Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.2. Die unmittelbare Existenz des Schönen ist, wie sich fogleich 2. Die unmittelbare Exiſtenz des Schönen iſt, wie ſich fogleich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0014" n="2"/> <p> <hi rendition="#et">2. Die unmittelbare Exiſtenz des Schönen iſt, wie ſich fogleich<lb/> zeigen wird, das Naturſchöne, die vermittelte iſt die Phantaſie. Jenes<lb/> wird ſich aufheben in dieſe, dieſe aber ſoll ſelbſt wieder das Unmittelbare,<lb/> das ſie in ſich aufgelöst hat, zur Freiheit entlaſſen und ſo die wahre<lb/> und ganze Wirklichkeit des Schönen, die Kunſt, entſtehen, welche den<lb/> Inhalt des dritten Theils bilden wird. Solange nun dieſer dritte Schritt<lb/> noch nicht gethan iſt, ſo zeigt ſich die Phantaſie ſelbſt noch als mangelhaft<lb/> und was ihr mangelt, iſt eben die Objectivität des Unmittelbaren;<lb/> darum behauptet ſich das Naturſchöne, obwohl es nicht die wahre Form<lb/> der Unmittelbarkeit hat, neben ihr als ſelbſtändige Welt und ſie neben ihm.<lb/> Man könnte die Lehre vom Naturſchönen die äſthetiſche Phyſik, die Lehre<lb/> von der Phantaſie die äſthetiſche Pſychologie nennen. Dieſe Namen<lb/> bieten einen bequemen Gegenſatz gegen den Namen des erſten Theils:<lb/> Metaphyſik des Schönen, wobei freilich die Ungleichheit bleibt, daß, während<lb/> dieſer Name dem ganzen erſten Theile galt, mit jenen Bezeichnungen nur<lb/> jedem der zwei Abſchnitte des zweiten Theils ſein beſonderer Name gegeben<lb/> iſt. Dieß liegt in der Natur der Sache; der in ſich zwar unterſchiedene,<lb/> als Ganzes aber einfache Begriff geht in der Bewegung ſeiner Verwirk-<lb/> lichung zunächſt in zwei Zweige auseinander, welche ſich, ſo nothwendig<lb/> auch der Uebergang vom einen zum andern iſt, aus dem genannten<lb/> Grunde als ſelbſtändige und getrennte Welten gegenüberſtehen; im dritten<lb/> Theile erſt vereinigen ſich dieſe Welten wieder zu Einer und der einfache<lb/> Name Kunſtlehre umfaßt dieſen ganzen Theil. Der Name Pſychologie<lb/> für den zweiten Abſchnitt des zweiten Theils könnte angefochten werden,<lb/> ſofern er nicht nur die Lehre von der Phantaſie als Thätigkeit des Subjects,<lb/> ſondern auch die Lehre von der Phantaſie der Völker, die Hauptformen<lb/> des Ideals zu bezeichnen hat. Allein das Ideal kommt hier doch in<lb/> Betracht weſentlich nur als ein erſt inneres, wobei von ſeiner Darſtellung<lb/> in Kunſtwerken noch nicht die Rede iſt; concrete Bedingungen, die<lb/> beſtimmten Zuſtände und insbeſondere die Religion der Völker ſind dabei<lb/> zwar vorausgeſetzt und dadurch ſcheint das Gebiet der Pſychologie weit<lb/> überſchritten zu ſein; allein wir befinden uns nicht in der Philoſophie<lb/> überhaupt, ſondern in der Aeſthetik: für dieſe bleibt das Daſein des<lb/> Schönen als inneres Bild, ſo lange es ſich nicht in der Kunſt verwirklicht,<lb/> wie reiche geſchichtliche Bedingungen auch zu demſelben zuſammenwirken<lb/> mögen, immer eine blos pſychologiſche Form.</hi> </p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [2/0014]
2. Die unmittelbare Exiſtenz des Schönen iſt, wie ſich fogleich
zeigen wird, das Naturſchöne, die vermittelte iſt die Phantaſie. Jenes
wird ſich aufheben in dieſe, dieſe aber ſoll ſelbſt wieder das Unmittelbare,
das ſie in ſich aufgelöst hat, zur Freiheit entlaſſen und ſo die wahre
und ganze Wirklichkeit des Schönen, die Kunſt, entſtehen, welche den
Inhalt des dritten Theils bilden wird. Solange nun dieſer dritte Schritt
noch nicht gethan iſt, ſo zeigt ſich die Phantaſie ſelbſt noch als mangelhaft
und was ihr mangelt, iſt eben die Objectivität des Unmittelbaren;
darum behauptet ſich das Naturſchöne, obwohl es nicht die wahre Form
der Unmittelbarkeit hat, neben ihr als ſelbſtändige Welt und ſie neben ihm.
Man könnte die Lehre vom Naturſchönen die äſthetiſche Phyſik, die Lehre
von der Phantaſie die äſthetiſche Pſychologie nennen. Dieſe Namen
bieten einen bequemen Gegenſatz gegen den Namen des erſten Theils:
Metaphyſik des Schönen, wobei freilich die Ungleichheit bleibt, daß, während
dieſer Name dem ganzen erſten Theile galt, mit jenen Bezeichnungen nur
jedem der zwei Abſchnitte des zweiten Theils ſein beſonderer Name gegeben
iſt. Dieß liegt in der Natur der Sache; der in ſich zwar unterſchiedene,
als Ganzes aber einfache Begriff geht in der Bewegung ſeiner Verwirk-
lichung zunächſt in zwei Zweige auseinander, welche ſich, ſo nothwendig
auch der Uebergang vom einen zum andern iſt, aus dem genannten
Grunde als ſelbſtändige und getrennte Welten gegenüberſtehen; im dritten
Theile erſt vereinigen ſich dieſe Welten wieder zu Einer und der einfache
Name Kunſtlehre umfaßt dieſen ganzen Theil. Der Name Pſychologie
für den zweiten Abſchnitt des zweiten Theils könnte angefochten werden,
ſofern er nicht nur die Lehre von der Phantaſie als Thätigkeit des Subjects,
ſondern auch die Lehre von der Phantaſie der Völker, die Hauptformen
des Ideals zu bezeichnen hat. Allein das Ideal kommt hier doch in
Betracht weſentlich nur als ein erſt inneres, wobei von ſeiner Darſtellung
in Kunſtwerken noch nicht die Rede iſt; concrete Bedingungen, die
beſtimmten Zuſtände und insbeſondere die Religion der Völker ſind dabei
zwar vorausgeſetzt und dadurch ſcheint das Gebiet der Pſychologie weit
überſchritten zu ſein; allein wir befinden uns nicht in der Philoſophie
überhaupt, ſondern in der Aeſthetik: für dieſe bleibt das Daſein des
Schönen als inneres Bild, ſo lange es ſich nicht in der Kunſt verwirklicht,
wie reiche geſchichtliche Bedingungen auch zu demſelben zuſammenwirken
mögen, immer eine blos pſychologiſche Form.
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