Hintergrund unendlich über es hinaus, es hat seine Erhabenheit von ihm em- pfangen und so auch sein Pathos, welches Wort jetzt in objectiver Bedeutung (vergl. §. 110) gilt. Dieser Widerspruch ruht zunächst unentfaltet, das Sub- ject ist sich mit allem Eigenthum seiner Erhabenheit dem Hintergrunde schuldig. Dies ist noch unwirkliche Schuld, Urschuld.
Das absolute Ganze, das jetzt zum Subjecte der Erhabenheit wird und das vorher allein erhabene Subject aus seinem Schooße entsendet, um es in ihn zurückzunehmen, heißt hier Hintergrund, um anzuzeigen, daß das Negative in diesem Verhältniß noch verhüllt und schlummernd nur wie ein Element, eine allgemeine Atmosphäre, worin der sub- jective Wille scheinbar ganz frei sich ergehen kann, diesen umgibt. Dieser Hintergrund ist aber zuerst da. Was darunter verstanden ist, kann am Beispiel der Tragödie klar gemacht werden, welche in der Exposition bereits den ganzen Boden, auf dem der Held auftritt, als einen vom Keime der unendlichen, übermächtigen Verwicklung schwange- ren hinstellt. Der Zuschauer weiß, daß der Held auf unterhöhltem Grunde wandelt; dieser selbst freut sich noch der Freiheit als seines Eigenthums. Er ist aber bereits schuldig, zunächst nur in dem Sinne der Verpflichtung. Er wird und soll es zu fühlen bekommen, daß seine Größe aus dem Ganzen geliehen ist. Mag er auch bereit seyn, es anzuerkennen; es kann nicht fehlen, daß er es auch thatsächlich erfahren muß. Dies nennen wir die noch unwirkliche Urschuld. -- Der Begriff des Pathos hat jetzt objective Bedeutung wie bei Hegel.
§. 123.
Das Subject ist thätig, es handelt. Indem es handelt, objectivirt es1 seine Freiheit und greift dadurch in den Complex der allgemeinen Objectivität oder Nothwendigkeit hinein. Die Handlung ist aber unvermeidlich mit der Ein- zelheit behaftet, welche den subjectiven Willen begrenzt; sie trennt daher das Zusammengehörige und verletzt die absolute Einheit der objectiven Verkettung. Getrennt wird entweder die erste Form der Nothwendigkeit von der zweiten (§. 119), so daß nach dem Gesetze der einen gehandelt und die andere verletzt wird, oder eine sittliche Sphäre von der andern (§. 120) mit derselben Folge, wodurch ihr Gegensatz Widerspruch wird. Allein beide Fälle kommen auf dasselbe hinaus, denn eben jetzt erweist sich die §. 121, 1 behauptete Einheit beider Hauptformen dadurch, daß es nirgends eine Stelle gibt, wo nicht der
Hintergrund unendlich über es hinaus, es hat ſeine Erhabenheit von ihm em- pfangen und ſo auch ſein Pathos, welches Wort jetzt in objectiver Bedeutung (vergl. §. 110) gilt. Dieſer Widerſpruch ruht zunächſt unentfaltet, das Sub- ject iſt ſich mit allem Eigenthum ſeiner Erhabenheit dem Hintergrunde ſchuldig. Dies iſt noch unwirkliche Schuld, Urſchuld.
Das abſolute Ganze, das jetzt zum Subjecte der Erhabenheit wird und das vorher allein erhabene Subject aus ſeinem Schooße entſendet, um es in ihn zurückzunehmen, heißt hier Hintergrund, um anzuzeigen, daß das Negative in dieſem Verhältniß noch verhüllt und ſchlummernd nur wie ein Element, eine allgemeine Atmoſphäre, worin der ſub- jective Wille ſcheinbar ganz frei ſich ergehen kann, dieſen umgibt. Dieſer Hintergrund iſt aber zuerſt da. Was darunter verſtanden iſt, kann am Beiſpiel der Tragödie klar gemacht werden, welche in der Expoſition bereits den ganzen Boden, auf dem der Held auftritt, als einen vom Keime der unendlichen, übermächtigen Verwicklung ſchwange- ren hinſtellt. Der Zuſchauer weiß, daß der Held auf unterhöhltem Grunde wandelt; dieſer ſelbſt freut ſich noch der Freiheit als ſeines Eigenthums. Er iſt aber bereits ſchuldig, zunächſt nur in dem Sinne der Verpflichtung. Er wird und ſoll es zu fühlen bekommen, daß ſeine Größe aus dem Ganzen geliehen iſt. Mag er auch bereit ſeyn, es anzuerkennen; es kann nicht fehlen, daß er es auch thatſächlich erfahren muß. Dies nennen wir die noch unwirkliche Urſchuld. — Der Begriff des Pathos hat jetzt objective Bedeutung wie bei Hegel.
§. 123.
Das Subject iſt thätig, es handelt. Indem es handelt, objectivirt es1 ſeine Freiheit und greift dadurch in den Complex der allgemeinen Objectivität oder Nothwendigkeit hinein. Die Handlung iſt aber unvermeidlich mit der Ein- zelheit behaftet, welche den ſubjectiven Willen begrenzt; ſie trennt daher das Zuſammengehörige und verletzt die abſolute Einheit der objectiven Verkettung. Getrennt wird entweder die erſte Form der Nothwendigkeit von der zweiten (§. 119), ſo daß nach dem Geſetze der einen gehandelt und die andere verletzt wird, oder eine ſittliche Sphäre von der andern (§. 120) mit derſelben Folge, wodurch ihr Gegenſatz Widerſpruch wird. Allein beide Fälle kommen auf daſſelbe hinaus, denn eben jetzt erweist ſich die §. 121, 1 behauptete Einheit beider Hauptformen dadurch, daß es nirgends eine Stelle gibt, wo nicht der
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Hintergrund unendlich über es hinaus, es hat ſeine Erhabenheit von ihm em-
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ject iſt ſich mit allem Eigenthum ſeiner Erhabenheit dem Hintergrunde ſchuldig.
Dies iſt noch unwirkliche Schuld, Urſchuld.
Das abſolute Ganze, das jetzt zum Subjecte der Erhabenheit wird
und das vorher allein erhabene Subject aus ſeinem Schooße entſendet,
um es in ihn zurückzunehmen, heißt hier Hintergrund, um anzuzeigen,
daß das Negative in dieſem Verhältniß noch verhüllt und ſchlummernd
nur wie ein Element, eine allgemeine Atmoſphäre, worin der ſub-
jective Wille ſcheinbar ganz frei ſich ergehen kann, dieſen umgibt.
Dieſer Hintergrund iſt aber zuerſt da. Was darunter verſtanden iſt,
kann am Beiſpiel der Tragödie klar gemacht werden, welche in der
Expoſition bereits den ganzen Boden, auf dem der Held auftritt, als
einen vom Keime der unendlichen, übermächtigen Verwicklung ſchwange-
ren hinſtellt. Der Zuſchauer weiß, daß der Held auf unterhöhltem
Grunde wandelt; dieſer ſelbſt freut ſich noch der Freiheit als ſeines
Eigenthums. Er iſt aber bereits ſchuldig, zunächſt nur in dem Sinne
der Verpflichtung. Er wird und ſoll es zu fühlen bekommen, daß ſeine
Größe aus dem Ganzen geliehen iſt. Mag er auch bereit ſeyn, es
anzuerkennen; es kann nicht fehlen, daß er es auch thatſächlich erfahren
muß. Dies nennen wir die noch unwirkliche Urſchuld. — Der Begriff
des Pathos hat jetzt objective Bedeutung wie bei Hegel.
§. 123.
Das Subject iſt thätig, es handelt. Indem es handelt, objectivirt es
ſeine Freiheit und greift dadurch in den Complex der allgemeinen Objectivität
oder Nothwendigkeit hinein. Die Handlung iſt aber unvermeidlich mit der Ein-
zelheit behaftet, welche den ſubjectiven Willen begrenzt; ſie trennt daher das
Zuſammengehörige und verletzt die abſolute Einheit der objectiven Verkettung.
Getrennt wird entweder die erſte Form der Nothwendigkeit von der zweiten
(§. 119), ſo daß nach dem Geſetze der einen gehandelt und die andere verletzt
wird, oder eine ſittliche Sphäre von der andern (§. 120) mit derſelben Folge,
wodurch ihr Gegenſatz Widerſpruch wird. Allein beide Fälle kommen auf
daſſelbe hinaus, denn eben jetzt erweist ſich die §. 121, 1 behauptete Einheit
beider Hauptformen dadurch, daß es nirgends eine Stelle gibt, wo nicht der
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/299>, abgerufen am 25.11.2024.
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