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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Erregbarkeit.
von Mumien untersucht und an ihnen eine Reihe von Ge-
weben gefunden, welche so vollständig erhalten waren,
dass man sehr wohl hätte auf den Schluss kommen können,
diese Theile wären aus einem lebenden Körper hergenommen.
Der Begriff des Todten, des Abgestorbenen, Nekrotischen be-
ruht ja eben darauf, dass wir bei und trotz Erhaltung der
Form nicht mehr die Erregbarkeit finden. Am deutlichsten
hat sich diese Erfahrung gerade in der neueren Zeit bei den
Untersuchungen über die feineren Eigenschaften der Nerven
gezeigt. Gegenwärtig, wo man auch am sogenannten ruhen-
den Nerven durch die Untersuchungen Dubois's eine Thätig-
keit kennen gelernt, wo man eingesehen hat, dass auch in dem
ruhenden Nerven fortwährend elektrische Vorgänge stattfinden,
dass er fortwährend eine Wirkung auf die Magnetnadel aus-
übt, gegenwärtig können wir mit Sicherheit durch das physi-
kalische Experiment beurtheilen, wann der Nerv todt ist, denn
so wie der Tod eingetreten ist, hören jene Eigenschaften auf,
welche untrennbar mit dem Leben des Nerven verbunden sind.

Diese Eigenthümlichkeit, welche wir an einzelnen Thei-
len in einer so ausgesprochenen und so evident nachweisbaren
Weise finden, tritt immer mehr zurück, je niedriger organisirt
der Theil ist, und am Wenigsten sind wir im Stande, Kriterien
dieser Eigenschaft mit Sicherheit anzugeben an den Geweben,
welche die Bindegewebsformation umfasst. Hier sind wir in
der That häufig in grosser Verlegenheit, zu entscheiden, ob
ein Theil lebt oder schon abgestorben ist.

Wenn man nun weiter analysirt, was man unter dem Be-
griffe der Erregbarkeit verstehen soll, so ergibt sich alsbald,
dass die verschiedenen Thätigkeiten, welche auf irgend eine
äussere Einwirkung hervorgerufen werden können, wesentlich
dreierlei Art sind; und ich halte es für sehr wesentlich, dass
Sie diesen Punkt für die Deutung pathologischer Zustände be-
stimmt ins Auge fassen, um so mehr als er gewöhnlich nicht
mit besonderer Deutlichkeit hervorgehoben zu werden pflegt

Entweder nämlich handelt es sich beim Hervorrufen einer
bestimmten Thätigkeit um die Verrichtung, oder um die Erhal-
tung, oder um die Bildung eines Theiles: Function, Nu-
trition, Formation
. Allerdings lässt sich nicht leugnen,

17*

Erregbarkeit.
von Mumien untersucht und an ihnen eine Reihe von Ge-
weben gefunden, welche so vollständig erhalten waren,
dass man sehr wohl hätte auf den Schluss kommen können,
diese Theile wären aus einem lebenden Körper hergenommen.
Der Begriff des Todten, des Abgestorbenen, Nekrotischen be-
ruht ja eben darauf, dass wir bei und trotz Erhaltung der
Form nicht mehr die Erregbarkeit finden. Am deutlichsten
hat sich diese Erfahrung gerade in der neueren Zeit bei den
Untersuchungen über die feineren Eigenschaften der Nerven
gezeigt. Gegenwärtig, wo man auch am sogenannten ruhen-
den Nerven durch die Untersuchungen Dubois’s eine Thätig-
keit kennen gelernt, wo man eingesehen hat, dass auch in dem
ruhenden Nerven fortwährend elektrische Vorgänge stattfinden,
dass er fortwährend eine Wirkung auf die Magnetnadel aus-
übt, gegenwärtig können wir mit Sicherheit durch das physi-
kalische Experiment beurtheilen, wann der Nerv todt ist, denn
so wie der Tod eingetreten ist, hören jene Eigenschaften auf,
welche untrennbar mit dem Leben des Nerven verbunden sind.

Diese Eigenthümlichkeit, welche wir an einzelnen Thei-
len in einer so ausgesprochenen und so evident nachweisbaren
Weise finden, tritt immer mehr zurück, je niedriger organisirt
der Theil ist, und am Wenigsten sind wir im Stande, Kriterien
dieser Eigenschaft mit Sicherheit anzugeben an den Geweben,
welche die Bindegewebsformation umfasst. Hier sind wir in
der That häufig in grosser Verlegenheit, zu entscheiden, ob
ein Theil lebt oder schon abgestorben ist.

Wenn man nun weiter analysirt, was man unter dem Be-
griffe der Erregbarkeit verstehen soll, so ergibt sich alsbald,
dass die verschiedenen Thätigkeiten, welche auf irgend eine
äussere Einwirkung hervorgerufen werden können, wesentlich
dreierlei Art sind; und ich halte es für sehr wesentlich, dass
Sie diesen Punkt für die Deutung pathologischer Zustände be-
stimmt ins Auge fassen, um so mehr als er gewöhnlich nicht
mit besonderer Deutlichkeit hervorgehoben zu werden pflegt

Entweder nämlich handelt es sich beim Hervorrufen einer
bestimmten Thätigkeit um die Verrichtung, oder um die Erhal-
tung, oder um die Bildung eines Theiles: Function, Nu-
trition, Formation
. Allerdings lässt sich nicht leugnen,

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[259/0281] Erregbarkeit. von Mumien untersucht und an ihnen eine Reihe von Ge- weben gefunden, welche so vollständig erhalten waren, dass man sehr wohl hätte auf den Schluss kommen können, diese Theile wären aus einem lebenden Körper hergenommen. Der Begriff des Todten, des Abgestorbenen, Nekrotischen be- ruht ja eben darauf, dass wir bei und trotz Erhaltung der Form nicht mehr die Erregbarkeit finden. Am deutlichsten hat sich diese Erfahrung gerade in der neueren Zeit bei den Untersuchungen über die feineren Eigenschaften der Nerven gezeigt. Gegenwärtig, wo man auch am sogenannten ruhen- den Nerven durch die Untersuchungen Dubois’s eine Thätig- keit kennen gelernt, wo man eingesehen hat, dass auch in dem ruhenden Nerven fortwährend elektrische Vorgänge stattfinden, dass er fortwährend eine Wirkung auf die Magnetnadel aus- übt, gegenwärtig können wir mit Sicherheit durch das physi- kalische Experiment beurtheilen, wann der Nerv todt ist, denn so wie der Tod eingetreten ist, hören jene Eigenschaften auf, welche untrennbar mit dem Leben des Nerven verbunden sind. Diese Eigenthümlichkeit, welche wir an einzelnen Thei- len in einer so ausgesprochenen und so evident nachweisbaren Weise finden, tritt immer mehr zurück, je niedriger organisirt der Theil ist, und am Wenigsten sind wir im Stande, Kriterien dieser Eigenschaft mit Sicherheit anzugeben an den Geweben, welche die Bindegewebsformation umfasst. Hier sind wir in der That häufig in grosser Verlegenheit, zu entscheiden, ob ein Theil lebt oder schon abgestorben ist. Wenn man nun weiter analysirt, was man unter dem Be- griffe der Erregbarkeit verstehen soll, so ergibt sich alsbald, dass die verschiedenen Thätigkeiten, welche auf irgend eine äussere Einwirkung hervorgerufen werden können, wesentlich dreierlei Art sind; und ich halte es für sehr wesentlich, dass Sie diesen Punkt für die Deutung pathologischer Zustände be- stimmt ins Auge fassen, um so mehr als er gewöhnlich nicht mit besonderer Deutlichkeit hervorgehoben zu werden pflegt Entweder nämlich handelt es sich beim Hervorrufen einer bestimmten Thätigkeit um die Verrichtung, oder um die Erhal- tung, oder um die Bildung eines Theiles: Function, Nu- trition, Formation. Allerdings lässt sich nicht leugnen, 17*

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/281>, abgerufen am 07.05.2024.