Liebe nicht hat oder vielmehr ebensogut nicht haben als haben kann, ist die Ironie noch nicht die wahre Komik. Setzen wir nun auch, wir hätten hier schon einen Charakter mit der Continuität der schonenden Ironie, wie Sokrates und Nathan, so wären doch diese ebendarin unvollkommene Erscheinungen des komischen Standpunkts, weil sie doch eigentlich vom moralischen Bewußtseyn ausgehen, welches, wie weise es schonen mag, doch wesentlich darauf geht, alle Verirrung als etwas, was nicht seyn soll, zu bekämpfen. -- Was übrigens die andern Formen des Witzes betrifft, so ist nun, was hier als dritter Mangel der Ironie hervorgehoben wurde, leicht auf sie anzuwenden. Der zwecklose Witz freilich gibt der Narrheit volles Recht, dafür hat er aber auch keinen Boden; der treffende dagegen hält aus demselben Grunde, warum er das getroffene Subject außerhalb stehen läßt, an dem Rechte der zurechtweisenden Weisheit und gibt sich nicht herunter, das der Thorheit anzuerkennen.
§. 204.
Der erste Mangel ist aber nur äußerlich bezeichnet, wenn er Punktualität1 genannt wird. Der Witz kann sich zum continuirlichen fortbilden; wie der bildliche, so aller. Allein er stellt dadurch seine Schwäche um so mehr an's Licht; denn wenn der einzelne Witz nur momentan wirkt, so stumpft der fort- gesetzte und gehäufte ab und ermüdet, weil durch die äußere Continuität die innere Vereinzelung jedes der aneinandergereihten Punkte nicht aufgehoben wird. Was also fehlt, ist die innere Continuität eines Totalbewußtseyns über die all- gemeine Brechung, welche die absolute Idee durch ihre Selbstaufhebung im End- lichen sich gibt. Der zweite Mangel der Ironie wie alles Witzes ist das Ausein-2 anderfallen des anschauenden und des angeschauten Subjects, durch deren wahres und von jener Continuität verbürgtes Zusammengehen in Ein Subject erst das gemüthliche Fortfließen der naiven Komik mit den Dingen sich in höherer Weise wiederherstellen soll. Ebenhiedurch muß sich der dritte Mangel heben;3 denn wenn das anschauende Subject sich ganz in das angeschaute und dieses in sich versetzt, so weiß es sich selbst als mit dessen Verirrung behaftet und in der- selben dennoch frei, gibt also der Verirrung selbst das auf dem komischen Standpunkt ihr zustehende Recht.
1. Ruge begründet den so eben schon angedeuteten Uebergang zum Humor näher darauf, daß in der Ironie die Endlichkeit zugleich als der bleibende und unsterbliche Gegensatz des unendlichen Geistes und zugleich
Liebe nicht hat oder vielmehr ebenſogut nicht haben als haben kann, iſt die Ironie noch nicht die wahre Komik. Setzen wir nun auch, wir hätten hier ſchon einen Charakter mit der Continuität der ſchonenden Ironie, wie Sokrates und Nathan, ſo wären doch dieſe ebendarin unvollkommene Erſcheinungen des komiſchen Standpunkts, weil ſie doch eigentlich vom moraliſchen Bewußtſeyn ausgehen, welches, wie weiſe es ſchonen mag, doch weſentlich darauf geht, alle Verirrung als etwas, was nicht ſeyn ſoll, zu bekämpfen. — Was übrigens die andern Formen des Witzes betrifft, ſo iſt nun, was hier als dritter Mangel der Ironie hervorgehoben wurde, leicht auf ſie anzuwenden. Der zweckloſe Witz freilich gibt der Narrheit volles Recht, dafür hat er aber auch keinen Boden; der treffende dagegen hält aus demſelben Grunde, warum er das getroffene Subject außerhalb ſtehen läßt, an dem Rechte der zurechtweiſenden Weisheit und gibt ſich nicht herunter, das der Thorheit anzuerkennen.
§. 204.
Der erſte Mangel iſt aber nur äußerlich bezeichnet, wenn er Punktualität1 genannt wird. Der Witz kann ſich zum continuirlichen fortbilden; wie der bildliche, ſo aller. Allein er ſtellt dadurch ſeine Schwäche um ſo mehr an’s Licht; denn wenn der einzelne Witz nur momentan wirkt, ſo ſtumpft der fort- geſetzte und gehäufte ab und ermüdet, weil durch die äußere Continuität die innere Vereinzelung jedes der aneinandergereihten Punkte nicht aufgehoben wird. Was alſo fehlt, iſt die innere Continuität eines Totalbewußtſeyns über die all- gemeine Brechung, welche die abſolute Idee durch ihre Selbſtaufhebung im End- lichen ſich gibt. Der zweite Mangel der Ironie wie alles Witzes iſt das Ausein-2 anderfallen des anſchauenden und des angeſchauten Subjects, durch deren wahres und von jener Continuität verbürgtes Zuſammengehen in Ein Subject erſt das gemüthliche Fortfließen der naiven Komik mit den Dingen ſich in höherer Weiſe wiederherſtellen ſoll. Ebenhiedurch muß ſich der dritte Mangel heben;3 denn wenn das anſchauende Subject ſich ganz in das angeſchaute und dieſes in ſich verſetzt, ſo weiß es ſich ſelbſt als mit deſſen Verirrung behaftet und in der- ſelben dennoch frei, gibt alſo der Verirrung ſelbſt das auf dem komiſchen Standpunkt ihr zuſtehende Recht.
1. Ruge begründet den ſo eben ſchon angedeuteten Uebergang zum Humor näher darauf, daß in der Ironie die Endlichkeit zugleich als der bleibende und unſterbliche Gegenſatz des unendlichen Geiſtes und zugleich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0455"n="441"/>
Liebe nicht hat oder vielmehr ebenſogut nicht haben als haben kann, iſt<lb/>
die Ironie noch nicht die wahre Komik. Setzen wir nun auch, wir hätten<lb/>
hier ſchon einen Charakter mit der Continuität der ſchonenden Ironie,<lb/>
wie Sokrates und Nathan, ſo wären doch dieſe ebendarin unvollkommene<lb/>
Erſcheinungen des komiſchen Standpunkts, weil ſie doch eigentlich vom<lb/>
moraliſchen Bewußtſeyn ausgehen, welches, wie weiſe es ſchonen mag,<lb/>
doch weſentlich darauf geht, alle Verirrung als etwas, was nicht ſeyn<lb/>ſoll, zu bekämpfen. — Was übrigens die andern Formen des Witzes<lb/>
betrifft, ſo iſt nun, was hier als dritter Mangel der Ironie hervorgehoben<lb/>
wurde, leicht auf ſie anzuwenden. Der zweckloſe Witz freilich gibt der<lb/>
Narrheit volles Recht, dafür hat er aber auch keinen Boden; der treffende<lb/>
dagegen hält aus demſelben Grunde, warum er das getroffene Subject<lb/>
außerhalb ſtehen läßt, an dem Rechte der zurechtweiſenden Weisheit und<lb/>
gibt ſich nicht herunter, das der Thorheit anzuerkennen.</hi></p></div><lb/><divn="6"><head>§. 204.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Der erſte Mangel iſt aber nur äußerlich bezeichnet, wenn er Punktualität<noteplace="right">1</note><lb/>
genannt wird. Der Witz kann ſich zum continuirlichen fortbilden; wie der<lb/>
bildliche, ſo aller. Allein er ſtellt dadurch ſeine Schwäche um ſo mehr an’s<lb/>
Licht; denn wenn der einzelne Witz nur momentan wirkt, ſo ſtumpft der fort-<lb/>
geſetzte und gehäufte ab und ermüdet, weil durch die äußere Continuität die<lb/>
innere Vereinzelung jedes der aneinandergereihten Punkte nicht aufgehoben wird.<lb/>
Was alſo fehlt, iſt die innere Continuität eines Totalbewußtſeyns über die all-<lb/>
gemeine Brechung, welche die abſolute Idee durch ihre Selbſtaufhebung im End-<lb/>
lichen ſich gibt. Der zweite Mangel der Ironie wie alles Witzes iſt das Ausein-<noteplace="right">2</note><lb/>
anderfallen des anſchauenden und des angeſchauten Subjects, durch deren wahres<lb/>
und von jener Continuität verbürgtes Zuſammengehen in Ein Subject erſt das<lb/>
gemüthliche Fortfließen der naiven Komik mit den Dingen ſich in höherer<lb/>
Weiſe wiederherſtellen ſoll. Ebenhiedurch muß ſich der dritte Mangel heben;<noteplace="right">3</note><lb/>
denn wenn das anſchauende Subject ſich ganz in das angeſchaute und dieſes in<lb/>ſich verſetzt, ſo weiß es ſich ſelbſt als mit deſſen Verirrung behaftet und in der-<lb/>ſelben dennoch frei, gibt alſo der Verirrung ſelbſt das auf dem komiſchen<lb/>
Standpunkt ihr zuſtehende Recht.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">1. <hirendition="#g">Ruge</hi> begründet den ſo eben ſchon angedeuteten Uebergang zum<lb/>
Humor näher darauf, daß in der Ironie die Endlichkeit zugleich als der<lb/>
bleibende und unſterbliche Gegenſatz des unendlichen Geiſtes und zugleich<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[441/0455]
Liebe nicht hat oder vielmehr ebenſogut nicht haben als haben kann, iſt
die Ironie noch nicht die wahre Komik. Setzen wir nun auch, wir hätten
hier ſchon einen Charakter mit der Continuität der ſchonenden Ironie,
wie Sokrates und Nathan, ſo wären doch dieſe ebendarin unvollkommene
Erſcheinungen des komiſchen Standpunkts, weil ſie doch eigentlich vom
moraliſchen Bewußtſeyn ausgehen, welches, wie weiſe es ſchonen mag,
doch weſentlich darauf geht, alle Verirrung als etwas, was nicht ſeyn
ſoll, zu bekämpfen. — Was übrigens die andern Formen des Witzes
betrifft, ſo iſt nun, was hier als dritter Mangel der Ironie hervorgehoben
wurde, leicht auf ſie anzuwenden. Der zweckloſe Witz freilich gibt der
Narrheit volles Recht, dafür hat er aber auch keinen Boden; der treffende
dagegen hält aus demſelben Grunde, warum er das getroffene Subject
außerhalb ſtehen läßt, an dem Rechte der zurechtweiſenden Weisheit und
gibt ſich nicht herunter, das der Thorheit anzuerkennen.
§. 204.
Der erſte Mangel iſt aber nur äußerlich bezeichnet, wenn er Punktualität
genannt wird. Der Witz kann ſich zum continuirlichen fortbilden; wie der
bildliche, ſo aller. Allein er ſtellt dadurch ſeine Schwäche um ſo mehr an’s
Licht; denn wenn der einzelne Witz nur momentan wirkt, ſo ſtumpft der fort-
geſetzte und gehäufte ab und ermüdet, weil durch die äußere Continuität die
innere Vereinzelung jedes der aneinandergereihten Punkte nicht aufgehoben wird.
Was alſo fehlt, iſt die innere Continuität eines Totalbewußtſeyns über die all-
gemeine Brechung, welche die abſolute Idee durch ihre Selbſtaufhebung im End-
lichen ſich gibt. Der zweite Mangel der Ironie wie alles Witzes iſt das Ausein-
anderfallen des anſchauenden und des angeſchauten Subjects, durch deren wahres
und von jener Continuität verbürgtes Zuſammengehen in Ein Subject erſt das
gemüthliche Fortfließen der naiven Komik mit den Dingen ſich in höherer
Weiſe wiederherſtellen ſoll. Ebenhiedurch muß ſich der dritte Mangel heben;
denn wenn das anſchauende Subject ſich ganz in das angeſchaute und dieſes in
ſich verſetzt, ſo weiß es ſich ſelbſt als mit deſſen Verirrung behaftet und in der-
ſelben dennoch frei, gibt alſo der Verirrung ſelbſt das auf dem komiſchen
Standpunkt ihr zuſtehende Recht.
1. Ruge begründet den ſo eben ſchon angedeuteten Uebergang zum
Humor näher darauf, daß in der Ironie die Endlichkeit zugleich als der
bleibende und unſterbliche Gegenſatz des unendlichen Geiſtes und zugleich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/455>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.