daher diese Form als die bestimmende abweisen mußte, trat gegen diese Vorstellung der Gottheit als einer neidischen auf.
b. Das Tragische der einfachen Schuld.
§. 131.
Das Subject überhebt sich und die Urschuld geht durch den nothwendigen1 Art der Freiheit in wirkliche Schuld über. Diese Schuld ist aber einfach, das heißt zunächst, sie liegt, wenn der Wille gut ist, nicht in einem objectiven unvermeidlichen Widerspruch, worein sein Pathos geriethe, sondern in irgend einer Verirrung, welche mit dem sittlichen Kraftgefühle eines solchen Willens in näherem oder entfernterem subjectivem Zusammenhange steht, allerdings aber eine strengere ästhetische Einheit gründet, wenn sie als die unmittelbare Kehr- seite von jenem, daher subjectiv nach dem abstracten Begriffe der Freiheit zwar vermeidlich, in Betracht der Bestimmtheit der Persönlichkeit aber unvermeidlich erscheint. Es tritt aber in diesem Gebiete keineswegs blos das Erhabene des2 guten Willens auf. Durch dasselbe hat sich zwar der Uebergang zum Tragischen vermittelt, aber als die mit allen vorhergehenden Formen des Erhabenen er- füllte Einheit setzt dieses die eine oder die andere Form aus dem Erhabenen des Subjects als Organ und Object seiner Bewegung in den Vordergrund. Nur ist die Leidenschaft und der unstete Wille unfähig, diese Stelle einzu- nehmen; außer dem guten Willen, der sich verirrt, tritt daher als weiterer möglicher Mittelpunkt der tragischen Bewegung nur das Böse hervor, und wenn diese Spitze der Ueberhebung des Subjects den Hebel bildet, so ist die Schuld einfach nicht nur in jenem Sinne irgend einer Verirrung, sondern auch, weil sie unvermischt ist.
1. Die einfache Schuld ist die amartia tis des Aristoteles, (Poet. 13). Diese Stelle scheint mit unserer Entwicklung insofern in Widerspruch zu liegen, als wir diese amartia nothwendig als die Ver- irrung eines erhabenen Charakters auffassen müssen; denn das subjectiv Erhabene ist ja immer das zum Verschwinden bestimmte Moment im Tragischen. Aristoteles nämlich verlangt einen Helden, der weder durch Tugend und Gerechtigkeit sich auszeichnet, noch durch Bosheit und Laster
daher dieſe Form als die beſtimmende abweiſen mußte, trat gegen dieſe Vorſtellung der Gottheit als einer neidiſchen auf.
β. Das Tragiſche der einfachen Schuld.
§. 131.
Das Subject überhebt ſich und die Urſchuld geht durch den nothwendigen1 Art der Freiheit in wirkliche Schuld über. Dieſe Schuld iſt aber einfach, das heißt zunächſt, ſie liegt, wenn der Wille gut iſt, nicht in einem objectiven unvermeidlichen Widerſpruch, worein ſein Pathos geriethe, ſondern in irgend einer Verirrung, welche mit dem ſittlichen Kraftgefühle eines ſolchen Willens in näherem oder entfernterem ſubjectivem Zuſammenhange ſteht, allerdings aber eine ſtrengere äſthetiſche Einheit gründet, wenn ſie als die unmittelbare Kehr- ſeite von jenem, daher ſubjectiv nach dem abſtracten Begriffe der Freiheit zwar vermeidlich, in Betracht der Beſtimmtheit der Perſönlichkeit aber unvermeidlich erſcheint. Es tritt aber in dieſem Gebiete keineswegs blos das Erhabene des2 guten Willens auf. Durch dasſelbe hat ſich zwar der Uebergang zum Tragiſchen vermittelt, aber als die mit allen vorhergehenden Formen des Erhabenen er- füllte Einheit ſetzt dieſes die eine oder die andere Form aus dem Erhabenen des Subjects als Organ und Object ſeiner Bewegung in den Vordergrund. Nur iſt die Leidenſchaft und der unſtete Wille unfähig, dieſe Stelle einzu- nehmen; außer dem guten Willen, der ſich verirrt, tritt daher als weiterer möglicher Mittelpunkt der tragiſchen Bewegung nur das Böſe hervor, und wenn dieſe Spitze der Ueberhebung des Subjects den Hebel bildet, ſo iſt die Schuld einfach nicht nur in jenem Sinne irgend einer Verirrung, ſondern auch, weil ſie unvermiſcht iſt.
1. Die einfache Schuld iſt die ἁμαρτία τις des Ariſtoteles, (Poet. 13). Dieſe Stelle ſcheint mit unſerer Entwicklung inſofern in Widerſpruch zu liegen, als wir dieſe ἁμαρτία nothwendig als die Ver- irrung eines erhabenen Charakters auffaſſen müſſen; denn das ſubjectiv Erhabene iſt ja immer das zum Verſchwinden beſtimmte Moment im Tragiſchen. Ariſtoteles nämlich verlangt einen Helden, der weder durch Tugend und Gerechtigkeit ſich auszeichnet, noch durch Bosheit und Laſter
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daher dieſe Form als die beſtimmende abweiſen mußte, trat gegen dieſe
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β.
Das Tragiſche der einfachen Schuld.
§. 131.
Das Subject überhebt ſich und die Urſchuld geht durch den nothwendigen
Art der Freiheit in wirkliche Schuld über. Dieſe Schuld iſt aber einfach,
das heißt zunächſt, ſie liegt, wenn der Wille gut iſt, nicht in einem objectiven
unvermeidlichen Widerſpruch, worein ſein Pathos geriethe, ſondern in irgend
einer Verirrung, welche mit dem ſittlichen Kraftgefühle eines ſolchen Willens
in näherem oder entfernterem ſubjectivem Zuſammenhange ſteht, allerdings aber
eine ſtrengere äſthetiſche Einheit gründet, wenn ſie als die unmittelbare Kehr-
ſeite von jenem, daher ſubjectiv nach dem abſtracten Begriffe der Freiheit zwar
vermeidlich, in Betracht der Beſtimmtheit der Perſönlichkeit aber unvermeidlich
erſcheint. Es tritt aber in dieſem Gebiete keineswegs blos das Erhabene des
guten Willens auf. Durch dasſelbe hat ſich zwar der Uebergang zum Tragiſchen
vermittelt, aber als die mit allen vorhergehenden Formen des Erhabenen er-
füllte Einheit ſetzt dieſes die eine oder die andere Form aus dem Erhabenen
des Subjects als Organ und Object ſeiner Bewegung in den Vordergrund.
Nur iſt die Leidenſchaft und der unſtete Wille unfähig, dieſe Stelle einzu-
nehmen; außer dem guten Willen, der ſich verirrt, tritt daher als weiterer
möglicher Mittelpunkt der tragiſchen Bewegung nur das Böſe hervor, und wenn
dieſe Spitze der Ueberhebung des Subjects den Hebel bildet, ſo iſt die Schuld
einfach nicht nur in jenem Sinne irgend einer Verirrung, ſondern auch, weil ſie
unvermiſcht iſt.
1. Die einfache Schuld iſt die ἁμαρτία τις des Ariſtoteles,
(Poet. 13). Dieſe Stelle ſcheint mit unſerer Entwicklung inſofern in
Widerſpruch zu liegen, als wir dieſe ἁμαρτία nothwendig als die Ver-
irrung eines erhabenen Charakters auffaſſen müſſen; denn das ſubjectiv
Erhabene iſt ja immer das zum Verſchwinden beſtimmte Moment im
Tragiſchen. Ariſtoteles nämlich verlangt einen Helden, der weder durch
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/317>, abgerufen am 22.11.2024.
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