Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünfzehnte Vorlesung.
darstellt, dass in dem Zelleninhalt einzelne feinste Fettkörn-
chen erscheinen, reichlicher werden und, ohne zu so grossen
Tropfen zusammenzufliessen, wie dies bei der Fettinfiltration
und den Fettgewebsbildungen der Fall ist, allmählig den Zel-
lenraum erfüllen. Gewöhnlich tritt in einiger Entfernung vom
Kern die Entwickelung von Fettkörnchen zuerst auf; sehr sel-
ten beginnt sie vom Kern aus. Das ist die Zelle, welche man
seit langer Zeit Körnchenzelle genannt hat. Dann kommt
ein Stadium, wo allerdings noch Kern und Membran zu sehen
sind, wo aber die Körnchen so dicht aneinander liegen, wie
bei den Colostrumkörperchen; nur an der Stelle, wo der Kern
lag, findet sich noch eine kleine Lücke (Fig. 66, b.). Von die-
sem Stadium ist ein kleiner Schritt bis zum vollkommenen Un-
tergang der Zelle. Denn in dem Zustande der Körnchen-
zelle erhält sich niemals eine Zelle längere Zeit, sondern wenn
einmal dieses Stadium eingetreten ist, so verschwindet alsbald
gewöhnlich der Kern und endlich auch die Membran, wahr-
scheinlich durch eine Art von Auflösung. Dann haben wir
die einfache Körnchenkugel, oder wie man früher gesagt
hat, die Entzündungskugel, welche Gluge zuerst unter
diesem Namen beschrieben hat (Fig. 66, c.).

Gluge passirte dabei einer der Irrthümer, wie sie die
Anfangsperiode der Mikroskopie mehrfach charakterisiren, dass
er bei Untersuchung einer Niere im Innern eines Kanals, den
er für ein Blutgefäss hielt, solche Körper sah; damals, wo die
Stase in vollster Berechtigung war, stellte er sich vor, dass er
ein Gefäss mit stagnirendem Inhalt, der zerfalle und die Ent-
zündungskugeln erzeuge, vor sich habe. Leider war das Ge-
fäss ein kleines Harnkanälchen, das, was er für Theile der
Blutkörperchen ansah, Fett, das, was er als Entzündungskugeln
ausgab, fettig degenerirtes Nierenepithel. Man hätte sich die
Geschichte dieser Stase nach Gluge's Schema leicht ersparen
können, allein es gab damals wenig Leute, welche wussten,
wie Harnkanälchen aussehen und wie sie sich von Ge-
fässen unterscheiden, und so hat es etwas lange gedauert, ehe
diese Entzündungstheorie überwunden worden ist.

Gegenwärtig nennen wir das Ding eine Körnchenkugel,
und betrachten es als das erste Stadium der Degeneration, wo

Fünfzehnte Vorlesung.
darstellt, dass in dem Zelleninhalt einzelne feinste Fettkörn-
chen erscheinen, reichlicher werden und, ohne zu so grossen
Tropfen zusammenzufliessen, wie dies bei der Fettinfiltration
und den Fettgewebsbildungen der Fall ist, allmählig den Zel-
lenraum erfüllen. Gewöhnlich tritt in einiger Entfernung vom
Kern die Entwickelung von Fettkörnchen zuerst auf; sehr sel-
ten beginnt sie vom Kern aus. Das ist die Zelle, welche man
seit langer Zeit Körnchenzelle genannt hat. Dann kommt
ein Stadium, wo allerdings noch Kern und Membran zu sehen
sind, wo aber die Körnchen so dicht aneinander liegen, wie
bei den Colostrumkörperchen; nur an der Stelle, wo der Kern
lag, findet sich noch eine kleine Lücke (Fig. 66, b.). Von die-
sem Stadium ist ein kleiner Schritt bis zum vollkommenen Un-
tergang der Zelle. Denn in dem Zustande der Körnchen-
zelle erhält sich niemals eine Zelle längere Zeit, sondern wenn
einmal dieses Stadium eingetreten ist, so verschwindet alsbald
gewöhnlich der Kern und endlich auch die Membran, wahr-
scheinlich durch eine Art von Auflösung. Dann haben wir
die einfache Körnchenkugel, oder wie man früher gesagt
hat, die Entzündungskugel, welche Gluge zuerst unter
diesem Namen beschrieben hat (Fig. 66, c.).

Gluge passirte dabei einer der Irrthümer, wie sie die
Anfangsperiode der Mikroskopie mehrfach charakterisiren, dass
er bei Untersuchung einer Niere im Innern eines Kanals, den
er für ein Blutgefäss hielt, solche Körper sah; damals, wo die
Stase in vollster Berechtigung war, stellte er sich vor, dass er
ein Gefäss mit stagnirendem Inhalt, der zerfalle und die Ent-
zündungskugeln erzeuge, vor sich habe. Leider war das Ge-
fäss ein kleines Harnkanälchen, das, was er für Theile der
Blutkörperchen ansah, Fett, das, was er als Entzündungskugeln
ausgab, fettig degenerirtes Nierenepithel. Man hätte sich die
Geschichte dieser Stase nach Gluge’s Schema leicht ersparen
können, allein es gab damals wenig Leute, welche wussten,
wie Harnkanälchen aussehen und wie sie sich von Ge-
fässen unterscheiden, und so hat es etwas lange gedauert, ehe
diese Entzündungstheorie überwunden worden ist.

Gegenwärtig nennen wir das Ding eine Körnchenkugel,
und betrachten es als das erste Stadium der Degeneration, wo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0326" n="304"/><fw place="top" type="header">Fünfzehnte Vorlesung.</fw><lb/>
darstellt, dass in dem Zelleninhalt einzelne feinste Fettkörn-<lb/>
chen erscheinen, reichlicher werden und, ohne zu so grossen<lb/>
Tropfen zusammenzufliessen, wie dies bei der Fettinfiltration<lb/>
und den Fettgewebsbildungen der Fall ist, allmählig den Zel-<lb/>
lenraum erfüllen. Gewöhnlich tritt in einiger Entfernung vom<lb/>
Kern die Entwickelung von Fettkörnchen zuerst auf; sehr sel-<lb/>
ten beginnt sie vom Kern aus. Das ist die Zelle, welche man<lb/>
seit langer Zeit <hi rendition="#g">Körnchenzelle</hi> genannt hat. Dann kommt<lb/>
ein Stadium, wo allerdings noch Kern und Membran zu sehen<lb/>
sind, wo aber die Körnchen so dicht aneinander liegen, wie<lb/>
bei den Colostrumkörperchen; nur an der Stelle, wo der Kern<lb/>
lag, findet sich noch eine kleine Lücke (Fig. 66, <hi rendition="#i">b</hi>.). Von die-<lb/>
sem Stadium ist ein kleiner Schritt bis zum vollkommenen Un-<lb/>
tergang der Zelle. Denn in dem Zustande der Körnchen-<lb/>
zelle erhält sich niemals eine Zelle längere Zeit, sondern wenn<lb/>
einmal dieses Stadium eingetreten ist, so verschwindet alsbald<lb/>
gewöhnlich der Kern und endlich auch die Membran, wahr-<lb/>
scheinlich durch eine Art von Auflösung. Dann haben wir<lb/>
die einfache <hi rendition="#g">Körnchenkugel</hi>, oder wie man früher gesagt<lb/>
hat, die <hi rendition="#g">Entzündungskugel</hi>, welche <hi rendition="#g">Gluge</hi> zuerst unter<lb/>
diesem Namen beschrieben hat (Fig. 66, <hi rendition="#i">c</hi>.).</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Gluge</hi> passirte dabei einer der Irrthümer, wie sie die<lb/>
Anfangsperiode der Mikroskopie mehrfach charakterisiren, dass<lb/>
er bei Untersuchung einer Niere im Innern eines Kanals, den<lb/>
er für ein Blutgefäss hielt, solche Körper sah; damals, wo die<lb/>
Stase in vollster Berechtigung war, stellte er sich vor, dass er<lb/>
ein Gefäss mit stagnirendem Inhalt, der zerfalle und die Ent-<lb/>
zündungskugeln erzeuge, vor sich habe. Leider war das Ge-<lb/>
fäss ein kleines Harnkanälchen, das, was er für Theile der<lb/>
Blutkörperchen ansah, Fett, das, was er als Entzündungskugeln<lb/>
ausgab, fettig degenerirtes Nierenepithel. Man hätte sich die<lb/>
Geschichte dieser Stase nach <hi rendition="#g">Gluge</hi>&#x2019;s Schema leicht ersparen<lb/>
können, allein es gab damals wenig Leute, welche wussten,<lb/>
wie Harnkanälchen aussehen und wie sie sich von Ge-<lb/>
fässen unterscheiden, und so hat es etwas lange gedauert, ehe<lb/>
diese Entzündungstheorie überwunden worden ist.</p><lb/>
        <p>Gegenwärtig nennen wir das Ding eine Körnchenkugel,<lb/>
und betrachten es als das erste Stadium der Degeneration, wo<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0326] Fünfzehnte Vorlesung. darstellt, dass in dem Zelleninhalt einzelne feinste Fettkörn- chen erscheinen, reichlicher werden und, ohne zu so grossen Tropfen zusammenzufliessen, wie dies bei der Fettinfiltration und den Fettgewebsbildungen der Fall ist, allmählig den Zel- lenraum erfüllen. Gewöhnlich tritt in einiger Entfernung vom Kern die Entwickelung von Fettkörnchen zuerst auf; sehr sel- ten beginnt sie vom Kern aus. Das ist die Zelle, welche man seit langer Zeit Körnchenzelle genannt hat. Dann kommt ein Stadium, wo allerdings noch Kern und Membran zu sehen sind, wo aber die Körnchen so dicht aneinander liegen, wie bei den Colostrumkörperchen; nur an der Stelle, wo der Kern lag, findet sich noch eine kleine Lücke (Fig. 66, b.). Von die- sem Stadium ist ein kleiner Schritt bis zum vollkommenen Un- tergang der Zelle. Denn in dem Zustande der Körnchen- zelle erhält sich niemals eine Zelle längere Zeit, sondern wenn einmal dieses Stadium eingetreten ist, so verschwindet alsbald gewöhnlich der Kern und endlich auch die Membran, wahr- scheinlich durch eine Art von Auflösung. Dann haben wir die einfache Körnchenkugel, oder wie man früher gesagt hat, die Entzündungskugel, welche Gluge zuerst unter diesem Namen beschrieben hat (Fig. 66, c.). Gluge passirte dabei einer der Irrthümer, wie sie die Anfangsperiode der Mikroskopie mehrfach charakterisiren, dass er bei Untersuchung einer Niere im Innern eines Kanals, den er für ein Blutgefäss hielt, solche Körper sah; damals, wo die Stase in vollster Berechtigung war, stellte er sich vor, dass er ein Gefäss mit stagnirendem Inhalt, der zerfalle und die Ent- zündungskugeln erzeuge, vor sich habe. Leider war das Ge- fäss ein kleines Harnkanälchen, das, was er für Theile der Blutkörperchen ansah, Fett, das, was er als Entzündungskugeln ausgab, fettig degenerirtes Nierenepithel. Man hätte sich die Geschichte dieser Stase nach Gluge’s Schema leicht ersparen können, allein es gab damals wenig Leute, welche wussten, wie Harnkanälchen aussehen und wie sie sich von Ge- fässen unterscheiden, und so hat es etwas lange gedauert, ehe diese Entzündungstheorie überwunden worden ist. Gegenwärtig nennen wir das Ding eine Körnchenkugel, und betrachten es als das erste Stadium der Degeneration, wo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/326
Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/326>, abgerufen am 24.11.2024.