um. Ausserdem hat man sich mehr und mehr überzeugt, dass sowohl zwischen den beiden Hälften des Rückenmarkes, als zwischen den einzelnen Ganglien-Gruppen directe Verbindun- gen, Commissuren, bestehen, indem Fasern von einer Zelle zur anderen und von einer Seite zur anderen hinübertreten, theils in der Weise, dass sie mit denen der entgegengesetzten Seite sich kreuzen (vordere Commissur), theils so, dass sie ge- streckt und parallel verlaufen (hintere Commissur).
Mit diesen anatomischen Erfahrungen kann man sich ein freilich noch sehr ungenügendes Bild machen von den Wegen, auf welchen die Vorgänge innerhalb der Centraltheile passiren. Jede besondere Thätigkeit hat ihre besonderen ele- mentaren, zelligen Organe, jede Art der Leitung fin- det ihre bestimmt vorgezeichneten Bahnen. Auch im Grossen entsprechen den functionellen Verschiedenheiten ganz bestimmte Eigenthümlichkeiten in der Struktur der einzelnen Centraltheile, namentlich entwickeln sich nach oben hin die hinteren Hörner allmählig immer kräftiger, und in dem Maasse als diese Entwickelung vorschreitet, macht sich die Entfaltung der Medulla oblongata, des kleinen und grossen Gehirns, wo- bei mehr und mehr die motorischen Theile in den Hintergrund treten, um zuletzt fast ganz zu verschwinden. Der Anlage nach und im Grossen bestehen überall analoge Verhältnisse; das Einzige, was bis jetzt wenigstens als eine besonders cha- rakteristische Eigenthümlichkeit der centralen Apparate be- trachtet werden kann, ist die schon in der letzten Vorlesung hervorgehobene Erscheinung, dass am Gross- und Klein- hirn Ganglien-Fortsätze mit besonders zusammengesetz- ten Apparaten in Verbindung stehen, die am meisten Aehn- lichkeit haben mit der Ihnen vorgeführten Körner- und Stäbchenschicht der Retina. Auch hier finden sich verästelte, fast baumförmige Fäden, welche kleine Körnchen in oft mehr- facher Reihe in sich schliessen, und welche sich an die Ganglien- zellen in einer wesentlich anderen, namentlich sehr viel feine- ren Weise anfügen, als das bei den eigentlichen Nervenfort- sätzen der Fall ist. Diese Art von Ganglienzellen dürfte wohl mit der psychischen Thätigkeit in näherer Verbin- dung stehen, indess wissen wir darüber vorläufig nichts
Dreizehnte Vorlesung.
um. Ausserdem hat man sich mehr und mehr überzeugt, dass sowohl zwischen den beiden Hälften des Rückenmarkes, als zwischen den einzelnen Ganglien-Gruppen directe Verbindun- gen, Commissuren, bestehen, indem Fasern von einer Zelle zur anderen und von einer Seite zur anderen hinübertreten, theils in der Weise, dass sie mit denen der entgegengesetzten Seite sich kreuzen (vordere Commissur), theils so, dass sie ge- streckt und parallel verlaufen (hintere Commissur).
Mit diesen anatomischen Erfahrungen kann man sich ein freilich noch sehr ungenügendes Bild machen von den Wegen, auf welchen die Vorgänge innerhalb der Centraltheile passiren. Jede besondere Thätigkeit hat ihre besonderen ele- mentaren, zelligen Organe, jede Art der Leitung fin- det ihre bestimmt vorgezeichneten Bahnen. Auch im Grossen entsprechen den functionellen Verschiedenheiten ganz bestimmte Eigenthümlichkeiten in der Struktur der einzelnen Centraltheile, namentlich entwickeln sich nach oben hin die hinteren Hörner allmählig immer kräftiger, und in dem Maasse als diese Entwickelung vorschreitet, macht sich die Entfaltung der Medulla oblongata, des kleinen und grossen Gehirns, wo- bei mehr und mehr die motorischen Theile in den Hintergrund treten, um zuletzt fast ganz zu verschwinden. Der Anlage nach und im Grossen bestehen überall analoge Verhältnisse; das Einzige, was bis jetzt wenigstens als eine besonders cha- rakteristische Eigenthümlichkeit der centralen Apparate be- trachtet werden kann, ist die schon in der letzten Vorlesung hervorgehobene Erscheinung, dass am Gross- und Klein- hirn Ganglien-Fortsätze mit besonders zusammengesetz- ten Apparaten in Verbindung stehen, die am meisten Aehn- lichkeit haben mit der Ihnen vorgeführten Körner- und Stäbchenschicht der Retina. Auch hier finden sich verästelte, fast baumförmige Fäden, welche kleine Körnchen in oft mehr- facher Reihe in sich schliessen, und welche sich an die Ganglien- zellen in einer wesentlich anderen, namentlich sehr viel feine- ren Weise anfügen, als das bei den eigentlichen Nervenfort- sätzen der Fall ist. Diese Art von Ganglienzellen dürfte wohl mit der psychischen Thätigkeit in näherer Verbin- dung stehen, indess wissen wir darüber vorläufig nichts
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Dreizehnte Vorlesung.
um. Ausserdem hat man sich mehr und mehr überzeugt, dass
sowohl zwischen den beiden Hälften des Rückenmarkes, als
zwischen den einzelnen Ganglien-Gruppen directe Verbindun-
gen, Commissuren, bestehen, indem Fasern von einer Zelle
zur anderen und von einer Seite zur anderen hinübertreten,
theils in der Weise, dass sie mit denen der entgegengesetzten
Seite sich kreuzen (vordere Commissur), theils so, dass sie ge-
streckt und parallel verlaufen (hintere Commissur).
Mit diesen anatomischen Erfahrungen kann man sich ein
freilich noch sehr ungenügendes Bild machen von den Wegen,
auf welchen die Vorgänge innerhalb der Centraltheile passiren.
Jede besondere Thätigkeit hat ihre besonderen ele-
mentaren, zelligen Organe, jede Art der Leitung fin-
det ihre bestimmt vorgezeichneten Bahnen. Auch im
Grossen entsprechen den functionellen Verschiedenheiten ganz
bestimmte Eigenthümlichkeiten in der Struktur der einzelnen
Centraltheile, namentlich entwickeln sich nach oben hin die
hinteren Hörner allmählig immer kräftiger, und in dem Maasse
als diese Entwickelung vorschreitet, macht sich die Entfaltung
der Medulla oblongata, des kleinen und grossen Gehirns, wo-
bei mehr und mehr die motorischen Theile in den Hintergrund
treten, um zuletzt fast ganz zu verschwinden. Der Anlage
nach und im Grossen bestehen überall analoge Verhältnisse;
das Einzige, was bis jetzt wenigstens als eine besonders cha-
rakteristische Eigenthümlichkeit der centralen Apparate be-
trachtet werden kann, ist die schon in der letzten Vorlesung
hervorgehobene Erscheinung, dass am Gross- und Klein-
hirn Ganglien-Fortsätze mit besonders zusammengesetz-
ten Apparaten in Verbindung stehen, die am meisten Aehn-
lichkeit haben mit der Ihnen vorgeführten Körner- und
Stäbchenschicht der Retina. Auch hier finden sich verästelte,
fast baumförmige Fäden, welche kleine Körnchen in oft mehr-
facher Reihe in sich schliessen, und welche sich an die Ganglien-
zellen in einer wesentlich anderen, namentlich sehr viel feine-
ren Weise anfügen, als das bei den eigentlichen Nervenfort-
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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/264>, abgerufen am 28.11.2024.
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