Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.Erste Vorlesung. vielen unter Ihnen, welchen vielleicht die neuesten histologi-schen Wechsel nicht ganz geläufig sind, eigene Anschauungen mikroskopischer Dinge nicht hinreichend zu Gebote stehen. Da jedoch gerade auf solche Anschauungen die wichtigen Schlüsse sich stützen, die wir gegenwärtig ziehen, so werden Sie es verzeihen, wenn ich, ohne Rücksicht auf diejenigen unter Ihnen, welche vollständig orientirt sind, mich so anstelle, als ob Sie alle nicht ganz in den nöthigen Vor- kenntnissen zu Hause wären. Die gegenwärtige Reform der Medicin, die Sie alle mit erlebt Wenn man den ausserordentlichen Einfluss erwägt, wel- Erste Vorlesung. vielen unter Ihnen, welchen vielleicht die neuesten histologi-schen Wechsel nicht ganz geläufig sind, eigene Anschauungen mikroskopischer Dinge nicht hinreichend zu Gebote stehen. Da jedoch gerade auf solche Anschauungen die wichtigen Schlüsse sich stützen, die wir gegenwärtig ziehen, so werden Sie es verzeihen, wenn ich, ohne Rücksicht auf diejenigen unter Ihnen, welche vollständig orientirt sind, mich so anstelle, als ob Sie alle nicht ganz in den nöthigen Vor- kenntnissen zu Hause wären. Die gegenwärtige Reform der Medicin, die Sie alle mit erlebt Wenn man den ausserordentlichen Einfluss erwägt, wel- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0024" n="2"/><fw place="top" type="header">Erste Vorlesung.</fw><lb/> vielen unter Ihnen, welchen vielleicht die neuesten histologi-<lb/> schen Wechsel nicht ganz geläufig sind, eigene Anschauungen<lb/> mikroskopischer Dinge nicht hinreichend zu Gebote stehen.<lb/> Da jedoch gerade auf solche Anschauungen die wichtigen<lb/> Schlüsse sich stützen, die wir gegenwärtig ziehen, so<lb/> werden Sie es verzeihen, wenn ich, ohne Rücksicht auf<lb/> diejenigen unter Ihnen, welche vollständig orientirt sind, mich<lb/> so anstelle, als ob Sie alle nicht ganz in den nöthigen Vor-<lb/> kenntnissen zu Hause wären.</p><lb/> <p>Die gegenwärtige Reform der Medicin, die Sie alle mit erlebt<lb/> haben, ging wesentlich aus von neuen anatomischen Erfahrungen,<lb/> und auch das, was ich Ihnen vorzutragen habe, soll sich vorzüg-<lb/> lich auf anatomische Demonstrationen stützen. Aber es würde<lb/> für mich nicht ausreichen, wie es in dem letzten Jahrzehnt<lb/> gebräuchlich war, nur die pathologische Anatomie als Grund-<lb/> lage der Anschauung zu nehmen; wir müssen auch die allge-<lb/> mein-anatomischen Thatsachen hinzufügen, aus welchen die<lb/> augenblickliche Gestaltung der Wissenschaft gewonnen worden<lb/> ist. Die Geschichte der Medicin lehrt uns ja, wenn wir<lb/> nur einen einigermassen grösseren Ueberblick nehmen, dass zu<lb/> allen Zeiten die eigentlichen Fortschritte bezeichnet worden<lb/> sind durch anatomische Neuerungen, und dass jede grössere Phase<lb/> der Entwicklung zunächst eingeleitet worden ist durch eine Reihe<lb/> von bedeutenden Entdeckungen über den Bau des Körpers.<lb/> So ist es in der alten Zeit gewesen, als die Erfahrungen der<lb/> Alexandriner, zum ersten Male von der Anatomie des Menschen<lb/> ausgehend, das galenische System vorbereiteten, so im Mittel-<lb/> alter, als <hi rendition="#g">Vesal</hi> wiederum die Anatomie neu begründete und<lb/> damit die eigentliche Reform der Medicin begann, so endlich, als<lb/><hi rendition="#g">Bichat</hi> die Grundsätze der allgemeinen Anatomie entwickelte.<lb/> Dasjenige, was <hi rendition="#g">Schwann</hi> gethan hat für die Gewebelehre,<lb/> das ist für die Pathologie bis jetzt sehr wenig ausgebaut<lb/> und entwickelt worden, und man kann sagen, dass nichts we-<lb/> niger in das allgemeine Bewusstsein eingedrungen ist, als die<lb/> Zellentheorie in ihrer nahen Beziehung zur Pathologie.</p><lb/> <p>Wenn man den ausserordentlichen Einfluss erwägt, wel-<lb/> chen seiner Zeit <hi rendition="#g">Bichat</hi> auf die Gestaltung der ärztlichen<lb/> Anschauungen ausgeübt hat, so ist es in der That erstaunlich,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [2/0024]
Erste Vorlesung.
vielen unter Ihnen, welchen vielleicht die neuesten histologi-
schen Wechsel nicht ganz geläufig sind, eigene Anschauungen
mikroskopischer Dinge nicht hinreichend zu Gebote stehen.
Da jedoch gerade auf solche Anschauungen die wichtigen
Schlüsse sich stützen, die wir gegenwärtig ziehen, so
werden Sie es verzeihen, wenn ich, ohne Rücksicht auf
diejenigen unter Ihnen, welche vollständig orientirt sind, mich
so anstelle, als ob Sie alle nicht ganz in den nöthigen Vor-
kenntnissen zu Hause wären.
Die gegenwärtige Reform der Medicin, die Sie alle mit erlebt
haben, ging wesentlich aus von neuen anatomischen Erfahrungen,
und auch das, was ich Ihnen vorzutragen habe, soll sich vorzüg-
lich auf anatomische Demonstrationen stützen. Aber es würde
für mich nicht ausreichen, wie es in dem letzten Jahrzehnt
gebräuchlich war, nur die pathologische Anatomie als Grund-
lage der Anschauung zu nehmen; wir müssen auch die allge-
mein-anatomischen Thatsachen hinzufügen, aus welchen die
augenblickliche Gestaltung der Wissenschaft gewonnen worden
ist. Die Geschichte der Medicin lehrt uns ja, wenn wir
nur einen einigermassen grösseren Ueberblick nehmen, dass zu
allen Zeiten die eigentlichen Fortschritte bezeichnet worden
sind durch anatomische Neuerungen, und dass jede grössere Phase
der Entwicklung zunächst eingeleitet worden ist durch eine Reihe
von bedeutenden Entdeckungen über den Bau des Körpers.
So ist es in der alten Zeit gewesen, als die Erfahrungen der
Alexandriner, zum ersten Male von der Anatomie des Menschen
ausgehend, das galenische System vorbereiteten, so im Mittel-
alter, als Vesal wiederum die Anatomie neu begründete und
damit die eigentliche Reform der Medicin begann, so endlich, als
Bichat die Grundsätze der allgemeinen Anatomie entwickelte.
Dasjenige, was Schwann gethan hat für die Gewebelehre,
das ist für die Pathologie bis jetzt sehr wenig ausgebaut
und entwickelt worden, und man kann sagen, dass nichts we-
niger in das allgemeine Bewusstsein eingedrungen ist, als die
Zellentheorie in ihrer nahen Beziehung zur Pathologie.
Wenn man den ausserordentlichen Einfluss erwägt, wel-
chen seiner Zeit Bichat auf die Gestaltung der ärztlichen
Anschauungen ausgeübt hat, so ist es in der That erstaunlich,
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