In J. Paul finden sich Elemente zu dieser höchsten Befreiung aus dem totalen Bewußtseyn des Widerspruchs. Schoppe und Leibgeber, zum Theil auch Horion, schreiten auf der einen Seite fort zu der Ver- zweiflung an den letzten festen Punkten objectiver, dem Subjecte jenseitiger Erhabenheit, an denen der stille und weiche Humor in seiner Erbaulichkeit noch festhält, wenn die ihm unerträgliche Erfahrung des Uebels in den großen Kreisen des Weltwesens auf ihn eindringt; auf der andern Seite ist in ihnen auf der Grundlage Fichte'scher Ideen ein Bewußtseyn der Unendlichkeit des Ich ausgesprochen. Allein theils sind jene athei- stischen Humoristen wieder zu sehr nur mit der inneren Welt beschäftigt, um den größeren politischen Schmerz des Dichters, der daher unüber- wunden zur Seite liegen bleibt oder sich nur didaktisch durch Muster wahrer Erziehung künftiger Fürsten zu lösen sucht, in ihren Humor hereinzuziehen; theils bleibt ihr Humor ein gebrochener, weil sie nur das Unglück des Zweifels fühlen, nicht die Auferstehung des Be- zweifelten in der Unendlichkeit des zweifelnden Geistes selbst erkennen; und endlich steht gerade in jenem genialen Wahnsinn, zu welchem J. Paul die Ideen Fichtes benützt, der subjective Idealismus im Hintergrunde, welcher nicht die Mittel hat, in der Idee der unendlichen Subjectivität die zerstörten objectiven Mächte als ein freies Beisichseyn der mit sich und der Natur kämpfenden Menschheit im Großen her- zustellen. Die politische Anschauung ist aus Rousseau geschöpft und daher ebenfalls zu abstract, sich mit der Geschichte zu versöhnen. Dagegen ist hier noch einmal an Aristophanes zu erinnern. Hätte er mit seinem großen politischen Humor das vollkommene Bewußtseyn ver- einigt, daß die alten Götter und Sitten in einer neuen Gestalt des Lebens, die sich aus dem versinkenden griechischen Staat herausringen müsse, als unendlicher eigener Gehalt des freien Geistes fortleben werden, so hätte er die höchste Form des Humors, welche hier gefordert ist, verwirklicht. Dazu hätte er freilich die Bedeutung der Sokratischen Philosophie besser verstanden gehabt müssen, als dies der Fall ist. So aber ist er selbst getheilt zwischen der Sehnsucht nach der alten sub- stantiellen Einfalt und zwischen der unendlichen Selbstgewißheit, die der wahre Sinn seiner Komödien ist. Man wird dies bei den meisten Humoristen finden: sie theilen als vollkommene Kinder einer kritischen Zeit die ganze Selbstgewißheit der freien Bildung, welche die Anhänger des Alten Frivolität zu nennen belieben; da aber diese Selbstgewißheit in der Masse der oberflächlichen Bildung allerdings wirkliche Frivolität
In J. Paul finden ſich Elemente zu dieſer höchſten Befreiung aus dem totalen Bewußtſeyn des Widerſpruchs. Schoppe und Leibgeber, zum Theil auch Horion, ſchreiten auf der einen Seite fort zu der Ver- zweiflung an den letzten feſten Punkten objectiver, dem Subjecte jenſeitiger Erhabenheit, an denen der ſtille und weiche Humor in ſeiner Erbaulichkeit noch feſthält, wenn die ihm unerträgliche Erfahrung des Uebels in den großen Kreiſen des Weltweſens auf ihn eindringt; auf der andern Seite iſt in ihnen auf der Grundlage Fichte’ſcher Ideen ein Bewußtſeyn der Unendlichkeit des Ich ausgeſprochen. Allein theils ſind jene athei- ſtiſchen Humoriſten wieder zu ſehr nur mit der inneren Welt beſchäftigt, um den größeren politiſchen Schmerz des Dichters, der daher unüber- wunden zur Seite liegen bleibt oder ſich nur didaktiſch durch Muſter wahrer Erziehung künftiger Fürſten zu löſen ſucht, in ihren Humor hereinzuziehen; theils bleibt ihr Humor ein gebrochener, weil ſie nur das Unglück des Zweifels fühlen, nicht die Auferſtehung des Be- zweifelten in der Unendlichkeit des zweifelnden Geiſtes ſelbſt erkennen; und endlich ſteht gerade in jenem genialen Wahnſinn, zu welchem J. Paul die Ideen Fichtes benützt, der ſubjective Idealismus im Hintergrunde, welcher nicht die Mittel hat, in der Idee der unendlichen Subjectivität die zerſtörten objectiven Mächte als ein freies Beiſichſeyn der mit ſich und der Natur kämpfenden Menſchheit im Großen her- zuſtellen. Die politiſche Anſchauung iſt aus Rouſſeau geſchöpft und daher ebenfalls zu abſtract, ſich mit der Geſchichte zu verſöhnen. Dagegen iſt hier noch einmal an Ariſtophanes zu erinnern. Hätte er mit ſeinem großen politiſchen Humor das vollkommene Bewußtſeyn ver- einigt, daß die alten Götter und Sitten in einer neuen Geſtalt des Lebens, die ſich aus dem verſinkenden griechiſchen Staat herausringen müſſe, als unendlicher eigener Gehalt des freien Geiſtes fortleben werden, ſo hätte er die höchſte Form des Humors, welche hier gefordert iſt, verwirklicht. Dazu hätte er freilich die Bedeutung der Sokratiſchen Philoſophie beſſer verſtanden gehabt müſſen, als dies der Fall iſt. So aber iſt er ſelbſt getheilt zwiſchen der Sehnſucht nach der alten ſub- ſtantiellen Einfalt und zwiſchen der unendlichen Selbſtgewißheit, die der wahre Sinn ſeiner Komödien iſt. Man wird dies bei den meiſten Humoriſten finden: ſie theilen als vollkommene Kinder einer kritiſchen Zeit die ganze Selbſtgewißheit der freien Bildung, welche die Anhänger des Alten Frivolität zu nennen belieben; da aber dieſe Selbſtgewißheit in der Maſſe der oberflächlichen Bildung allerdings wirkliche Frivolität
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><pbfacs="#f0485"n="471"/><p><hirendition="#et">In J. <hirendition="#g">Paul</hi> finden ſich Elemente zu dieſer höchſten Befreiung aus<lb/>
dem totalen Bewußtſeyn des Widerſpruchs. Schoppe und Leibgeber,<lb/>
zum Theil auch Horion, ſchreiten auf der einen Seite fort zu der Ver-<lb/>
zweiflung an den letzten feſten Punkten objectiver, dem Subjecte jenſeitiger<lb/>
Erhabenheit, an denen der ſtille und weiche Humor in ſeiner Erbaulichkeit<lb/>
noch feſthält, wenn die ihm unerträgliche Erfahrung des Uebels in den<lb/>
großen Kreiſen des Weltweſens auf ihn eindringt; auf der andern Seite<lb/>
iſt in ihnen auf der Grundlage <hirendition="#g">Fichte</hi>’ſcher Ideen ein Bewußtſeyn der<lb/>
Unendlichkeit des Ich ausgeſprochen. Allein theils ſind jene athei-<lb/>ſtiſchen Humoriſten wieder zu ſehr nur mit der inneren Welt beſchäftigt,<lb/>
um den größeren politiſchen Schmerz des Dichters, der daher unüber-<lb/>
wunden zur Seite liegen bleibt oder ſich nur didaktiſch durch Muſter<lb/>
wahrer Erziehung künftiger Fürſten zu löſen ſucht, in ihren Humor<lb/>
hereinzuziehen; theils bleibt ihr Humor ein gebrochener, weil ſie<lb/>
nur das Unglück des Zweifels fühlen, nicht die Auferſtehung des Be-<lb/>
zweifelten in der Unendlichkeit des zweifelnden Geiſtes ſelbſt erkennen;<lb/>
und endlich ſteht gerade in jenem genialen Wahnſinn, zu welchem<lb/>
J. <hirendition="#g">Paul</hi> die Ideen <hirendition="#g">Fichtes</hi> benützt, der ſubjective Idealismus im<lb/>
Hintergrunde, welcher nicht die Mittel hat, in der Idee der unendlichen<lb/>
Subjectivität die zerſtörten objectiven Mächte als ein freies Beiſichſeyn<lb/>
der mit ſich und der Natur kämpfenden Menſchheit im Großen her-<lb/>
zuſtellen. Die politiſche Anſchauung iſt aus <hirendition="#g">Rouſſeau</hi> geſchöpft<lb/>
und daher ebenfalls zu abſtract, ſich mit der Geſchichte zu verſöhnen.<lb/>
Dagegen iſt hier noch einmal an <hirendition="#g">Ariſtophanes</hi> zu erinnern. Hätte er<lb/>
mit ſeinem großen politiſchen Humor das vollkommene Bewußtſeyn ver-<lb/>
einigt, daß die alten Götter und Sitten in einer neuen Geſtalt des<lb/>
Lebens, die ſich aus dem verſinkenden griechiſchen Staat herausringen<lb/>
müſſe, als unendlicher eigener Gehalt des freien Geiſtes fortleben werden,<lb/>ſo hätte er die höchſte Form des Humors, welche hier gefordert iſt,<lb/>
verwirklicht. Dazu hätte er freilich die Bedeutung der Sokratiſchen<lb/>
Philoſophie beſſer verſtanden gehabt müſſen, als dies der Fall iſt. So<lb/>
aber iſt er ſelbſt getheilt zwiſchen der Sehnſucht nach der alten ſub-<lb/>ſtantiellen Einfalt und zwiſchen der unendlichen Selbſtgewißheit, die der<lb/>
wahre Sinn ſeiner Komödien iſt. Man wird dies bei den meiſten<lb/>
Humoriſten finden: ſie theilen als vollkommene Kinder einer kritiſchen<lb/>
Zeit die ganze Selbſtgewißheit der freien Bildung, welche die Anhänger<lb/>
des Alten Frivolität zu nennen belieben; da aber dieſe Selbſtgewißheit<lb/>
in der Maſſe der oberflächlichen Bildung allerdings wirkliche Frivolität<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[471/0485]
In J. Paul finden ſich Elemente zu dieſer höchſten Befreiung aus
dem totalen Bewußtſeyn des Widerſpruchs. Schoppe und Leibgeber,
zum Theil auch Horion, ſchreiten auf der einen Seite fort zu der Ver-
zweiflung an den letzten feſten Punkten objectiver, dem Subjecte jenſeitiger
Erhabenheit, an denen der ſtille und weiche Humor in ſeiner Erbaulichkeit
noch feſthält, wenn die ihm unerträgliche Erfahrung des Uebels in den
großen Kreiſen des Weltweſens auf ihn eindringt; auf der andern Seite
iſt in ihnen auf der Grundlage Fichte’ſcher Ideen ein Bewußtſeyn der
Unendlichkeit des Ich ausgeſprochen. Allein theils ſind jene athei-
ſtiſchen Humoriſten wieder zu ſehr nur mit der inneren Welt beſchäftigt,
um den größeren politiſchen Schmerz des Dichters, der daher unüber-
wunden zur Seite liegen bleibt oder ſich nur didaktiſch durch Muſter
wahrer Erziehung künftiger Fürſten zu löſen ſucht, in ihren Humor
hereinzuziehen; theils bleibt ihr Humor ein gebrochener, weil ſie
nur das Unglück des Zweifels fühlen, nicht die Auferſtehung des Be-
zweifelten in der Unendlichkeit des zweifelnden Geiſtes ſelbſt erkennen;
und endlich ſteht gerade in jenem genialen Wahnſinn, zu welchem
J. Paul die Ideen Fichtes benützt, der ſubjective Idealismus im
Hintergrunde, welcher nicht die Mittel hat, in der Idee der unendlichen
Subjectivität die zerſtörten objectiven Mächte als ein freies Beiſichſeyn
der mit ſich und der Natur kämpfenden Menſchheit im Großen her-
zuſtellen. Die politiſche Anſchauung iſt aus Rouſſeau geſchöpft
und daher ebenfalls zu abſtract, ſich mit der Geſchichte zu verſöhnen.
Dagegen iſt hier noch einmal an Ariſtophanes zu erinnern. Hätte er
mit ſeinem großen politiſchen Humor das vollkommene Bewußtſeyn ver-
einigt, daß die alten Götter und Sitten in einer neuen Geſtalt des
Lebens, die ſich aus dem verſinkenden griechiſchen Staat herausringen
müſſe, als unendlicher eigener Gehalt des freien Geiſtes fortleben werden,
ſo hätte er die höchſte Form des Humors, welche hier gefordert iſt,
verwirklicht. Dazu hätte er freilich die Bedeutung der Sokratiſchen
Philoſophie beſſer verſtanden gehabt müſſen, als dies der Fall iſt. So
aber iſt er ſelbſt getheilt zwiſchen der Sehnſucht nach der alten ſub-
ſtantiellen Einfalt und zwiſchen der unendlichen Selbſtgewißheit, die der
wahre Sinn ſeiner Komödien iſt. Man wird dies bei den meiſten
Humoriſten finden: ſie theilen als vollkommene Kinder einer kritiſchen
Zeit die ganze Selbſtgewißheit der freien Bildung, welche die Anhänger
des Alten Frivolität zu nennen belieben; da aber dieſe Selbſtgewißheit
in der Maſſe der oberflächlichen Bildung allerdings wirkliche Frivolität
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/485>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.