der Stoff verhält sich zum griechischen wie das Erhabene zum Schönen. Nach innen und außen auf Kampf gestellt wirft es ebenfalls die Monarchie ab, gründet eine Republik, worin der Streit zweier Stände nie endet, erobert durch List und Tapferkeit in grausamem Fortschritte die Welt, verfault im Innern, beginnt dadurch so wie durch die Mischung der unterworfenen Völker und ihrer Culturformen die Auflösung der objectiven Lebensgestalt und endet nach blutigen inneren Kämpfen in Despotie. Die Individualität des Einen Herrschers ist jetzt das Ganze, das wahre Ganze aber in unendlichem Schmerz gebrochen und der Einzelne in ihm nur als Rechtsperson anerkannt. Die Reihe gewichtvoll großer Männer schließt mit furchtbaren Erscheinungen des Bösen, wie es jetzt erst möglich ist.
Diese kurzen Sätze mögen genügen; ein Versuch, die große und reiche Welt noch viel zu wenig benützter Stoffe, die sich in der römischen Geschichte aufthut, auch nur im Umrisse zu überblicken, würde zu weit führen. Daher nur wenige Winke. Die älteste Zeit: Raub der Sabinerinnen, Numa patriarchalisch ehrwürdig wie Moses, Lykurg, Solon; unter Tullus Hostilius Horatier und Curatier, die frühesten Kriege mit ihren Siegen und Niederlagen und schönen Heldenzügen; Tarquinius Superbus, Lucretia, Brutus. In der Geschichte der Republik bis zu den Kämpfen der Oligarchie tritt nun auf der Einen Seite die herrliche Reihe großer Feldherrn, blutiger Niederlagen, herrlicher Siege, würdiger Feinde hervor, da sind die Cocles, Scävola, Coriolan, Cincinnatus, Manlius Capitolinus, Camillus, Decius Mus in den ersten Kriegen mit italischen Völkern und Galliern, dann beginnen die punischen Kriege, die neuen gallischen, die spanischen, mace- donischen, syrischen dazwischen, eine neue Heldenschaar, ein Regulus, Marcellus, Fabius, Ouinctus Flaminius, Aemilius Paulus, die Scipionen treten auf. Es sind dieß noch große, altrömische Naturen, treuer gegen das Vaterland, als die Griechen, Rom hat in seiner guten Zeit unbestechlichere Helden, die virtus blüht, erst allmählich weicht die Sitten-Einfalt, Cincinnatus wird vom Pfluge geholt. Im Innern gibt diese Einfalt eine Reihe rührender und zugleich großer Stoffe. Der Römer ist rauh und hart, die Gewalt des Familienvaters beherrscht Weib und Kinder wie Sachen, und doch erscheint das Privatleben schön durch Würde der Matronen, Ehrfurcht der Kinder, Wachen über Familienehre; vom Tode der Virginia an bis zur Mutter der Gracchen thut sich eine Reihe edler Bilder auf. Das politische innere Leben ruht auf dieser Grundlage und hier entfaltet sich denn der Kampf der Patrizier und Plebejer von der Entweichung auf den heiligen Berg und der Fabel des Menenius Agrippa bis zu den Gracchen. Shakespeare, der übrigens besonders gezeigt hat, was für Stoffe auch die neuere Kunst an der römischen
der Stoff verhält ſich zum griechiſchen wie das Erhabene zum Schönen. Nach innen und außen auf Kampf geſtellt wirft es ebenfalls die Monarchie ab, gründet eine Republik, worin der Streit zweier Stände nie endet, erobert durch Liſt und Tapferkeit in grauſamem Fortſchritte die Welt, verfault im Innern, beginnt dadurch ſo wie durch die Miſchung der unterworfenen Völker und ihrer Culturformen die Auflöſung der objectiven Lebensgeſtalt und endet nach blutigen inneren Kämpfen in Deſpotie. Die Individualität des Einen Herrſchers iſt jetzt das Ganze, das wahre Ganze aber in unendlichem Schmerz gebrochen und der Einzelne in ihm nur als Rechtsperſon anerkannt. Die Reihe gewichtvoll großer Männer ſchließt mit furchtbaren Erſcheinungen des Böſen, wie es jetzt erſt möglich iſt.
Dieſe kurzen Sätze mögen genügen; ein Verſuch, die große und reiche Welt noch viel zu wenig benützter Stoffe, die ſich in der römiſchen Geſchichte aufthut, auch nur im Umriſſe zu überblicken, würde zu weit führen. Daher nur wenige Winke. Die älteſte Zeit: Raub der Sabinerinnen, Numa patriarchaliſch ehrwürdig wie Moſes, Lykurg, Solon; unter Tullus Hoſtilius Horatier und Curatier, die früheſten Kriege mit ihren Siegen und Niederlagen und ſchönen Heldenzügen; Tarquinius Superbus, Lucretia, Brutus. In der Geſchichte der Republik bis zu den Kämpfen der Oligarchie tritt nun auf der Einen Seite die herrliche Reihe großer Feldherrn, blutiger Niederlagen, herrlicher Siege, würdiger Feinde hervor, da ſind die Cocles, Scävola, Coriolan, Cincinnatus, Manlius Capitolinus, Camillus, Decius Mus in den erſten Kriegen mit italiſchen Völkern und Galliern, dann beginnen die puniſchen Kriege, die neuen galliſchen, die ſpaniſchen, mace- doniſchen, ſyriſchen dazwiſchen, eine neue Heldenſchaar, ein Regulus, Marcellus, Fabius, Ouinctus Flaminius, Aemilius Paulus, die Scipionen treten auf. Es ſind dieß noch große, altrömiſche Naturen, treuer gegen das Vaterland, als die Griechen, Rom hat in ſeiner guten Zeit unbeſtechlichere Helden, die virtus blüht, erſt allmählich weicht die Sitten-Einfalt, Cincinnatus wird vom Pfluge geholt. Im Innern gibt dieſe Einfalt eine Reihe rührender und zugleich großer Stoffe. Der Römer iſt rauh und hart, die Gewalt des Familienvaters beherrſcht Weib und Kinder wie Sachen, und doch erſcheint das Privatleben ſchön durch Würde der Matronen, Ehrfurcht der Kinder, Wachen über Familienehre; vom Tode der Virginia an bis zur Mutter der Gracchen thut ſich eine Reihe edler Bilder auf. Das politiſche innere Leben ruht auf dieſer Grundlage und hier entfaltet ſich denn der Kampf der Patrizier und Plebejer von der Entweichung auf den heiligen Berg und der Fabel des Menenius Agrippa bis zu den Gracchen. Shakespeare, der übrigens beſonders gezeigt hat, was für Stoffe auch die neuere Kunſt an der römiſchen
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der Stoff verhält ſich zum griechiſchen wie das Erhabene zum Schönen. Nach
innen und außen auf Kampf geſtellt wirft es ebenfalls die Monarchie ab,
gründet eine Republik, worin der Streit zweier Stände nie endet, erobert durch
Liſt und Tapferkeit in grauſamem Fortſchritte die Welt, verfault im Innern,
beginnt dadurch ſo wie durch die Miſchung der unterworfenen Völker und ihrer
Culturformen die Auflöſung der objectiven Lebensgeſtalt und endet nach blutigen
inneren Kämpfen in Deſpotie. Die Individualität des Einen Herrſchers iſt
jetzt das Ganze, das wahre Ganze aber in unendlichem Schmerz gebrochen und
der Einzelne in ihm nur als Rechtsperſon anerkannt. Die Reihe gewichtvoll
großer Männer ſchließt mit furchtbaren Erſcheinungen des Böſen, wie es
jetzt erſt möglich iſt.
Dieſe kurzen Sätze mögen genügen; ein Verſuch, die große und
reiche Welt noch viel zu wenig benützter Stoffe, die ſich in der römiſchen
Geſchichte aufthut, auch nur im Umriſſe zu überblicken, würde zu weit
führen. Daher nur wenige Winke. Die älteſte Zeit: Raub der Sabinerinnen,
Numa patriarchaliſch ehrwürdig wie Moſes, Lykurg, Solon; unter Tullus
Hoſtilius Horatier und Curatier, die früheſten Kriege mit ihren Siegen
und Niederlagen und ſchönen Heldenzügen; Tarquinius Superbus, Lucretia,
Brutus. In der Geſchichte der Republik bis zu den Kämpfen der Oligarchie
tritt nun auf der Einen Seite die herrliche Reihe großer Feldherrn, blutiger
Niederlagen, herrlicher Siege, würdiger Feinde hervor, da ſind die Cocles,
Scävola, Coriolan, Cincinnatus, Manlius Capitolinus, Camillus, Decius
Mus in den erſten Kriegen mit italiſchen Völkern und Galliern, dann
beginnen die puniſchen Kriege, die neuen galliſchen, die ſpaniſchen, mace-
doniſchen, ſyriſchen dazwiſchen, eine neue Heldenſchaar, ein Regulus,
Marcellus, Fabius, Ouinctus Flaminius, Aemilius Paulus, die
Scipionen treten auf. Es ſind dieß noch große, altrömiſche Naturen,
treuer gegen das Vaterland, als die Griechen, Rom hat in ſeiner guten
Zeit unbeſtechlichere Helden, die virtus blüht, erſt allmählich weicht die
Sitten-Einfalt, Cincinnatus wird vom Pfluge geholt. Im Innern gibt
dieſe Einfalt eine Reihe rührender und zugleich großer Stoffe. Der Römer
iſt rauh und hart, die Gewalt des Familienvaters beherrſcht Weib und
Kinder wie Sachen, und doch erſcheint das Privatleben ſchön durch Würde
der Matronen, Ehrfurcht der Kinder, Wachen über Familienehre; vom
Tode der Virginia an bis zur Mutter der Gracchen thut ſich eine Reihe
edler Bilder auf. Das politiſche innere Leben ruht auf dieſer Grundlage
und hier entfaltet ſich denn der Kampf der Patrizier und Plebejer von
der Entweichung auf den heiligen Berg und der Fabel des Menenius
Agrippa bis zu den Gracchen. Shakespeare, der übrigens beſonders
gezeigt hat, was für Stoffe auch die neuere Kunſt an der römiſchen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/256>, abgerufen am 16.07.2024.
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