pathieen hat; auf der andern der Geist, der den Begriff denkt, aber ungleich ausgebildet ist. Hätte nun Kant eine objective Bestimmung des Schönen, so würde er zeigen, daß schon im Gegenstande dieser Gegensatz getilgt ist. Die sinnliche Bestimmtheit desselben ist durchdrun- gen von der Allgemeinheit und das Allgemeine isolirt sich nicht als Begriff, sondern geht eben im sinnlich Einzelnen auf. Daher wendet sich der schöne Gegenstand auch im Subjekte nicht an das Gegensätzliche, das so oder anders seyn kann: nicht an seine sinnlichen Launen, sondern an die allgemeine Sinnlichkeit in ihm, nicht an seinen Geist, sofern er mehr oder minder fähig und gebildet ist, das Allgemeine als Begriff zu denken, sondern an den Geist in ihm überhaupt, wie er als reinmensch- liche Fähigkeit ohne Gegensatz zur Sinnlichkeit in der Einheit der Per- sönlichkeit aufgeht; also es wendet sich blos an den Menschen im Sub- jekte, an das, worin sich Alle gleich sind, an die Gattung im Einzel- nen. Daher vereinigen sich auch im Genusse des Schönen alle getrenn- ten Richtungen und Geschäfte und löschen die Besonderheit des Hand- werks-Gepräges aus. Um feinen Geschmack zu haben, muß man gebil- deter Weltmann, um tief zu denken, Gelehrter, um geschickt zu handeln, Praktiker seyn u. s. f.; um das Schöne zu empfinden, darf man nur Mensch seyn. Kant nun, der ganz im Subjektiven bleibt, sucht im Subjekte allerdings jene Mitte, welche vom Begriffe die Allgemeinheit und Nothwendigkeit, aber nicht die logische Strictheit haben soll. In §. 9 stellt er die scharfsinnige Frage, ob im Geschmacksurtheile das Gefühl der Lust vor der Beurtheilung des Gegenstands oder diese vor jener vorhergehe? Die Lust kann nicht vorangehen, denn dann wäre sie eine blos sinnliche, und diese hat nur Privatgültigkeit. Allgemein und allge- mein mittheilbar ist nichts als Erkenntniß und Vorstellung. Erkenntniß aber in der Form des bestimmten Begriffs kann ebenfalls nicht vorher- gehen, denn dann wäre das Urtheil gar kein ästhetisches. Zuerst findet er nun den Ausweg, daß er an die Stelle der letztern die Beziehung einer gegebenen Vorstellung auf Erkenntniß überhaupt setzt; er kommt auf jenes freie Spiel zurück, in welchem die Einbildungskraft, welche die Einheit in der Mannigfaltigkeit anschaut, dem Verstande ein Bild zuschiebt, worin dieser Zweckmäßigkeit ohne bestimmten Zweck er- kennt, also die Einheit geistig zusammenfaßt, ohne sie in den stricten Begriff zu erheben. Diese Mitte, diese "Belebung der Einbildungskraft und des Verstandes zu unbestimmter, aber doch einhelliger Thätigkeit," geht nun der Lust voran und sie muß allgemein mittheilbar seyn: "eine
pathieen hat; auf der andern der Geiſt, der den Begriff denkt, aber ungleich ausgebildet iſt. Hätte nun Kant eine objective Beſtimmung des Schönen, ſo würde er zeigen, daß ſchon im Gegenſtande dieſer Gegenſatz getilgt iſt. Die ſinnliche Beſtimmtheit deſſelben iſt durchdrun- gen von der Allgemeinheit und das Allgemeine iſolirt ſich nicht als Begriff, ſondern geht eben im ſinnlich Einzelnen auf. Daher wendet ſich der ſchöne Gegenſtand auch im Subjekte nicht an das Gegenſätzliche, das ſo oder anders ſeyn kann: nicht an ſeine ſinnlichen Launen, ſondern an die allgemeine Sinnlichkeit in ihm, nicht an ſeinen Geiſt, ſofern er mehr oder minder fähig und gebildet iſt, das Allgemeine als Begriff zu denken, ſondern an den Geiſt in ihm überhaupt, wie er als reinmenſch- liche Fähigkeit ohne Gegenſatz zur Sinnlichkeit in der Einheit der Per- ſönlichkeit aufgeht; alſo es wendet ſich blos an den Menſchen im Sub- jekte, an das, worin ſich Alle gleich ſind, an die Gattung im Einzel- nen. Daher vereinigen ſich auch im Genuſſe des Schönen alle getrenn- ten Richtungen und Geſchäfte und löſchen die Beſonderheit des Hand- werks-Gepräges aus. Um feinen Geſchmack zu haben, muß man gebil- deter Weltmann, um tief zu denken, Gelehrter, um geſchickt zu handeln, Praktiker ſeyn u. ſ. f.; um das Schöne zu empfinden, darf man nur Menſch ſeyn. Kant nun, der ganz im Subjektiven bleibt, ſucht im Subjekte allerdings jene Mitte, welche vom Begriffe die Allgemeinheit und Nothwendigkeit, aber nicht die logiſche Strictheit haben ſoll. In §. 9 ſtellt er die ſcharfſinnige Frage, ob im Geſchmacksurtheile das Gefühl der Luſt vor der Beurtheilung des Gegenſtands oder dieſe vor jener vorhergehe? Die Luſt kann nicht vorangehen, denn dann wäre ſie eine blos ſinnliche, und dieſe hat nur Privatgültigkeit. Allgemein und allge- mein mittheilbar iſt nichts als Erkenntniß und Vorſtellung. Erkenntniß aber in der Form des beſtimmten Begriffs kann ebenfalls nicht vorher- gehen, denn dann wäre das Urtheil gar kein äſthetiſches. Zuerſt findet er nun den Ausweg, daß er an die Stelle der letztern die Beziehung einer gegebenen Vorſtellung auf Erkenntniß überhaupt ſetzt; er kommt auf jenes freie Spiel zurück, in welchem die Einbildungskraft, welche die Einheit in der Mannigfaltigkeit anſchaut, dem Verſtande ein Bild zuſchiebt, worin dieſer Zweckmäßigkeit ohne beſtimmten Zweck er- kennt, alſo die Einheit geiſtig zuſammenfaßt, ohne ſie in den ſtricten Begriff zu erheben. Dieſe Mitte, dieſe „Belebung der Einbildungskraft und des Verſtandes zu unbeſtimmter, aber doch einhelliger Thätigkeit,“ geht nun der Luſt voran und ſie muß allgemein mittheilbar ſeyn: „eine
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pathieen hat; auf der andern der Geiſt, der den Begriff denkt, aber
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des Schönen, ſo würde er zeigen, daß ſchon im Gegenſtande dieſer
Gegenſatz getilgt iſt. Die ſinnliche Beſtimmtheit deſſelben iſt durchdrun-
gen von der Allgemeinheit und das Allgemeine iſolirt ſich nicht als
Begriff, ſondern geht eben im ſinnlich Einzelnen auf. Daher wendet
ſich der ſchöne Gegenſtand auch im Subjekte nicht an das Gegenſätzliche,
das ſo oder anders ſeyn kann: nicht an ſeine ſinnlichen Launen, ſondern
an die allgemeine Sinnlichkeit in ihm, nicht an ſeinen Geiſt, ſofern er
mehr oder minder fähig und gebildet iſt, das Allgemeine als Begriff zu
denken, ſondern an den Geiſt in ihm überhaupt, wie er als reinmenſch-
liche Fähigkeit ohne Gegenſatz zur Sinnlichkeit in der Einheit der Per-
ſönlichkeit aufgeht; alſo es wendet ſich blos an den Menſchen im Sub-
jekte, an das, worin ſich Alle gleich ſind, an die Gattung im Einzel-
nen. Daher vereinigen ſich auch im Genuſſe des Schönen alle getrenn-
ten Richtungen und Geſchäfte und löſchen die Beſonderheit des Hand-
werks-Gepräges aus. Um feinen Geſchmack zu haben, muß man gebil-
deter Weltmann, um tief zu denken, Gelehrter, um geſchickt zu handeln,
Praktiker ſeyn u. ſ. f.; um das Schöne zu empfinden, darf man nur
Menſch ſeyn. Kant nun, der ganz im Subjektiven bleibt, ſucht im
Subjekte allerdings jene Mitte, welche vom Begriffe die Allgemeinheit
und Nothwendigkeit, aber nicht die logiſche Strictheit haben ſoll. In
§. 9 ſtellt er die ſcharfſinnige Frage, ob im Geſchmacksurtheile das
Gefühl der Luſt vor der Beurtheilung des Gegenſtands oder dieſe vor
jener vorhergehe? Die Luſt kann nicht vorangehen, denn dann wäre ſie eine
blos ſinnliche, und dieſe hat nur Privatgültigkeit. Allgemein und allge-
mein mittheilbar iſt nichts als Erkenntniß und Vorſtellung. Erkenntniß
aber in der Form des beſtimmten Begriffs kann ebenfalls nicht vorher-
gehen, denn dann wäre das Urtheil gar kein äſthetiſches. Zuerſt findet
er nun den Ausweg, daß er an die Stelle der letztern die Beziehung
einer gegebenen Vorſtellung auf Erkenntniß überhaupt ſetzt; er
kommt auf jenes freie Spiel zurück, in welchem die Einbildungskraft,
welche die Einheit in der Mannigfaltigkeit anſchaut, dem Verſtande ein
Bild zuſchiebt, worin dieſer Zweckmäßigkeit ohne beſtimmten Zweck er-
kennt, alſo die Einheit geiſtig zuſammenfaßt, ohne ſie in den ſtricten
Begriff zu erheben. Dieſe Mitte, dieſe „Belebung der Einbildungskraft
und des Verſtandes zu unbeſtimmter, aber doch einhelliger Thätigkeit,“
geht nun der Luſt voran und ſie muß allgemein mittheilbar ſeyn: „eine
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/220>, abgerufen am 12.12.2024.
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