habenen in der Natur Achtung für unsere eigene Bestimmung, die wir einem Objecte der Natur durch eine gewisse Subreption (Verwechselung einer Achtung für das Object statt der für die Idee der Menschheit in unserem Subjecte) beweisen, welches uns die Ueberlegenheit der Vernunft- bestimmung unserer Erkenntnißvermögen über das größte Vermögen der Sinnlichkeit gleichsam anschaulich macht." Dies gilt zunächst vom ma- thematisch Erhabenen, bei dem dynamisch Erhabenen wendet es sich da- hin, daß (a. a. O. §. 28) "die Unwiderstehlichkeit der Naturmacht uns, als Naturwesen betrachtet, zwar unsere physische Ohnmacht zu er- kennen gibt, aber zugleich ein Vermögen entdeckt, uns als von ihr un- abhängig zu beurtheilen, und eine Ueberlegenheit über die Natur, worauf sich eine Selbsterhaltung von ganz anderer Art gründet, als diejenige ist, die von der Natur außer uns angefochten und in Gefahr gebracht werden kann, wobei die Menschheit in unserer Person unerniedrigt bleibt, obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müßte." Hier wird also die Selbstschätzung der Unendlichkeit des Willens in uns, der Freiheit, dem Objecte, der endlichen Kraft untergeschoben. Kant bemerkt nicht, daß er dadurch nicht nur im Momente der Erhebung oder Lust ganz aus der vorliegenden Sphäre herausgeht, sondern daß er auch das Moment der Unlust, das Erliegen vor der Größe nämlich und die Furcht, und hiemit den ganzen Gegenstand aufhebt. Eine Täuschung ist da, aber wenn ich mich einmal auf sie besonnen habe, wenn ich mich erinnere, daß wahre Unendlichkeit nur in meinem Geiste ist, so hat Furcht und Erliegen ein Ende. Kant will das Furchtbare erklären und erklärt, daß wir es nicht zu fürchten brauchen. Daher hat er keinen Raum mehr für das Erhabene des Subjects: er hat es schon in der Lehre vom objectiv Erhabenen ganz ausgegeben und in Wahrheit hat er viel- mehr, ohne es zu wissen, nur das Erhabene des Subjects. Schon die einfache Beobachtung hätte ihn eines Andern belehren können, daß es der sinnlichere Mensch ist, der für das Erhabene der Natur am meisten Gefühl, daß es die Naturreligion ist, die ganz in dieser Em- pfindung ihre Heimath hat. Die Täuschung setzt sich im subjectiven Ein- drucke vielmehr dahin fort, daß das Subject nicht nur die endliche Unend- lichkeit des Gegenstandes mit der wahren, geistigen verwechselt, sondern umgekehrt, wenn es hierauf mit dem Gegenstande zusammenfließt, auch diese seine eigene Unendlichkeit wie eine massenhafte, sinnlich bestimmte fühlt. Wir erweitern uns zum Allleben der Natur, wir sind elementarisch ge- stimmt, wir halten es mit dem Sturm, den Wogen, schwimmen in
habenen in der Natur Achtung für unſere eigene Beſtimmung, die wir einem Objecte der Natur durch eine gewiſſe Subreption (Verwechſelung einer Achtung für das Object ſtatt der für die Idee der Menſchheit in unſerem Subjecte) beweiſen, welches uns die Ueberlegenheit der Vernunft- beſtimmung unſerer Erkenntnißvermögen über das größte Vermögen der Sinnlichkeit gleichſam anſchaulich macht.“ Dies gilt zunächſt vom ma- thematiſch Erhabenen, bei dem dynamiſch Erhabenen wendet es ſich da- hin, daß (a. a. O. §. 28) „die Unwiderſtehlichkeit der Naturmacht uns, als Naturweſen betrachtet, zwar unſere phyſiſche Ohnmacht zu er- kennen gibt, aber zugleich ein Vermögen entdeckt, uns als von ihr un- abhängig zu beurtheilen, und eine Ueberlegenheit über die Natur, worauf ſich eine Selbſterhaltung von ganz anderer Art gründet, als diejenige iſt, die von der Natur außer uns angefochten und in Gefahr gebracht werden kann, wobei die Menſchheit in unſerer Perſon unerniedrigt bleibt, obgleich der Menſch jener Gewalt unterliegen müßte.“ Hier wird alſo die Selbſtſchätzung der Unendlichkeit des Willens in uns, der Freiheit, dem Objecte, der endlichen Kraft untergeſchoben. Kant bemerkt nicht, daß er dadurch nicht nur im Momente der Erhebung oder Luſt ganz aus der vorliegenden Sphäre herausgeht, ſondern daß er auch das Moment der Unluſt, das Erliegen vor der Größe nämlich und die Furcht, und hiemit den ganzen Gegenſtand aufhebt. Eine Täuſchung iſt da, aber wenn ich mich einmal auf ſie beſonnen habe, wenn ich mich erinnere, daß wahre Unendlichkeit nur in meinem Geiſte iſt, ſo hat Furcht und Erliegen ein Ende. Kant will das Furchtbare erklären und erklärt, daß wir es nicht zu fürchten brauchen. Daher hat er keinen Raum mehr für das Erhabene des Subjects: er hat es ſchon in der Lehre vom objectiv Erhabenen ganz ausgegeben und in Wahrheit hat er viel- mehr, ohne es zu wiſſen, nur das Erhabene des Subjects. Schon die einfache Beobachtung hätte ihn eines Andern belehren können, daß es der ſinnlichere Menſch iſt, der für das Erhabene der Natur am meiſten Gefühl, daß es die Naturreligion iſt, die ganz in dieſer Em- pfindung ihre Heimath hat. Die Täuſchung ſetzt ſich im ſubjectiven Ein- drucke vielmehr dahin fort, daß das Subject nicht nur die endliche Unend- lichkeit des Gegenſtandes mit der wahren, geiſtigen verwechſelt, ſondern umgekehrt, wenn es hierauf mit dem Gegenſtande zuſammenfließt, auch dieſe ſeine eigene Unendlichkeit wie eine maſſenhafte, ſinnlich beſtimmte fühlt. Wir erweitern uns zum Allleben der Natur, wir ſind elementariſch ge- ſtimmt, wir halten es mit dem Sturm, den Wogen, ſchwimmen in
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unſerem Subjecte) beweiſen, welches uns die Ueberlegenheit der Vernunft-
beſtimmung unſerer Erkenntnißvermögen über das größte Vermögen der
Sinnlichkeit gleichſam anſchaulich macht.“ Dies gilt zunächſt vom ma-
thematiſch Erhabenen, bei dem dynamiſch Erhabenen wendet es ſich da-
hin, daß (a. a. O. §. 28) „die Unwiderſtehlichkeit der Naturmacht
uns, als Naturweſen betrachtet, zwar unſere phyſiſche Ohnmacht zu er-
kennen gibt, aber zugleich ein Vermögen entdeckt, uns als von ihr un-
abhängig zu beurtheilen, und eine Ueberlegenheit über die Natur, worauf
ſich eine Selbſterhaltung von ganz anderer Art gründet, als diejenige
iſt, die von der Natur außer uns angefochten und in Gefahr gebracht
werden kann, wobei die Menſchheit in unſerer Perſon unerniedrigt bleibt,
obgleich der Menſch jener Gewalt unterliegen müßte.“ Hier wird alſo
die Selbſtſchätzung der Unendlichkeit des Willens in uns, der Freiheit,
dem Objecte, der endlichen Kraft untergeſchoben. Kant bemerkt nicht,
daß er dadurch nicht nur im Momente der Erhebung oder Luſt ganz
aus der vorliegenden Sphäre herausgeht, ſondern daß er auch das
Moment der Unluſt, das Erliegen vor der Größe nämlich und die Furcht,
und hiemit den ganzen Gegenſtand aufhebt. Eine Täuſchung iſt da, aber
wenn ich mich einmal auf ſie beſonnen habe, wenn ich mich erinnere,
daß wahre Unendlichkeit nur in meinem Geiſte iſt, ſo hat Furcht und
Erliegen ein Ende. Kant will das Furchtbare erklären und erklärt,
daß wir es nicht zu fürchten brauchen. Daher hat er keinen Raum
mehr für das Erhabene des Subjects: er hat es ſchon in der Lehre
vom objectiv Erhabenen ganz ausgegeben und in Wahrheit hat er viel-
mehr, ohne es zu wiſſen, nur das Erhabene des Subjects. Schon die
einfache Beobachtung hätte ihn eines Andern belehren können, daß es
der ſinnlichere Menſch iſt, der für das Erhabene der Natur am
meiſten Gefühl, daß es die Naturreligion iſt, die ganz in dieſer Em-
pfindung ihre Heimath hat. Die Täuſchung ſetzt ſich im ſubjectiven Ein-
drucke vielmehr dahin fort, daß das Subject nicht nur die endliche Unend-
lichkeit des Gegenſtandes mit der wahren, geiſtigen verwechſelt, ſondern
umgekehrt, wenn es hierauf mit dem Gegenſtande zuſammenfließt, auch dieſe
ſeine eigene Unendlichkeit wie eine maſſenhafte, ſinnlich beſtimmte fühlt.
Wir erweitern uns zum Allleben der Natur, wir ſind elementariſch ge-
ſtimmt, wir halten es mit dem Sturm, den Wogen, ſchwimmen in
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/339>, abgerufen am 22.11.2024.
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