noch nicht gezogen,
die antiken Formen überdecken noch die neuen, über die engen Hoſen
wird eine Tunica, jedoch mit langen Aermeln und kurz, nur bis an die
Kniee reichend, über dieſe die ſchon im alten Rom gewöhnliche Dalma-
tica, jetzt etwas über die Kniee reichend, vorzüglich von den Prieſtern
unter dem Namen Caſula oder Planeta, und als allgemeines Kleid der
Würde und Ehre die Toga getragen, nur nicht mit dem freien Wurfe
der antiken, ſondern durch einen Knopf auf der Bruſt feſtgemacht. So
herrſcht alſo wie im Alterthum das lang herab Fließende und bietet dem
Auge überall ohne mühſame Draperie-Studien am Gliedermanne einen
Reichthum ſchöner Faltenmotive, nur daß allerdings durch die theil-
weiſe mechaniſche Befeſtigung deſſen, was im Alterthum freier ſich in
Falten warf, etwas Hartes, Kryſtalliſches in die antike Kleidung
kommt, wie noch mehr in allen Formen von Geräthen, Architectur,
Ornament. Außerdem kommt die antike Pänula und Amiculum, der
Regen- oder Reiſemantel mit Aermeln und häufig mit Kapuze (cucullus,
Gugel) in häufigen Gebrauch (die capotta der Neugriechen) und bleibt
ſpäter Mönchskleid. Reiche, hohe Kopfbedeckungen als Zeichen höherer
Würde, die ſchon früher aus dem Oriente eingedrungen, Diademe
Hauben (runde Mützen), Hüte (ſpitze Mützen), nehmen überhand. Grelle
Farben ſind von Anfang des Mittelalters im Gegenſatz gegen die antike
Farben-Einfachheit beliebt, ja ſehr frühe kommen verſchiedenfarbige Streifen

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[253/0265] ſeine Ausbildung in Rom als Mittelpunkt wird im Folgenden her- vortreten. 2. Eine römiſche Culturform (zu den Culturformen dürfen wir auch politiſche Einrichtungen zählen, ſofern ſie nur übergetragen ſind) iſt vor Allem das Kaiſerthum ſelbſt, es ſoll eine Fortſetzung der Imperatorenwürde ſein. Es gibt dem König Deutſchlands als dem Schirmherrn der Kirche eine abſtracte Beziehung nach außen, deren Uebel ſofort ſich geltend machen. Von eigentlichen Culturformen im engern Sinn muß hier namentlich die Tracht erwähnt werden. (Wir folgen hier und in der weiteren Geſchichte der Tracht den trefflichen Artikeln von C. Eichfeld „Zur Geſchichte des Koſtüms“ im Morgenbl. 1846 u. 1847; man wird leicht bemerken, wo ſie uns verlaſſen, bei der Zeit Ludwigs XIV nämlich. Zum Theil vergl. auch H. Hauff: Moden und Trachten). Die Deutſchen führten in die antike Tracht die Hauptſtücke ein, die ihnen als einem nordiſchen, der Verhüllung bedürftigen und ſchamhaften Volke eigenthümlich waren; dieß ſind in der männlichen Kleidung die Hoſen, in der weiblichen das Mieder. Durch die Hoſen wird nun die Tunica und die ihr ähnliche längere Stola ſoweit eigentlich entbehrlich, daß ſtatt ihrer ein Wams genügt, aber ganze Aermel ſind dann nothwendig. Die Toga kann eben- falls wegfallen. Allein dieſe Conſequenzen werden noch nicht gezogen, die antiken Formen überdecken noch die neuen, über die engen Hoſen wird eine Tunica, jedoch mit langen Aermeln und kurz, nur bis an die Kniee reichend, über dieſe die ſchon im alten Rom gewöhnliche Dalma- tica, jetzt etwas über die Kniee reichend, vorzüglich von den Prieſtern unter dem Namen Caſula oder Planeta, und als allgemeines Kleid der Würde und Ehre die Toga getragen, nur nicht mit dem freien Wurfe der antiken, ſondern durch einen Knopf auf der Bruſt feſtgemacht. So herrſcht alſo wie im Alterthum das lang herab Fließende und bietet dem Auge überall ohne mühſame Draperie-Studien am Gliedermanne einen Reichthum ſchöner Faltenmotive, nur daß allerdings durch die theil- weiſe mechaniſche Befeſtigung deſſen, was im Alterthum freier ſich in Falten warf, etwas Hartes, Kryſtalliſches in die antike Kleidung kommt, wie noch mehr in allen Formen von Geräthen, Architectur, Ornament. Außerdem kommt die antike Pänula und Amiculum, der Regen- oder Reiſemantel mit Aermeln und häufig mit Kapuze (cucullus, Gugel) in häufigen Gebrauch (die capotta der Neugriechen) und bleibt ſpäter Mönchskleid. Reiche, hohe Kopfbedeckungen als Zeichen höherer Würde, die ſchon früher aus dem Oriente eingedrungen, Diademe Hauben (runde Mützen), Hüte (ſpitze Mützen), nehmen überhand. Grelle Farben ſind von Anfang des Mittelalters im Gegenſatz gegen die antike Farben-Einfachheit beliebt, ja ſehr frühe kommen verſchiedenfarbige Streifen

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/265>, abgerufen am 23.11.2024.