gefordert wurde und nun durch diesen Act des Leihens begriffen wird. Diesen als wesentliche Bedingung des Komischen erkannt zu haben, ist das Verdienst J. P. Fr. Richters. Wiewohl nun die Natur des Selbstbewußtseyns im2 angeschauten Subjecte den Zuschauer zu dieser Uebertragung herausfordert, so fühlt er dennoch, daß dies Leihen ein bloses Leihen ist, er führt es aber, ge- nöthigt durch ebenjene Natur des Selbstbewußtseyns, trotzdem fort und so setzt er sich selbst wie das verlachte Subject als bewußt und unbewußt zugleich. Dieses Herüber und Hinüber vollendet erst das Wesen des Komischen.
1. Das Ineinander, das §. 174 gefordert wurde, muß ein In- einander des Bewußtseyns seyn, denn sonst bleibt das Gegenglied oder die Verirrung dem ersten Gliede oder dem Erhabenen im Subjecte immer noch äußerlich. Hier tritt denn J. Pauls tiefsinnige Entdeckung ein. Er geht (a. a. O. §. 28) von dem Beispiele einer Handlung aus, die durch einen Irrthum mit der Lage des Handelnden im Widerspruch steht. Der Anblick derselben gibt aber "nur einen anschaulich ausgedrückten endlichen Irrthum, der noch keine unendliche Ungereimtheit ist; denn kein Mensch kann im gegebenen Falle anders handeln als nach seiner Vorstellung davon. Wenn Sancho eine Nacht hindurch sich über einem seichten Graben in der Schwebe erhielt, weil er voraussetzte, ein Abgrund klaffe unter ihm, so ist bei dieser Voraussetzung seine Anstren- gung recht verständig und er wäre gerade erst toll, wenn er die Zer- schmetterung wagte. Warum lachen wir gleichwohl? Hier kommt der Hauptpunkt: wir leihen seinem Bestreben unsere Einsicht und Ansicht und erzeugen durch einen solchen Widerspruch die unendliche Ungereimt- heit." Den dadurch entstehenden Widerspruch nennt J. Paul den sub- jectiven Contrast im Unterschiede vom objectiven, der im Widerspruch des Bestrebens mit der Lage besteht, wozu er ganz überflüßig noch das ganze sinnlich angeschaute Verhältniß als sinnlichen Contrast aufzählt. Statt nun den allgemeinen Grund dieses Leihens aus der Natur des dem verlachten und dem lachenden Subjecte gemeinschaftlichen Selbst- bewußtseyns abzuleiten, bringt er wenigstens die richtige psychologische Beobachtung hinzu, daß die Allmacht und Schnelle der sinnlichen An- schauung uns in dieses Irrspiel hineinzwinge und hineinreiße, und daß daher nur die Fälle, wo diese sinnliche Wirkung statt finde, komisch werden können. "Wenn z. B. in Hogarths reisenden Komödianten das Trocknen der Strümpfe an Wolken lachen macht, so dringt uns die sinnliche Plötzlichkeit des Widerspruchs zwischen Mittel und Zweck den flüchtigen
Vischer's Aesthetik. 1. Bd. 25
gefordert wurde und nun durch dieſen Act des Leihens begriffen wird. Dieſen als weſentliche Bedingung des Komiſchen erkannt zu haben, iſt das Verdienſt J. P. Fr. Richters. Wiewohl nun die Natur des Selbſtbewußtſeyns im2 angeſchauten Subjecte den Zuſchauer zu dieſer Uebertragung herausfordert, ſo fühlt er dennoch, daß dies Leihen ein bloſes Leihen iſt, er führt es aber, ge- nöthigt durch ebenjene Natur des Selbſtbewußtſeyns, trotzdem fort und ſo ſetzt er ſich ſelbſt wie das verlachte Subject als bewußt und unbewußt zugleich. Dieſes Herüber und Hinüber vollendet erſt das Weſen des Komiſchen.
1. Das Ineinander, das §. 174 gefordert wurde, muß ein In- einander des Bewußtſeyns ſeyn, denn ſonſt bleibt das Gegenglied oder die Verirrung dem erſten Gliede oder dem Erhabenen im Subjecte immer noch äußerlich. Hier tritt denn J. Pauls tiefſinnige Entdeckung ein. Er geht (a. a. O. §. 28) von dem Beiſpiele einer Handlung aus, die durch einen Irrthum mit der Lage des Handelnden im Widerſpruch ſteht. Der Anblick derſelben gibt aber „nur einen anſchaulich ausgedrückten endlichen Irrthum, der noch keine unendliche Ungereimtheit iſt; denn kein Menſch kann im gegebenen Falle anders handeln als nach ſeiner Vorſtellung davon. Wenn Sancho eine Nacht hindurch ſich über einem ſeichten Graben in der Schwebe erhielt, weil er vorausſetzte, ein Abgrund klaffe unter ihm, ſo iſt bei dieſer Vorausſetzung ſeine Anſtren- gung recht verſtändig und er wäre gerade erſt toll, wenn er die Zer- ſchmetterung wagte. Warum lachen wir gleichwohl? Hier kommt der Hauptpunkt: wir leihen ſeinem Beſtreben unſere Einſicht und Anſicht und erzeugen durch einen ſolchen Widerſpruch die unendliche Ungereimt- heit.“ Den dadurch entſtehenden Widerſpruch nennt J. Paul den ſub- jectiven Contraſt im Unterſchiede vom objectiven, der im Widerſpruch des Beſtrebens mit der Lage beſteht, wozu er ganz überflüßig noch das ganze ſinnlich angeſchaute Verhältniß als ſinnlichen Contraſt aufzählt. Statt nun den allgemeinen Grund dieſes Leihens aus der Natur des dem verlachten und dem lachenden Subjecte gemeinſchaftlichen Selbſt- bewußtſeyns abzuleiten, bringt er wenigſtens die richtige pſychologiſche Beobachtung hinzu, daß die Allmacht und Schnelle der ſinnlichen An- ſchauung uns in dieſes Irrſpiel hineinzwinge und hineinreiße, und daß daher nur die Fälle, wo dieſe ſinnliche Wirkung ſtatt finde, komiſch werden können. „Wenn z. B. in Hogarths reiſenden Komödianten das Trocknen der Strümpfe an Wolken lachen macht, ſo dringt uns die ſinnliche Plötzlichkeit des Widerſpruchs zwiſchen Mittel und Zweck den flüchtigen
Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 25
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gefordert wurde und nun durch dieſen Act des Leihens begriffen wird. Dieſen
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J. P. Fr. Richters. Wiewohl nun die Natur des Selbſtbewußtſeyns im
angeſchauten Subjecte den Zuſchauer zu dieſer Uebertragung herausfordert, ſo
fühlt er dennoch, daß dies Leihen ein bloſes Leihen iſt, er führt es aber, ge-
nöthigt durch ebenjene Natur des Selbſtbewußtſeyns, trotzdem fort und ſo ſetzt
er ſich ſelbſt wie das verlachte Subject als bewußt und unbewußt zugleich.
Dieſes Herüber und Hinüber vollendet erſt das Weſen des Komiſchen.
1. Das Ineinander, das §. 174 gefordert wurde, muß ein In-
einander des Bewußtſeyns ſeyn, denn ſonſt bleibt das Gegenglied oder
die Verirrung dem erſten Gliede oder dem Erhabenen im Subjecte immer
noch äußerlich. Hier tritt denn J. Pauls tiefſinnige Entdeckung ein.
Er geht (a. a. O. §. 28) von dem Beiſpiele einer Handlung aus, die
durch einen Irrthum mit der Lage des Handelnden im Widerſpruch ſteht.
Der Anblick derſelben gibt aber „nur einen anſchaulich ausgedrückten
endlichen Irrthum, der noch keine unendliche Ungereimtheit iſt;
denn kein Menſch kann im gegebenen Falle anders handeln als nach
ſeiner Vorſtellung davon. Wenn Sancho eine Nacht hindurch ſich über
einem ſeichten Graben in der Schwebe erhielt, weil er vorausſetzte, ein
Abgrund klaffe unter ihm, ſo iſt bei dieſer Vorausſetzung ſeine Anſtren-
gung recht verſtändig und er wäre gerade erſt toll, wenn er die Zer-
ſchmetterung wagte. Warum lachen wir gleichwohl? Hier kommt der
Hauptpunkt: wir leihen ſeinem Beſtreben unſere Einſicht und Anſicht
und erzeugen durch einen ſolchen Widerſpruch die unendliche Ungereimt-
heit.“ Den dadurch entſtehenden Widerſpruch nennt J. Paul den ſub-
jectiven Contraſt im Unterſchiede vom objectiven, der im Widerſpruch
des Beſtrebens mit der Lage beſteht, wozu er ganz überflüßig noch das
ganze ſinnlich angeſchaute Verhältniß als ſinnlichen Contraſt aufzählt.
Statt nun den allgemeinen Grund dieſes Leihens aus der Natur des
dem verlachten und dem lachenden Subjecte gemeinſchaftlichen Selbſt-
bewußtſeyns abzuleiten, bringt er wenigſtens die richtige pſychologiſche
Beobachtung hinzu, daß die Allmacht und Schnelle der ſinnlichen An-
ſchauung uns in dieſes Irrſpiel hineinzwinge und hineinreiße, und daß
daher nur die Fälle, wo dieſe ſinnliche Wirkung ſtatt finde, komiſch
werden können. „Wenn z. B. in Hogarths reiſenden Komödianten das
Trocknen der Strümpfe an Wolken lachen macht, ſo dringt uns die ſinnliche
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/399>, abgerufen am 22.11.2024.
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