und schließen in greifende Zehen. Die Schuppen haben sich zu Federn auf- gefasert und glänzen in herrlichen Farben. Der Gang ist unvollkommen, frei und schön der Flug. Das kalte Blut ist heiß geworden und die träge und zähe Natur der Fische und Amphibien hat einer zwar insectenartig noch in Bautrieb thätigen und kosmisch sehr abhängigen, aber auch äußerst lebhaften, leidenschaftlichen, die Jungen zärtlich liebenden, des Anschlusses an den Menschen fähigen und selbst vielfach menschenähnlichen, zu Charaktertypen und einiger Individualität ausgeprägten Thierseele Platz gemacht, die sich geschwätzig und melodisch in der klangreichen Stimme verräth.
Der Vogel hat noch so Manches vom Fische, daß man ihn einen Fisch der Luft nennen könnte. Unter diese Aehnlichkeit gehört neben der anstrengungslosen Bewegung im Elemente, diesem Getragensein, der ovalen Form des vorherrschenden Rumpfes bei kleinem Kopfe, namentlich das seitlich gestellte Auge. Es geht aber daraus bei der beweglichen Natur dieses Thiers gerade ein besonders naiver, dummlich anmuthiger Zug hervor: das Hindrehen des Kopfes, das neugierige Hinlauschen nach der Seite. Nur bei der Eule ist dieß anders, die namentlich durch die vorwärtsstehenden Augen so menschenähnlich ist. Das Maul hat sich in den hornenen Schnabel verlängert und die horizontale Streckung nach Fraß erscheint allerdings noch als Hauptcharakter; auf Picken geht die ganze Gestalt hinaus. Was die Füße betrifft, so kommt es sehr darauf an, wie sie gestellt sind: ob der Leib mehr aufrecht auf ihnen ruht, wie bei den Raubvögeln, oder mehr vorhängt, wie bei den Schwimmvögeln; doch mag ein Vogel stolz schreiten oder watscheln, sein Gang ist immer ungeschickt, der Leib wird dabei immer wie ein unbequemer, zu großer Frack herüber und hinübergeschwenkt: zwei Füße sind ihm zu wenig. Besonders komisch ist das Hüpfen, z. B. bei Elstern. Doch ist es gerade der Fuß, der wesentlich den Fortschritt des Vogels über den Fisch, seinen ganzen höheren Bau bedingt. Der Vogel ist zwar hauptsächlich auf den Flug organisirt und dadurch Element-Thier, aber er kann doch auch gehen, stehen, sitzen und trägt daher den festen Gegensatz gegen die Erde, der überall die Bedingung freierer Existenz ist (vergl. §. 297), in sich. Schöner ist aber allerdings nur seine eigentliche Bewegungsweise, der Flug, in sehr verschiedenen Abstufungen und Arten freilich, bald ein Flattern wie bei den meisten kleinen Vögeln, bald ein gleichförmiges Rudern wie bei Raben, Reihern, bald ein geradlinigter energischer Kern- Schuß voll Lebenslust wie bei den Schwalben, bald eine Reihe abwech- selnder Bogenschüsse wie bei den Spechten, am herrlichsten aber das ruhig ausgespannte Schweben, das majestätische Kreisen des Adlers in hohen Lüften, diese bewegungslos stolze Bewegung, als hätte der Luftgeist selbst
und ſchließen in greifende Zehen. Die Schuppen haben ſich zu Federn auf- gefaſert und glänzen in herrlichen Farben. Der Gang iſt unvollkommen, frei und ſchön der Flug. Das kalte Blut iſt heiß geworden und die träge und zähe Natur der Fiſche und Amphibien hat einer zwar inſectenartig noch in Bautrieb thätigen und koſmiſch ſehr abhängigen, aber auch äußerſt lebhaften, leidenſchaftlichen, die Jungen zärtlich liebenden, des Anſchluſſes an den Menſchen fähigen und ſelbſt vielfach menſchenähnlichen, zu Charaktertypen und einiger Individualität ausgeprägten Thierſeele Platz gemacht, die ſich geſchwätzig und melodiſch in der klangreichen Stimme verräth.
Der Vogel hat noch ſo Manches vom Fiſche, daß man ihn einen Fiſch der Luft nennen könnte. Unter dieſe Aehnlichkeit gehört neben der anſtrengungsloſen Bewegung im Elemente, dieſem Getragenſein, der ovalen Form des vorherrſchenden Rumpfes bei kleinem Kopfe, namentlich das ſeitlich geſtellte Auge. Es geht aber daraus bei der beweglichen Natur dieſes Thiers gerade ein beſonders naiver, dummlich anmuthiger Zug hervor: das Hindrehen des Kopfes, das neugierige Hinlauſchen nach der Seite. Nur bei der Eule iſt dieß anders, die namentlich durch die vorwärtsſtehenden Augen ſo menſchenähnlich iſt. Das Maul hat ſich in den hornenen Schnabel verlängert und die horizontale Streckung nach Fraß erſcheint allerdings noch als Hauptcharakter; auf Picken geht die ganze Geſtalt hinaus. Was die Füße betrifft, ſo kommt es ſehr darauf an, wie ſie geſtellt ſind: ob der Leib mehr aufrecht auf ihnen ruht, wie bei den Raubvögeln, oder mehr vorhängt, wie bei den Schwimmvögeln; doch mag ein Vogel ſtolz ſchreiten oder watſcheln, ſein Gang iſt immer ungeſchickt, der Leib wird dabei immer wie ein unbequemer, zu großer Frack herüber und hinübergeſchwenkt: zwei Füße ſind ihm zu wenig. Beſonders komiſch iſt das Hüpfen, z. B. bei Elſtern. Doch iſt es gerade der Fuß, der weſentlich den Fortſchritt des Vogels über den Fiſch, ſeinen ganzen höheren Bau bedingt. Der Vogel iſt zwar hauptſächlich auf den Flug organiſirt und dadurch Element-Thier, aber er kann doch auch gehen, ſtehen, ſitzen und trägt daher den feſten Gegenſatz gegen die Erde, der überall die Bedingung freierer Exiſtenz iſt (vergl. §. 297), in ſich. Schöner iſt aber allerdings nur ſeine eigentliche Bewegungsweiſe, der Flug, in ſehr verſchiedenen Abſtufungen und Arten freilich, bald ein Flattern wie bei den meiſten kleinen Vögeln, bald ein gleichförmiges Rudern wie bei Raben, Reihern, bald ein geradlinigter energiſcher Kern- Schuß voll Lebensluſt wie bei den Schwalben, bald eine Reihe abwech- ſelnder Bogenſchüſſe wie bei den Spechten, am herrlichſten aber das ruhig ausgeſpannte Schweben, das majeſtätiſche Kreiſen des Adlers in hohen Lüften, dieſe bewegungslos ſtolze Bewegung, als hätte der Luftgeiſt ſelbſt
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und ſchließen in greifende Zehen. Die Schuppen haben ſich zu Federn auf-
gefaſert und glänzen in herrlichen Farben. Der Gang iſt unvollkommen, frei
und ſchön der Flug. Das kalte Blut iſt heiß geworden und die träge und
zähe Natur der Fiſche und Amphibien hat einer zwar inſectenartig noch in
Bautrieb thätigen und koſmiſch ſehr abhängigen, aber auch äußerſt lebhaften,
leidenſchaftlichen, die Jungen zärtlich liebenden, des Anſchluſſes an den Menſchen
fähigen und ſelbſt vielfach menſchenähnlichen, zu Charaktertypen und einiger
Individualität ausgeprägten Thierſeele Platz gemacht, die ſich geſchwätzig und
melodiſch in der klangreichen Stimme verräth.
Der Vogel hat noch ſo Manches vom Fiſche, daß man ihn einen
Fiſch der Luft nennen könnte. Unter dieſe Aehnlichkeit gehört neben der
anſtrengungsloſen Bewegung im Elemente, dieſem Getragenſein, der
ovalen Form des vorherrſchenden Rumpfes bei kleinem Kopfe, namentlich
das ſeitlich geſtellte Auge. Es geht aber daraus bei der beweglichen
Natur dieſes Thiers gerade ein beſonders naiver, dummlich anmuthiger
Zug hervor: das Hindrehen des Kopfes, das neugierige Hinlauſchen nach
der Seite. Nur bei der Eule iſt dieß anders, die namentlich durch die
vorwärtsſtehenden Augen ſo menſchenähnlich iſt. Das Maul hat ſich in
den hornenen Schnabel verlängert und die horizontale Streckung nach
Fraß erſcheint allerdings noch als Hauptcharakter; auf Picken geht die
ganze Geſtalt hinaus. Was die Füße betrifft, ſo kommt es ſehr darauf
an, wie ſie geſtellt ſind: ob der Leib mehr aufrecht auf ihnen ruht, wie
bei den Raubvögeln, oder mehr vorhängt, wie bei den Schwimmvögeln;
doch mag ein Vogel ſtolz ſchreiten oder watſcheln, ſein Gang iſt immer
ungeſchickt, der Leib wird dabei immer wie ein unbequemer, zu großer Frack
herüber und hinübergeſchwenkt: zwei Füße ſind ihm zu wenig. Beſonders
komiſch iſt das Hüpfen, z. B. bei Elſtern. Doch iſt es gerade der Fuß,
der weſentlich den Fortſchritt des Vogels über den Fiſch, ſeinen ganzen
höheren Bau bedingt. Der Vogel iſt zwar hauptſächlich auf den Flug
organiſirt und dadurch Element-Thier, aber er kann doch auch gehen,
ſtehen, ſitzen und trägt daher den feſten Gegenſatz gegen die Erde, der
überall die Bedingung freierer Exiſtenz iſt (vergl. §. 297), in ſich.
Schöner iſt aber allerdings nur ſeine eigentliche Bewegungsweiſe, der
Flug, in ſehr verſchiedenen Abſtufungen und Arten freilich, bald ein
Flattern wie bei den meiſten kleinen Vögeln, bald ein gleichförmiges
Rudern wie bei Raben, Reihern, bald ein geradlinigter energiſcher Kern-
Schuß voll Lebensluſt wie bei den Schwalben, bald eine Reihe abwech-
ſelnder Bogenſchüſſe wie bei den Spechten, am herrlichſten aber das ruhig
ausgeſpannte Schweben, das majeſtätiſche Kreiſen des Adlers in hohen
Lüften, dieſe bewegungslos ſtolze Bewegung, als hätte der Luftgeiſt ſelbſt
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/147>, abgerufen am 16.07.2024.
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