gang eintritt, faßt sich die höchste Reife in dem Heldenjüngling zusammen, der Griechenland am Orient rächt und durch seine Ueberwindung ein Weltreich gründet, worin griechische Bildung universell wird.
Griechenland lernte vom Orient als freier Schüler, der das Gegebene umschafft, aber mehr von dem contemplativen Aegypten, als von dem energischen Persien. Zu diesem war das Verhältniß das des realen Kampfes. Die berühmten Freiheitsschlachten nun und ihre Helden stehen dadurch einzig in der Geschichte, daß sie für alle Zukunft und Menschheit den jugendlichen Keim occidentalischer Bildung, europäischer Freiheit gerettet haben; aber zugleich ist die überschauliche Einfachheit dieser Schlachten, die sinnliche Lebendigkeit der Kriegsführung vom höchsten ästhetischen Vortheil. Nicht wieder in der Welt ist Idee und Bild so zusammen- getroffen und die Schlachten in den Thermophylen, bei Salamis, Marathon, Platää harren, da man nun auch das Terrain wieder kennt, auf den Maler, der diese Schätze heben soll. Man kennt durch Herodot die Völker, die Bewaffnung, die Aufstellung; man darf das Amphitheater von Marathon nur ansehen, um sich das große Bild hervorzurufen, wie die geschlossenen Griechen von den Anhöhen herunterstürzen und die Barbarenhorden, die Negermassen in die Sümpfe hineinwürgen. Die hervorragenden Heroen, Miltiades, Themistokles, Pausanias, Cimon, Aristides, der herrliche Perikles, dann der peloponnesische Krieg, mit großen Scenen und Männern im Einzelnen, aber ein Gang der Auf- lösung, der vernichtenden Reibung zwischen dem Dorischen und Jonischen, eines Gegensatzes, der durch seine Spannung die Einheit der griechischen Größe begründete, aber auch den Wurm ihres Todes in sich trug, zugleich die innere Auflösung durch das Aufkommen des subjectiven Elements, der Sophisten, Sykophanten, der Demagogen, eines Kleon u. s. w.: welch ein bewegt fortschreitendes, im Sinken noch unendlich fruchtbares Schau- spiel! Ein anderes Geschlecht, schlanker, beweglicher, nervöser, feiner, leidenschaftlicher war nach der großen Pest in Athen aufgestanden. In dieser aufgeregten Welt beginnen die pathetischen, sentimentalen, aber auch die komischen Stoffe. Der schöne Alcibiades, jugendlicher Held, aber auch leichtfertig, üppig und gewissenlos, gehört schon zu ihnen. Die letzten Kriege vor der Macedonischen Oberherrschaft stellen jene rührenden Gestalten dar, welche in isolirter Tugend noch halten wollen, was nicht mehr zu halten ist, und tragisch untergehen, einen Epaminondas, Demosthenes, spät noch einen Kleomens, Philopömen und And. Inzwischen hat sich nördliche Kraft in unverwelkter Frische aufgemacht, das müde Griechenland in Eins zusammenzufassen und den Samen, der aus der welken Fruchtkapsel gefallen, erobernd hinauszuführen nach Asien. Alexander
gang eintritt, faßt ſich die höchſte Reife in dem Heldenjüngling zuſammen, der Griechenland am Orient rächt und durch ſeine Ueberwindung ein Weltreich gründet, worin griechiſche Bildung univerſell wird.
Griechenland lernte vom Orient als freier Schüler, der das Gegebene umſchafft, aber mehr von dem contemplativen Aegypten, als von dem energiſchen Perſien. Zu dieſem war das Verhältniß das des realen Kampfes. Die berühmten Freiheitsſchlachten nun und ihre Helden ſtehen dadurch einzig in der Geſchichte, daß ſie für alle Zukunft und Menſchheit den jugendlichen Keim occidentaliſcher Bildung, europäiſcher Freiheit gerettet haben; aber zugleich iſt die überſchauliche Einfachheit dieſer Schlachten, die ſinnliche Lebendigkeit der Kriegsführung vom höchſten äſthetiſchen Vortheil. Nicht wieder in der Welt iſt Idee und Bild ſo zuſammen- getroffen und die Schlachten in den Thermophylen, bei Salamis, Marathon, Platää harren, da man nun auch das Terrain wieder kennt, auf den Maler, der dieſe Schätze heben ſoll. Man kennt durch Herodot die Völker, die Bewaffnung, die Aufſtellung; man darf das Amphitheater von Marathon nur anſehen, um ſich das große Bild hervorzurufen, wie die geſchloſſenen Griechen von den Anhöhen herunterſtürzen und die Barbarenhorden, die Negermaſſen in die Sümpfe hineinwürgen. Die hervorragenden Heroen, Miltiades, Themiſtokles, Pauſanias, Cimon, Ariſtides, der herrliche Perikles, dann der peloponneſiſche Krieg, mit großen Scenen und Männern im Einzelnen, aber ein Gang der Auf- löſung, der vernichtenden Reibung zwiſchen dem Doriſchen und Joniſchen, eines Gegenſatzes, der durch ſeine Spannung die Einheit der griechiſchen Größe begründete, aber auch den Wurm ihres Todes in ſich trug, zugleich die innere Auflöſung durch das Aufkommen des ſubjectiven Elements, der Sophiſten, Sykophanten, der Demagogen, eines Kleon u. ſ. w.: welch ein bewegt fortſchreitendes, im Sinken noch unendlich fruchtbares Schau- ſpiel! Ein anderes Geſchlecht, ſchlanker, beweglicher, nervöſer, feiner, leidenſchaftlicher war nach der großen Peſt in Athen aufgeſtanden. In dieſer aufgeregten Welt beginnen die pathetiſchen, ſentimentalen, aber auch die komiſchen Stoffe. Der ſchöne Alcibiades, jugendlicher Held, aber auch leichtfertig, üppig und gewiſſenlos, gehört ſchon zu ihnen. Die letzten Kriege vor der Macedoniſchen Oberherrſchaft ſtellen jene rührenden Geſtalten dar, welche in iſolirter Tugend noch halten wollen, was nicht mehr zu halten iſt, und tragiſch untergehen, einen Epaminondas, Demoſthenes, ſpät noch einen Kleomens, Philopömen und And. Inzwiſchen hat ſich nördliche Kraft in unverwelkter Friſche aufgemacht, das müde Griechenland in Eins zuſammenzufaſſen und den Samen, der aus der welken Fruchtkapſel gefallen, erobernd hinauszuführen nach Aſien. Alexander
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gang eintritt, faßt ſich die höchſte Reife in dem Heldenjüngling zuſammen, der
Griechenland am Orient rächt und durch ſeine Ueberwindung ein Weltreich
gründet, worin griechiſche Bildung univerſell wird.
Griechenland lernte vom Orient als freier Schüler, der das Gegebene
umſchafft, aber mehr von dem contemplativen Aegypten, als von dem
energiſchen Perſien. Zu dieſem war das Verhältniß das des realen
Kampfes. Die berühmten Freiheitsſchlachten nun und ihre Helden ſtehen
dadurch einzig in der Geſchichte, daß ſie für alle Zukunft und Menſchheit
den jugendlichen Keim occidentaliſcher Bildung, europäiſcher Freiheit gerettet
haben; aber zugleich iſt die überſchauliche Einfachheit dieſer Schlachten,
die ſinnliche Lebendigkeit der Kriegsführung vom höchſten äſthetiſchen
Vortheil. Nicht wieder in der Welt iſt Idee und Bild ſo zuſammen-
getroffen und die Schlachten in den Thermophylen, bei Salamis, Marathon,
Platää harren, da man nun auch das Terrain wieder kennt, auf den
Maler, der dieſe Schätze heben ſoll. Man kennt durch Herodot die
Völker, die Bewaffnung, die Aufſtellung; man darf das Amphitheater
von Marathon nur anſehen, um ſich das große Bild hervorzurufen, wie
die geſchloſſenen Griechen von den Anhöhen herunterſtürzen und die
Barbarenhorden, die Negermaſſen in die Sümpfe hineinwürgen. Die
hervorragenden Heroen, Miltiades, Themiſtokles, Pauſanias, Cimon,
Ariſtides, der herrliche Perikles, dann der peloponneſiſche Krieg, mit
großen Scenen und Männern im Einzelnen, aber ein Gang der Auf-
löſung, der vernichtenden Reibung zwiſchen dem Doriſchen und Joniſchen,
eines Gegenſatzes, der durch ſeine Spannung die Einheit der griechiſchen
Größe begründete, aber auch den Wurm ihres Todes in ſich trug, zugleich
die innere Auflöſung durch das Aufkommen des ſubjectiven Elements,
der Sophiſten, Sykophanten, der Demagogen, eines Kleon u. ſ. w.: welch
ein bewegt fortſchreitendes, im Sinken noch unendlich fruchtbares Schau-
ſpiel! Ein anderes Geſchlecht, ſchlanker, beweglicher, nervöſer, feiner,
leidenſchaftlicher war nach der großen Peſt in Athen aufgeſtanden. In
dieſer aufgeregten Welt beginnen die pathetiſchen, ſentimentalen, aber auch
die komiſchen Stoffe. Der ſchöne Alcibiades, jugendlicher Held, aber auch
leichtfertig, üppig und gewiſſenlos, gehört ſchon zu ihnen. Die letzten
Kriege vor der Macedoniſchen Oberherrſchaft ſtellen jene rührenden
Geſtalten dar, welche in iſolirter Tugend noch halten wollen, was nicht
mehr zu halten iſt, und tragiſch untergehen, einen Epaminondas,
Demoſthenes, ſpät noch einen Kleomens, Philopömen und And. Inzwiſchen
hat ſich nördliche Kraft in unverwelkter Friſche aufgemacht, das müde
Griechenland in Eins zuſammenzufaſſen und den Samen, der aus der
welken Fruchtkapſel gefallen, erobernd hinauszuführen nach Aſien. Alexander
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/252>, abgerufen am 16.07.2024.
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