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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Nervengeflechte.
erörtert worden sind. Die Submucosa des Darms ist darnach,
wie schon Willis sagte, eine Tunica nervea. Wenn man den
eintretenden Nerven nachgeht, so sieht man, dass sie, nachdem
sie sich getheilt haben, zuletzt in wirkliche Netze übergehen,
welche bei Neugebornen an gewissen Stellen sehr grosse Kno-
tenpunkte haben, von denen aus sie in Geflechte ausstrahlen,
so dass dadurch eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Capillar-
netz entsteht.

Wie weit sich solche Einrichtungen im Körper überhaupt
erstrecken, ist noch nicht ergründet, denn auch hier sind es
fast ganz neue Thatsachen, welche erst in letzter Zeit die Auf-
merksamkeit der Untersucher in Anspruch nahmen; wahrschein-
lich wird sich die Zahl solcher Nervenhäute noch vergrössern
lassen. Um jedoch etwaigen Missverständnissen vorzubeugen,
muss ich sogleich hinzusetzen, dass diese plexusartigen Aus-
breitungen keineswegs einfach sind, sondern dass die erwähn-
ten grösseren Knotenpunkte den Habitus von Ganglien an sich
tragen, so dass gewissermaassen neue Sammelpunkte des
Nervenapparates mit der Möglichkeit einer Verstärkung oder
Hemmung der Wirkungen eintreten. Für die Funktion ist
diese Einrichtung offenbar von grosser Bedeutung, denn wir
würden uns am Darm die peristaltische Bewegung nicht wohl er-
klären können, wenn nicht eine Einrichtung existirte, welche
von Netz zu Netz, von Theil zu Theil Reize übertrüge, die
nur an einem Punkte dem Darme zugekommen sind. Die bis
vor Kurzem bekannten Verhältnisse der Nervenverbreitung ge-
nügten nicht, um den Modus der peristaltischen Bewegung
einigermaassen zu erklären, während sich hier sofort die be-
quemsten Anhaltspunkte der Deutung bieten. -- So viel im
Wesentlichen über die allgemeinen Formen, welche man bis
jetzt für die peripherischen Endigungen der Nerven kennt.

Im Ganzen entsprechen diese Erfahrungen wenig dem,
was man sich früher gedacht hat und was noch jetzt die
Neuropathologen annehmen. Die Vorstellung eines Neuropa-
thologen von reinem Wasser geht bekanntlich dahin, dass ein
Nervencentrum im Stande sei, vermittelst der Nervenfasern auf
jeden kleinsten Theil seines Territoriums eine besondere Wir-

Nervengeflechte.
erörtert worden sind. Die Submucosa des Darms ist darnach,
wie schon Willis sagte, eine Tunica nervea. Wenn man den
eintretenden Nerven nachgeht, so sieht man, dass sie, nachdem
sie sich getheilt haben, zuletzt in wirkliche Netze übergehen,
welche bei Neugebornen an gewissen Stellen sehr grosse Kno-
tenpunkte haben, von denen aus sie in Geflechte ausstrahlen,
so dass dadurch eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Capillar-
netz entsteht.

Wie weit sich solche Einrichtungen im Körper überhaupt
erstrecken, ist noch nicht ergründet, denn auch hier sind es
fast ganz neue Thatsachen, welche erst in letzter Zeit die Auf-
merksamkeit der Untersucher in Anspruch nahmen; wahrschein-
lich wird sich die Zahl solcher Nervenhäute noch vergrössern
lassen. Um jedoch etwaigen Missverständnissen vorzubeugen,
muss ich sogleich hinzusetzen, dass diese plexusartigen Aus-
breitungen keineswegs einfach sind, sondern dass die erwähn-
ten grösseren Knotenpunkte den Habitus von Ganglien an sich
tragen, so dass gewissermaassen neue Sammelpunkte des
Nervenapparates mit der Möglichkeit einer Verstärkung oder
Hemmung der Wirkungen eintreten. Für die Funktion ist
diese Einrichtung offenbar von grosser Bedeutung, denn wir
würden uns am Darm die peristaltische Bewegung nicht wohl er-
klären können, wenn nicht eine Einrichtung existirte, welche
von Netz zu Netz, von Theil zu Theil Reize übertrüge, die
nur an einem Punkte dem Darme zugekommen sind. Die bis
vor Kurzem bekannten Verhältnisse der Nervenverbreitung ge-
nügten nicht, um den Modus der peristaltischen Bewegung
einigermaassen zu erklären, während sich hier sofort die be-
quemsten Anhaltspunkte der Deutung bieten. — So viel im
Wesentlichen über die allgemeinen Formen, welche man bis
jetzt für die peripherischen Endigungen der Nerven kennt.

Im Ganzen entsprechen diese Erfahrungen wenig dem,
was man sich früher gedacht hat und was noch jetzt die
Neuropathologen annehmen. Die Vorstellung eines Neuropa-
thologen von reinem Wasser geht bekanntlich dahin, dass ein
Nervencentrum im Stande sei, vermittelst der Nervenfasern auf
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[229/0251] Nervengeflechte. erörtert worden sind. Die Submucosa des Darms ist darnach, wie schon Willis sagte, eine Tunica nervea. Wenn man den eintretenden Nerven nachgeht, so sieht man, dass sie, nachdem sie sich getheilt haben, zuletzt in wirkliche Netze übergehen, welche bei Neugebornen an gewissen Stellen sehr grosse Kno- tenpunkte haben, von denen aus sie in Geflechte ausstrahlen, so dass dadurch eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Capillar- netz entsteht. Wie weit sich solche Einrichtungen im Körper überhaupt erstrecken, ist noch nicht ergründet, denn auch hier sind es fast ganz neue Thatsachen, welche erst in letzter Zeit die Auf- merksamkeit der Untersucher in Anspruch nahmen; wahrschein- lich wird sich die Zahl solcher Nervenhäute noch vergrössern lassen. Um jedoch etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, muss ich sogleich hinzusetzen, dass diese plexusartigen Aus- breitungen keineswegs einfach sind, sondern dass die erwähn- ten grösseren Knotenpunkte den Habitus von Ganglien an sich tragen, so dass gewissermaassen neue Sammelpunkte des Nervenapparates mit der Möglichkeit einer Verstärkung oder Hemmung der Wirkungen eintreten. Für die Funktion ist diese Einrichtung offenbar von grosser Bedeutung, denn wir würden uns am Darm die peristaltische Bewegung nicht wohl er- klären können, wenn nicht eine Einrichtung existirte, welche von Netz zu Netz, von Theil zu Theil Reize übertrüge, die nur an einem Punkte dem Darme zugekommen sind. Die bis vor Kurzem bekannten Verhältnisse der Nervenverbreitung ge- nügten nicht, um den Modus der peristaltischen Bewegung einigermaassen zu erklären, während sich hier sofort die be- quemsten Anhaltspunkte der Deutung bieten. — So viel im Wesentlichen über die allgemeinen Formen, welche man bis jetzt für die peripherischen Endigungen der Nerven kennt. Im Ganzen entsprechen diese Erfahrungen wenig dem, was man sich früher gedacht hat und was noch jetzt die Neuropathologen annehmen. Die Vorstellung eines Neuropa- thologen von reinem Wasser geht bekanntlich dahin, dass ein Nervencentrum im Stande sei, vermittelst der Nervenfasern auf jeden kleinsten Theil seines Territoriums eine besondere Wir-

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/251>, abgerufen am 07.05.2024.