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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Zwölfte Vorlesung.

Wir haben, meine Herren, durch Betrachtung dieser Ver-
hältnisse die Thatsache gewonnen, dass die specifische Ener-
gie der einzelnen Nerven nicht sowohl in der Besonderheit
des inneren Baues ihrer Fasern als solcher beruht, sondern
dass es wesentlich auf die besondere Art der Endeinrichtung
ankommt, mit welcher der Nerv, sei es direct, sei es durch
Contact in Verbindung steht, und welche die besondere Fä-
higkeit der einzelnen Sinnesnerven charakterisirt. Betrachtet
man z. B. einen Querschnitt des Opticus ausserhalb des Auges,
so bietet er gar keine Besonderheiten dar gegenüber anderen
Nerven, und es liesse sich in keiner Weise erklären, dass ge-
rade dieser Nerv für Licht leitungsfähiger ist, als die anderen
Nerven, während dagegen die besonderen Verhältnisse, unter
welchen sich seine letzten Enden verbreiten, die ungewöhnlich
grosse Empfindlichkeit der Retina genügend erklären. --

In Beziehung auf die Endigungen wäre noch ein Punkt
zu erwähnen: die plexusartige Ausbreitung. Es ist dies

[Abbildung] Fig. 86.
ein Punkt, auf welchen die neueren Unter-
suchungen hauptsächlich durch Rudolf
Wagner
geleitet worden sind, indem die-
ser Forscher Untersuchungen über die Ver-
breitung der Nerven im elektrischen Organ
anstellte, und bei dieser Gelegenheit den
wesentlichsten Anstoss gab zu der Lehre
von der Verästelung der Nervenfasern.
Bis dahin hatte man die Nerven als zusam-
menhängende, einfache Röhren betrachtet,
welche vom Centrum bis ans Ende einfach
fortliefen. Gegenwärtig weiss man, dass
sich die Nerven wie Gefässe verbreiten. In-
dem sich eine Nervenfaser direkt, gewöhn-
lich dichotomisch, theilt, ihre Aeste sich wie-
der theilen und so fort, so kann dadurch
mit der Zeit eine überaus reiche Veräste-
lung entstehen, deren Bedeutung höchst ver-
[Abbildung] Fig. 86.

Theilung einer Primitiv-Nervenfaser bei t, wo sich eine
Einschnürung findet; b', b'' Aeste. a cine andere Faser, welche die vo-
rige kreuzt. Vergr. 300.

Zwölfte Vorlesung.

Wir haben, meine Herren, durch Betrachtung dieser Ver-
hältnisse die Thatsache gewonnen, dass die specifische Ener-
gie der einzelnen Nerven nicht sowohl in der Besonderheit
des inneren Baues ihrer Fasern als solcher beruht, sondern
dass es wesentlich auf die besondere Art der Endeinrichtung
ankommt, mit welcher der Nerv, sei es direct, sei es durch
Contact in Verbindung steht, und welche die besondere Fä-
higkeit der einzelnen Sinnesnerven charakterisirt. Betrachtet
man z. B. einen Querschnitt des Opticus ausserhalb des Auges,
so bietet er gar keine Besonderheiten dar gegenüber anderen
Nerven, und es liesse sich in keiner Weise erklären, dass ge-
rade dieser Nerv für Licht leitungsfähiger ist, als die anderen
Nerven, während dagegen die besonderen Verhältnisse, unter
welchen sich seine letzten Enden verbreiten, die ungewöhnlich
grosse Empfindlichkeit der Retina genügend erklären. —

In Beziehung auf die Endigungen wäre noch ein Punkt
zu erwähnen: die plexusartige Ausbreitung. Es ist dies

[Abbildung] Fig. 86.
ein Punkt, auf welchen die neueren Unter-
suchungen hauptsächlich durch Rudolf
Wagner
geleitet worden sind, indem die-
ser Forscher Untersuchungen über die Ver-
breitung der Nerven im elektrischen Organ
anstellte, und bei dieser Gelegenheit den
wesentlichsten Anstoss gab zu der Lehre
von der Verästelung der Nervenfasern.
Bis dahin hatte man die Nerven als zusam-
menhängende, einfache Röhren betrachtet,
welche vom Centrum bis ans Ende einfach
fortliefen. Gegenwärtig weiss man, dass
sich die Nerven wie Gefässe verbreiten. In-
dem sich eine Nervenfaser direkt, gewöhn-
lich dichotomisch, theilt, ihre Aeste sich wie-
der theilen und so fort, so kann dadurch
mit der Zeit eine überaus reiche Veräste-
lung entstehen, deren Bedeutung höchst ver-
[Abbildung] Fig. 86.

Theilung einer Primitiv-Nervenfaser bei t, wo sich eine
Einschnürung findet; b', b'' Aeste. a cine andere Faser, welche die vo-
rige kreuzt. Vergr. 300.

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[226/0248] Zwölfte Vorlesung. Wir haben, meine Herren, durch Betrachtung dieser Ver- hältnisse die Thatsache gewonnen, dass die specifische Ener- gie der einzelnen Nerven nicht sowohl in der Besonderheit des inneren Baues ihrer Fasern als solcher beruht, sondern dass es wesentlich auf die besondere Art der Endeinrichtung ankommt, mit welcher der Nerv, sei es direct, sei es durch Contact in Verbindung steht, und welche die besondere Fä- higkeit der einzelnen Sinnesnerven charakterisirt. Betrachtet man z. B. einen Querschnitt des Opticus ausserhalb des Auges, so bietet er gar keine Besonderheiten dar gegenüber anderen Nerven, und es liesse sich in keiner Weise erklären, dass ge- rade dieser Nerv für Licht leitungsfähiger ist, als die anderen Nerven, während dagegen die besonderen Verhältnisse, unter welchen sich seine letzten Enden verbreiten, die ungewöhnlich grosse Empfindlichkeit der Retina genügend erklären. — In Beziehung auf die Endigungen wäre noch ein Punkt zu erwähnen: die plexusartige Ausbreitung. Es ist dies [Abbildung Fig. 86.] ein Punkt, auf welchen die neueren Unter- suchungen hauptsächlich durch Rudolf Wagner geleitet worden sind, indem die- ser Forscher Untersuchungen über die Ver- breitung der Nerven im elektrischen Organ anstellte, und bei dieser Gelegenheit den wesentlichsten Anstoss gab zu der Lehre von der Verästelung der Nervenfasern. Bis dahin hatte man die Nerven als zusam- menhängende, einfache Röhren betrachtet, welche vom Centrum bis ans Ende einfach fortliefen. Gegenwärtig weiss man, dass sich die Nerven wie Gefässe verbreiten. In- dem sich eine Nervenfaser direkt, gewöhn- lich dichotomisch, theilt, ihre Aeste sich wie- der theilen und so fort, so kann dadurch mit der Zeit eine überaus reiche Veräste- lung entstehen, deren Bedeutung höchst ver- [Abbildung Fig. 86. Theilung einer Primitiv-Nervenfaser bei t, wo sich eine Einschnürung findet; b', b'' Aeste. a cine andere Faser, welche die vo- rige kreuzt. Vergr. 300.]

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/248>, abgerufen am 24.11.2024.