Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
die Germanen an ihren östlichen und nordöstlichen Grenzen umlagerten,
die Germanen an ihren öſtlichen und nordöſtlichen Grenzen umlagerten, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0259" n="247"/> die Germanen an ihren öſtlichen und nordöſtlichen Grenzen umlagerten,<lb/> übergehen wir vorerſt ganz; dieſes Volk, das vom Kaukaſiſchen auf das<lb/> Mongoliſche hinüberweist, wurde vorerſt überall von der deutſchen Tapfer-<lb/> keit beſiegt und bereitet ſich erſt in der neuen Zeit theilweiſe äſthetiſch<lb/> intereſſante Schickſale. — Was nun den germaniſchen Typus betrifft, ſo<lb/> ſind die Körper ſtark, muskulös, bald ſtämmig unterſetzt, bald ſehr groß,<lb/> ausdauernd, aber linkiſch, ſchwerfällig, träg oder gewaltſam in Bewegungen,<lb/> die Köpfe auf den erſten Anblick unedel und gemein in den Formen:<lb/> das Kinn tritt zu ſehr zurück oder zu knorrig hervor, großer Mund oder<lb/> zu kleiner mit dünnen, eingekniffenen Lippen, rohe Kiefer ſind das Gewöhn-<lb/> liche, die Naſe iſt ſehr häufig aufgeſtülpt oder, namentlich bei dem höheren<lb/> und ſchlankeren Wuchſe, der mehr den nördlichen Stämmen eigen iſt,<lb/> übergroß und in der Form der Ramsnaſe gebogen, die ganze Geſichts-<lb/> form in jenem Falle viereckig, in dieſem zu lange gezogen. Einige<lb/> ungeſchickte Knorren und Ecken fehlen in keinem deutſchen Geſichte, da-<lb/> zwiſchen langweilige Flächen und Entfernungen „Brachfelder“, Unaus-<lb/> gearbeitetes, zu ſchwach Ausgeladenes, wie z. B. die Augenlider weit<lb/> entfernt ſind, das deutliche Geſimſe des Auges darzuſtellen wie in den<lb/> antiken Köpfen. Aber der Ausdruck des hellen Auges und der gedanken-<lb/> vollen, meiſt hohen und kräftig modellirten Stirne, die häufig blonden,<lb/> freilich größtentheils ſchwunglos ſchlichten Haare, die weiße Haut, das<lb/> zarte Roth und der Duft der Farbenübergänge, das Alles widerlegt wie<lb/> ein Lichtgeiſt das Gemeine, das Rohe der übrigen Züge. Die deutſchen<lb/> Phyſiognomieen haben etwas vom Hunde, die griechiſchen vom Löwen,<lb/> die orientaliſchen vom Adler; vom Hundsgeſichte ſagt man, es liege etwas<lb/> Gemeines in ihm, aber es liegt auch der ehrliche und aufrichtige Charakter<lb/> darin, wodurch ſich dieſes Thier vor Allen auszeichnet. Dieſer ganze<lb/> Typus und Habitus zeigt, wie er ſelbſt einen Charakter der Negativität<lb/> hat, das Negative des innern Naturells an. Von den Orientalen ſagten<lb/> wir ein dualiſtiſches Temperament aus, in dem Sinne aber, daß die Seite<lb/> der Ruhe und Sammlung ebenſo wie die des Ausbruchs als eine Ver-<lb/> ſenktheit in die Natur erſchien; im deutſchen Weſen aber iſt Ruhe und<lb/> Sammlung ein Verarbeiten der Dinge im Innern, Innigkeit, Anlage zur<lb/> Unſchlüſſigkeit aus Reflexion und Zweifel, Streben, die Natur zu über-<lb/> winden und nicht Können, dann folgt täppiſcher, praller, roher Ausbruch<lb/> deſſen, was heimlich im Innern gegohren. Das Leben zerfällt in ſtrenge<lb/> Arbeit und Genuß. Die Deutſchen ſind viel luſtiger, als die den Alten<lb/> immer noch verwandten Romanen, ja ausgelaſſen in Luſtigkeit; aber<lb/> gerade das luſtige Volk iſt auch das harte und melancholiſche. Hier iſt<lb/> Idealität, die nicht heraus kann oder in Uebermaß fällt, wortarmer,<lb/> ſchwerer Ernſt und Ueberſchwall des Scherzes, hier iſt Geiſt, der ſich nicht<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [247/0259]
die Germanen an ihren öſtlichen und nordöſtlichen Grenzen umlagerten,
übergehen wir vorerſt ganz; dieſes Volk, das vom Kaukaſiſchen auf das
Mongoliſche hinüberweist, wurde vorerſt überall von der deutſchen Tapfer-
keit beſiegt und bereitet ſich erſt in der neuen Zeit theilweiſe äſthetiſch
intereſſante Schickſale. — Was nun den germaniſchen Typus betrifft, ſo
ſind die Körper ſtark, muskulös, bald ſtämmig unterſetzt, bald ſehr groß,
ausdauernd, aber linkiſch, ſchwerfällig, träg oder gewaltſam in Bewegungen,
die Köpfe auf den erſten Anblick unedel und gemein in den Formen:
das Kinn tritt zu ſehr zurück oder zu knorrig hervor, großer Mund oder
zu kleiner mit dünnen, eingekniffenen Lippen, rohe Kiefer ſind das Gewöhn-
liche, die Naſe iſt ſehr häufig aufgeſtülpt oder, namentlich bei dem höheren
und ſchlankeren Wuchſe, der mehr den nördlichen Stämmen eigen iſt,
übergroß und in der Form der Ramsnaſe gebogen, die ganze Geſichts-
form in jenem Falle viereckig, in dieſem zu lange gezogen. Einige
ungeſchickte Knorren und Ecken fehlen in keinem deutſchen Geſichte, da-
zwiſchen langweilige Flächen und Entfernungen „Brachfelder“, Unaus-
gearbeitetes, zu ſchwach Ausgeladenes, wie z. B. die Augenlider weit
entfernt ſind, das deutliche Geſimſe des Auges darzuſtellen wie in den
antiken Köpfen. Aber der Ausdruck des hellen Auges und der gedanken-
vollen, meiſt hohen und kräftig modellirten Stirne, die häufig blonden,
freilich größtentheils ſchwunglos ſchlichten Haare, die weiße Haut, das
zarte Roth und der Duft der Farbenübergänge, das Alles widerlegt wie
ein Lichtgeiſt das Gemeine, das Rohe der übrigen Züge. Die deutſchen
Phyſiognomieen haben etwas vom Hunde, die griechiſchen vom Löwen,
die orientaliſchen vom Adler; vom Hundsgeſichte ſagt man, es liege etwas
Gemeines in ihm, aber es liegt auch der ehrliche und aufrichtige Charakter
darin, wodurch ſich dieſes Thier vor Allen auszeichnet. Dieſer ganze
Typus und Habitus zeigt, wie er ſelbſt einen Charakter der Negativität
hat, das Negative des innern Naturells an. Von den Orientalen ſagten
wir ein dualiſtiſches Temperament aus, in dem Sinne aber, daß die Seite
der Ruhe und Sammlung ebenſo wie die des Ausbruchs als eine Ver-
ſenktheit in die Natur erſchien; im deutſchen Weſen aber iſt Ruhe und
Sammlung ein Verarbeiten der Dinge im Innern, Innigkeit, Anlage zur
Unſchlüſſigkeit aus Reflexion und Zweifel, Streben, die Natur zu über-
winden und nicht Können, dann folgt täppiſcher, praller, roher Ausbruch
deſſen, was heimlich im Innern gegohren. Das Leben zerfällt in ſtrenge
Arbeit und Genuß. Die Deutſchen ſind viel luſtiger, als die den Alten
immer noch verwandten Romanen, ja ausgelaſſen in Luſtigkeit; aber
gerade das luſtige Volk iſt auch das harte und melancholiſche. Hier iſt
Idealität, die nicht heraus kann oder in Uebermaß fällt, wortarmer,
ſchwerer Ernſt und Ueberſchwall des Scherzes, hier iſt Geiſt, der ſich nicht
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