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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Zwanzigste Vorlesung.
dem Augenblick an, wo man wirklich prätendirt, histologische
Eintheilungen zu machen, nicht mehr für jede Gallertgeschwulst
den Ausdruck Colloid in Anwendung bringt, der überhaupt
keinen histologischen Werth hat, sondern eben nur ein äusse-
res Aussehen ausdrückt, welches die allerverschiedenartigsten
Gewebe unter Umständen darbieten können. Laennec selbst
hat in einer etwas verderblichen Weise die Bahn gebrochen,
indem er von einer colloiden Umwandlung fibrinöser Exsudate
der Pleura gesprochen hat.

Die Hauptschwierigkeit, welche sich hier ergibt, beruht
darin, dass man keinen Unterschied zwischen der blossen
Form und dem Wesen
zu finden weiss. Man darf die Form
nur von dem Augenblicke an als entscheidendes Kriterium
verschiedener Neubildungen zulassen, als diese Form eben auch
mit einer wirklichen Verschiedenartigkeit des Gewebes zusam-
menhängt und eben nicht aus zufälligen Eingenthümlichkeiten
des Ortes oder der Lagerung resultirt. Wenn Sie z. B. den
Namen des Colloids anwenden wollen, so können Sie zwei
Wege einschlagen. Sie können entweder damit nichts weiter
als eine Art des Aussehens bezeichnen und dann werden Sie
allerdings verschiedene Geschwülste bekommen können, welche
Sie durch den Zusatz "colloid" von anderen Geschwülsten der-
selben Art unterscheiden. Man kann also sagen: Colloidkrebs,
Colloidsarkom, Colloidbindegewebsgeschwulst. Hier bezeichnet
colloid weiter nichts als gallertig.

Ebenso sehen wir, dass eine grosse Menge von Geschwülsten,
wenn sie an der Oberfläche sitzen, Wucherungen der Oberfläche
mit sich bringen, welche, je nach der Natur der Oberfläche,
in Form von Zotten, Papillen oder Warzen erscheinen. Man
kann alle diese Geschwülste unter einen Namen zusammen-
fassen und sie Papillome nennen, allein die Geschwülste, wel-
che diese Form haben, sind oft toto coelo von einander ver-
schieden. Während wir in dem einen Falle eine wahre hy-
perplastische Entwickelung haben, so finden wir in einem an-
deren im Grunde dieser Zotten, wo sie auf der Haut oder
Schleimhaut aufsitzen, irgend eine besondere Art von Ge-
schwulst. In manchen Fällen sind selbst die Zotten mit die-
ser Geschwulstmasse gefüllt. Dies ist ein sehr wesentlicher

Zwanzigste Vorlesung.
dem Augenblick an, wo man wirklich prätendirt, histologische
Eintheilungen zu machen, nicht mehr für jede Gallertgeschwulst
den Ausdruck Colloid in Anwendung bringt, der überhaupt
keinen histologischen Werth hat, sondern eben nur ein äusse-
res Aussehen ausdrückt, welches die allerverschiedenartigsten
Gewebe unter Umständen darbieten können. Laennec selbst
hat in einer etwas verderblichen Weise die Bahn gebrochen,
indem er von einer colloiden Umwandlung fibrinöser Exsudate
der Pleura gesprochen hat.

Die Hauptschwierigkeit, welche sich hier ergibt, beruht
darin, dass man keinen Unterschied zwischen der blossen
Form und dem Wesen
zu finden weiss. Man darf die Form
nur von dem Augenblicke an als entscheidendes Kriterium
verschiedener Neubildungen zulassen, als diese Form eben auch
mit einer wirklichen Verschiedenartigkeit des Gewebes zusam-
menhängt und eben nicht aus zufälligen Eingenthümlichkeiten
des Ortes oder der Lagerung resultirt. Wenn Sie z. B. den
Namen des Colloids anwenden wollen, so können Sie zwei
Wege einschlagen. Sie können entweder damit nichts weiter
als eine Art des Aussehens bezeichnen und dann werden Sie
allerdings verschiedene Geschwülste bekommen können, welche
Sie durch den Zusatz „colloid“ von anderen Geschwülsten der-
selben Art unterscheiden. Man kann also sagen: Colloidkrebs,
Colloidsarkom, Colloidbindegewebsgeschwulst. Hier bezeichnet
colloid weiter nichts als gallertig.

Ebenso sehen wir, dass eine grosse Menge von Geschwülsten,
wenn sie an der Oberfläche sitzen, Wucherungen der Oberfläche
mit sich bringen, welche, je nach der Natur der Oberfläche,
in Form von Zotten, Papillen oder Warzen erscheinen. Man
kann alle diese Geschwülste unter einen Namen zusammen-
fassen und sie Papillome nennen, allein die Geschwülste, wel-
che diese Form haben, sind oft toto coelo von einander ver-
schieden. Während wir in dem einen Falle eine wahre hy-
perplastische Entwickelung haben, so finden wir in einem an-
deren im Grunde dieser Zotten, wo sie auf der Haut oder
Schleimhaut aufsitzen, irgend eine besondere Art von Ge-
schwulst. In manchen Fällen sind selbst die Zotten mit die-
ser Geschwulstmasse gefüllt. Dies ist ein sehr wesentlicher

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[414/0436] Zwanzigste Vorlesung. dem Augenblick an, wo man wirklich prätendirt, histologische Eintheilungen zu machen, nicht mehr für jede Gallertgeschwulst den Ausdruck Colloid in Anwendung bringt, der überhaupt keinen histologischen Werth hat, sondern eben nur ein äusse- res Aussehen ausdrückt, welches die allerverschiedenartigsten Gewebe unter Umständen darbieten können. Laennec selbst hat in einer etwas verderblichen Weise die Bahn gebrochen, indem er von einer colloiden Umwandlung fibrinöser Exsudate der Pleura gesprochen hat. Die Hauptschwierigkeit, welche sich hier ergibt, beruht darin, dass man keinen Unterschied zwischen der blossen Form und dem Wesen zu finden weiss. Man darf die Form nur von dem Augenblicke an als entscheidendes Kriterium verschiedener Neubildungen zulassen, als diese Form eben auch mit einer wirklichen Verschiedenartigkeit des Gewebes zusam- menhängt und eben nicht aus zufälligen Eingenthümlichkeiten des Ortes oder der Lagerung resultirt. Wenn Sie z. B. den Namen des Colloids anwenden wollen, so können Sie zwei Wege einschlagen. Sie können entweder damit nichts weiter als eine Art des Aussehens bezeichnen und dann werden Sie allerdings verschiedene Geschwülste bekommen können, welche Sie durch den Zusatz „colloid“ von anderen Geschwülsten der- selben Art unterscheiden. Man kann also sagen: Colloidkrebs, Colloidsarkom, Colloidbindegewebsgeschwulst. Hier bezeichnet colloid weiter nichts als gallertig. Ebenso sehen wir, dass eine grosse Menge von Geschwülsten, wenn sie an der Oberfläche sitzen, Wucherungen der Oberfläche mit sich bringen, welche, je nach der Natur der Oberfläche, in Form von Zotten, Papillen oder Warzen erscheinen. Man kann alle diese Geschwülste unter einen Namen zusammen- fassen und sie Papillome nennen, allein die Geschwülste, wel- che diese Form haben, sind oft toto coelo von einander ver- schieden. Während wir in dem einen Falle eine wahre hy- perplastische Entwickelung haben, so finden wir in einem an- deren im Grunde dieser Zotten, wo sie auf der Haut oder Schleimhaut aufsitzen, irgend eine besondere Art von Ge- schwulst. In manchen Fällen sind selbst die Zotten mit die- ser Geschwulstmasse gefüllt. Dies ist ein sehr wesentlicher

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/436>, abgerufen am 27.11.2024.