Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
Erscheinung hat aber ihre Bedeutung durchaus nur in dem Zusammen- §. 321. Die menschliche Schönheit theilt sich als Gattung in die männliche1 1. Der Geschlechtsgegensatz hätte, wie die meisten hier aufgeführten
Erſcheinung hat aber ihre Bedeutung durchaus nur in dem Zuſammen- §. 321. Die menſchliche Schönheit theilt ſich als Gattung in die männliche1 1. Der Geſchlechtsgegenſatz hätte, wie die meiſten hier aufgeführten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0181" n="169"/> Erſcheinung hat aber ihre Bedeutung durchaus nur in dem Zuſammen-<lb/> hang einer der Formen des Tragiſchen.</hi> </p> </div><lb/> <div n="6"> <head>§. 321.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die menſchliche Schönheit theilt ſich als Gattung in die <hi rendition="#g">männliche</hi><note place="right">1</note><lb/> und <hi rendition="#g">weibliche</hi>. Jene drückt durch die Strenge, womit die Maſſe des<lb/> Körpers bezwungen und zu ſcharfer Beſtimmtheit gebunden iſt, die als Einſicht<lb/> und Wille thätige, dieſe durch den ununterbrochenen Fluß der weicheren und<lb/> rundlichen Umriſſe, in welchen die freiere Fülle des Stoffes ſpielt, die in<lb/> Naturdunkel verſenkte, in ungeſchiedener Einheit der Empfindung webende<lb/> Perſönlichkeit, die Beſtimmung des Empfangens aus: dort Erhabenheit oder<lb/> Würde, hier Anmuth. Dieſe Gegenſätze ergänzen ſich durch Bildung und durch<note place="right">2</note><lb/> den Tauſch der <hi rendition="#g">Liebe</hi>.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Der Geſchlechtsgegenſatz hätte, wie die meiſten hier aufgeführten<lb/> und aufzuführenden Naturelemente des Geiſtes, auch bei den Thieren<lb/> berückſichtigt werden können; es ſind dieß aber lauter Beſtimmtheiten, die<lb/> erſt da ihre ganze Bedeutung erhalten, wo ſie ſinnlich geiſtige ſind. In<lb/> den meiſten Thierarten iſt das Männchen ſchöner, als das Weibchen, in<lb/> einigen das Weibchen; immer aber jenes ſtärker, ſtolzer, muthiger. In<lb/> der menſchlichen Gattung aber macht ſich auf dieſem Punkte mit beſonderer<lb/> Deutlichkeit der Satz §. 73, <hi rendition="#sub">1.</hi> geltend, daß das Schöne, indem es<lb/> wirklich wird und den Momenten ſeiner Einheit verſchiedene Stellungen<lb/> gibt, neben das Erhabene jene harmloſere Anmuth ſetzt, welcher die<lb/> Großheit des einfach Schönen, die nun an das Erhabene übertragen iſt,<lb/> abgeht. Die menſchliche Schönheit — um hier einige Sätze der trefflichen<lb/> Abhandlung über die männliche und weibliche Form von W. v. <hi rendition="#g">Humboldt</hi><lb/> (geſamm. Werke B. 1) aufzunehmen — ſpezifizirt ſich und ſtellt zwei<lb/> getrennte Hälften eines unſichtbaren Ganzen auf, die einander fordern,<lb/> ſo daß der Betrachtende unbefriedigt von der einen zur andern übergeht<lb/> und nur in der Wechſelergänzung die höhere Einheit, die Menſchheit findet.<lb/> In der männlichen Geſtalt iſt die Maſſe mehr durch Form bezwungen,<lb/> ſie ſtellt die Regel dar. Die ſtärkeren Knochen, die hervorragenden Sehnen<lb/> begründen ſcharfe Umriſſe, wenig von Fleiſch gemildert. Alle Ecken<lb/> ſpringen ſchneller und minder vorbereitet hervor, der ganze Körper iſt in<lb/> beſtimmtere Abſchnitte getheilt und gleicht einer Zeichnung, die eine kühne<lb/> Hand mit ſtrenger Richtigkeit, aber wenig bekümmert um Grazie, bis an<lb/> die Grenze der Härte, entwirft. Die geſpannten Muskeln verkündigen<lb/> heftige Entladung der geſammelten Kraft nach außen und athmen den<lb/> Charakter der Thätigkeit, ſo wie die ſtrenge Beſtimmtheit des Ganzen das<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [169/0181]
Erſcheinung hat aber ihre Bedeutung durchaus nur in dem Zuſammen-
hang einer der Formen des Tragiſchen.
§. 321.
Die menſchliche Schönheit theilt ſich als Gattung in die männliche
und weibliche. Jene drückt durch die Strenge, womit die Maſſe des
Körpers bezwungen und zu ſcharfer Beſtimmtheit gebunden iſt, die als Einſicht
und Wille thätige, dieſe durch den ununterbrochenen Fluß der weicheren und
rundlichen Umriſſe, in welchen die freiere Fülle des Stoffes ſpielt, die in
Naturdunkel verſenkte, in ungeſchiedener Einheit der Empfindung webende
Perſönlichkeit, die Beſtimmung des Empfangens aus: dort Erhabenheit oder
Würde, hier Anmuth. Dieſe Gegenſätze ergänzen ſich durch Bildung und durch
den Tauſch der Liebe.
1. Der Geſchlechtsgegenſatz hätte, wie die meiſten hier aufgeführten
und aufzuführenden Naturelemente des Geiſtes, auch bei den Thieren
berückſichtigt werden können; es ſind dieß aber lauter Beſtimmtheiten, die
erſt da ihre ganze Bedeutung erhalten, wo ſie ſinnlich geiſtige ſind. In
den meiſten Thierarten iſt das Männchen ſchöner, als das Weibchen, in
einigen das Weibchen; immer aber jenes ſtärker, ſtolzer, muthiger. In
der menſchlichen Gattung aber macht ſich auf dieſem Punkte mit beſonderer
Deutlichkeit der Satz §. 73, 1. geltend, daß das Schöne, indem es
wirklich wird und den Momenten ſeiner Einheit verſchiedene Stellungen
gibt, neben das Erhabene jene harmloſere Anmuth ſetzt, welcher die
Großheit des einfach Schönen, die nun an das Erhabene übertragen iſt,
abgeht. Die menſchliche Schönheit — um hier einige Sätze der trefflichen
Abhandlung über die männliche und weibliche Form von W. v. Humboldt
(geſamm. Werke B. 1) aufzunehmen — ſpezifizirt ſich und ſtellt zwei
getrennte Hälften eines unſichtbaren Ganzen auf, die einander fordern,
ſo daß der Betrachtende unbefriedigt von der einen zur andern übergeht
und nur in der Wechſelergänzung die höhere Einheit, die Menſchheit findet.
In der männlichen Geſtalt iſt die Maſſe mehr durch Form bezwungen,
ſie ſtellt die Regel dar. Die ſtärkeren Knochen, die hervorragenden Sehnen
begründen ſcharfe Umriſſe, wenig von Fleiſch gemildert. Alle Ecken
ſpringen ſchneller und minder vorbereitet hervor, der ganze Körper iſt in
beſtimmtere Abſchnitte getheilt und gleicht einer Zeichnung, die eine kühne
Hand mit ſtrenger Richtigkeit, aber wenig bekümmert um Grazie, bis an
die Grenze der Härte, entwirft. Die geſpannten Muskeln verkündigen
heftige Entladung der geſammelten Kraft nach außen und athmen den
Charakter der Thätigkeit, ſo wie die ſtrenge Beſtimmtheit des Ganzen das
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |