Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
Zunge und großen, doch immer eigensinnigen Anschlußfähigkeit an den 3. Die Raubvögel sind, wenn man den Vogel als solchen im Auge §. 305. Eine zweite Gruppe besteht aus Vögeln, welche weniger zum Flug, als1
Zunge und großen, doch immer eigenſinnigen Anſchlußfähigkeit an den 3. Die Raubvögel ſind, wenn man den Vogel als ſolchen im Auge §. 305. Eine zweite Gruppe beſteht aus Vögeln, welche weniger zum Flug, als1 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0151" n="139"/> Zunge und großen, doch immer eigenſinnigen Anſchlußfähigkeit an den<lb/> Menſchen. Den Raubvögeln am nächſten ſteht die Schwalbe, die doch<lb/> durch ihr zutrauliches Niſten an unſern Häuſern, das rührende nächtelange<lb/> Plaudern im Neſte, das Jauchzen im ſchießenden Fluge und als Frühlings-<lb/> bote uns ein ganz anderes, liebliches Bild gewährt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">3. Die Raubvögel ſind, wenn man den Vogel als ſolchen im Auge<lb/> behält (vergl. Anm. <hi rendition="#sub">1</hi>), nach Geſtalt und Flug gewiß die ſchönſten Vögel,<lb/> in der näheren Beſtimmtheit des Erhabenen, Furchtbaren. Dieſe gegen-<lb/> ſätzliche Form tritt in den Wirbelthieren mehr und mehr durch einen aus-<lb/> geſprochenen Contraſt des Raubthiers und des zahmen Thiers hervor;<lb/> es gibt Raubfiſche, Raub-Amphibien (die großen Schlangen, die auf<lb/> blutigen Kampf mit ſtarken Thieren angewieſen ſind, die Krokodile), aber<lb/> in der Klaſſe der Vögel zuerſt tritt das Raubthier in beſonders gebildeter<lb/> Form, eigenen Gattungen auf. Das Eigenthümliche beſteht in der Größe, dem<lb/> ganzen ſtahlharten Ausdrucke des ſchlanken Leibs auf den ſtarken, mit Hoſen<lb/> (Waff) beſetzten Füßen und Krallen, dem kühn vorſtrebenden in die drohende<lb/> Krümme des packenden, hauenden Schnabels endigenden Kopfe. Das<lb/> Auge des Raubvogels hat nicht nur den Ausdruck ungemein ſcharfen<lb/> Geſichts, ſondern zeichnet ſich auch durch die meiſt hellgraue, durchſichtige<lb/> Farbe, durch dieſe reine, kalte Friſche aus. Die Farbenpracht verſchmäht<lb/> er, ſein ſchattirtes Grau und Braun erſcheint aber gerade als organiſch<lb/> höhere Farbe; davon mehr bei den vierfüßigen Thieren. Vom Flug<lb/> war ſchon die Rede; der Charakter bedarf keiner Auseinanderſetzung. Ein<lb/> beſonders charaktervoller Vogel iſt die Eule mit dem runden Kopfe, den<lb/> großen, herrlichen, golden durchſichtigen Augen; ein Stoff, den kein<lb/> Künſtler verachten darf. Sie iſt durch dieſe Kopfform und die ſchon<lb/> erwähnte Stellung der Augen nach vornen ſehr menſchenähnlich, hat einen<lb/> Ausdruck mürriſcher Gravität, macht aber beſtändig ſeltſame Gebärden,<lb/> nickt, bückt ſich, ſcheint tanzen zu wollen und ſo geht das Unheimliche,<lb/> das ſie als Nachtraubvogel und durch ihren klagenden Ruf für das Gefühl<lb/> des Volkes hat, ſtark in das Komiſche über.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 305.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Eine zweite Gruppe beſteht aus Vögeln, welche weniger zum Flug, als<note place="right">1</note><lb/> zum Schwimmen gebildet ſind. Vom dicken Leibe trennt ſich der kleine Kopf<lb/> bei manchen Gattungen durch einen ſehr langen Hals, der jedoch eine ſchöne<lb/> Linie bildet. Im Waſſer ein erfreulicher Anblick werden dieſe Vögel durch<lb/> den watſchelnden Gang komiſch. Ihre ſeeliſchen Anlagen ſind bedeutender, als<lb/> es ſcheint, und die meiſten ſchließen ſich vertraulich dem Menſchen an. Zu der<note place="right">2</note><lb/> dritten Gruppe, den Landvögeln, bilden die großentheils hochbeinigen, lang-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [139/0151]
Zunge und großen, doch immer eigenſinnigen Anſchlußfähigkeit an den
Menſchen. Den Raubvögeln am nächſten ſteht die Schwalbe, die doch
durch ihr zutrauliches Niſten an unſern Häuſern, das rührende nächtelange
Plaudern im Neſte, das Jauchzen im ſchießenden Fluge und als Frühlings-
bote uns ein ganz anderes, liebliches Bild gewährt.
3. Die Raubvögel ſind, wenn man den Vogel als ſolchen im Auge
behält (vergl. Anm. 1), nach Geſtalt und Flug gewiß die ſchönſten Vögel,
in der näheren Beſtimmtheit des Erhabenen, Furchtbaren. Dieſe gegen-
ſätzliche Form tritt in den Wirbelthieren mehr und mehr durch einen aus-
geſprochenen Contraſt des Raubthiers und des zahmen Thiers hervor;
es gibt Raubfiſche, Raub-Amphibien (die großen Schlangen, die auf
blutigen Kampf mit ſtarken Thieren angewieſen ſind, die Krokodile), aber
in der Klaſſe der Vögel zuerſt tritt das Raubthier in beſonders gebildeter
Form, eigenen Gattungen auf. Das Eigenthümliche beſteht in der Größe, dem
ganzen ſtahlharten Ausdrucke des ſchlanken Leibs auf den ſtarken, mit Hoſen
(Waff) beſetzten Füßen und Krallen, dem kühn vorſtrebenden in die drohende
Krümme des packenden, hauenden Schnabels endigenden Kopfe. Das
Auge des Raubvogels hat nicht nur den Ausdruck ungemein ſcharfen
Geſichts, ſondern zeichnet ſich auch durch die meiſt hellgraue, durchſichtige
Farbe, durch dieſe reine, kalte Friſche aus. Die Farbenpracht verſchmäht
er, ſein ſchattirtes Grau und Braun erſcheint aber gerade als organiſch
höhere Farbe; davon mehr bei den vierfüßigen Thieren. Vom Flug
war ſchon die Rede; der Charakter bedarf keiner Auseinanderſetzung. Ein
beſonders charaktervoller Vogel iſt die Eule mit dem runden Kopfe, den
großen, herrlichen, golden durchſichtigen Augen; ein Stoff, den kein
Künſtler verachten darf. Sie iſt durch dieſe Kopfform und die ſchon
erwähnte Stellung der Augen nach vornen ſehr menſchenähnlich, hat einen
Ausdruck mürriſcher Gravität, macht aber beſtändig ſeltſame Gebärden,
nickt, bückt ſich, ſcheint tanzen zu wollen und ſo geht das Unheimliche,
das ſie als Nachtraubvogel und durch ihren klagenden Ruf für das Gefühl
des Volkes hat, ſtark in das Komiſche über.
§. 305.
Eine zweite Gruppe beſteht aus Vögeln, welche weniger zum Flug, als
zum Schwimmen gebildet ſind. Vom dicken Leibe trennt ſich der kleine Kopf
bei manchen Gattungen durch einen ſehr langen Hals, der jedoch eine ſchöne
Linie bildet. Im Waſſer ein erfreulicher Anblick werden dieſe Vögel durch
den watſchelnden Gang komiſch. Ihre ſeeliſchen Anlagen ſind bedeutender, als
es ſcheint, und die meiſten ſchließen ſich vertraulich dem Menſchen an. Zu der
dritten Gruppe, den Landvögeln, bilden die großentheils hochbeinigen, lang-
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