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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Eiter in Lymphgefässen.
der Resorption durch Lymphgefässe spricht man noch ziem-
lich häufig, und man hat in der That manche Veranlassung
dazu.

Es ist aber ziemlich gleichgültig, ob der Eiter in Lymph-
gefässe von aussen wirklich herein kommt, oder, was Andere
annehmen, ob er durch Entzündung in den Lymphgefässen
entsteht; schliessliche Frage ist vielmehr die, in wie weit ein
mit Eiter gefülltes Lymphgefäss im Stande ist, eine Entleerung
seines Inhaltes in den circulirenden Blutstrom zu Stande zu
bringen und die eigentliche Pyämie zu setzen. Eine solche
Möglichkeit muss in der Regel geläugnet werden, und zwar
aus einem sehr einfachen Grunde. Alle Lymphgefässe, welche
in der Lage sind, eine solche Aufnahme zu erfahren, sind pe-
ripherische, mögen sie von äusserlichen oder innerlichen Thei-
len entspringen, und gelangen erst nach einem längeren Lauf
allmälig zu den Blutgefässen. Bei allen finden sich Unter-
brechungen durch Lymphdrüsen; und seitdem man weiss, dass
die Lymphgefässe durch die Drüsen nicht als weite, gewun-
dene und verschlungene Kanäle hindurchgehen, sondern, nach-
dem sie sich in feine Aeste aufgelöst haben, in Räume eintre-
ten, welche mit zelligen Theilen gefüllt sind, so versteht es
sich von selbst, dass kein Eiterkörperchen eine Drüse passi-
ren kann.

Es ist dies ein sehr wesentlicher Gesichtspunkt, den man
sonderbarer Weise gewöhnlich übersieht, obwohl er in der
täglichen Erfahrung des praktischen Arztes die besten Bestä-
tigungen findet. Für die Nothwendigkeit der Hemmung kör-
perlicher Partikeln in den Lymphdrüsen haben wir ein sehr
hübsches Experiment, welches die Sitte unserer niederen Be-
völkerung mit sich bringt, die bekannte Tätowirung der Arme
oder auch wohl anderer Theile. Wenn ein Handwerker oder
ein Soldat auf seinen Arm eine Reihe von Einstichen machen
lässt, die zu Buchstaben, Zeichen oder Figuren geordnet wer-
den, so wird fast jedesmal bei der grossen Zahl der Stiche
ein Theil der oberflächlichen Lymphgefässe verletzt. Es ist
ja anders gar nicht möglich, als dass, wenn man durch Nadel-
stiche ganze Hautbezirke umgrenzt, wenigstens einzelne Lymph-
gefässe getroffen werden müssen. Darauf wird eine Substanz

Eiter in Lymphgefässen.
der Resorption durch Lymphgefässe spricht man noch ziem-
lich häufig, und man hat in der That manche Veranlassung
dazu.

Es ist aber ziemlich gleichgültig, ob der Eiter in Lymph-
gefässe von aussen wirklich herein kommt, oder, was Andere
annehmen, ob er durch Entzündung in den Lymphgefässen
entsteht; schliessliche Frage ist vielmehr die, in wie weit ein
mit Eiter gefülltes Lymphgefäss im Stande ist, eine Entleerung
seines Inhaltes in den circulirenden Blutstrom zu Stande zu
bringen und die eigentliche Pyämie zu setzen. Eine solche
Möglichkeit muss in der Regel geläugnet werden, und zwar
aus einem sehr einfachen Grunde. Alle Lymphgefässe, welche
in der Lage sind, eine solche Aufnahme zu erfahren, sind pe-
ripherische, mögen sie von äusserlichen oder innerlichen Thei-
len entspringen, und gelangen erst nach einem längeren Lauf
allmälig zu den Blutgefässen. Bei allen finden sich Unter-
brechungen durch Lymphdrüsen; und seitdem man weiss, dass
die Lymphgefässe durch die Drüsen nicht als weite, gewun-
dene und verschlungene Kanäle hindurchgehen, sondern, nach-
dem sie sich in feine Aeste aufgelöst haben, in Räume eintre-
ten, welche mit zelligen Theilen gefüllt sind, so versteht es
sich von selbst, dass kein Eiterkörperchen eine Drüse passi-
ren kann.

Es ist dies ein sehr wesentlicher Gesichtspunkt, den man
sonderbarer Weise gewöhnlich übersieht, obwohl er in der
täglichen Erfahrung des praktischen Arztes die besten Bestä-
tigungen findet. Für die Nothwendigkeit der Hemmung kör-
perlicher Partikeln in den Lymphdrüsen haben wir ein sehr
hübsches Experiment, welches die Sitte unserer niederen Be-
völkerung mit sich bringt, die bekannte Tätowirung der Arme
oder auch wohl anderer Theile. Wenn ein Handwerker oder
ein Soldat auf seinen Arm eine Reihe von Einstichen machen
lässt, die zu Buchstaben, Zeichen oder Figuren geordnet wer-
den, so wird fast jedesmal bei der grossen Zahl der Stiche
ein Theil der oberflächlichen Lymphgefässe verletzt. Es ist
ja anders gar nicht möglich, als dass, wenn man durch Nadel-
stiche ganze Hautbezirke umgrenzt, wenigstens einzelne Lymph-
gefässe getroffen werden müssen. Darauf wird eine Substanz

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[165/0187] Eiter in Lymphgefässen. der Resorption durch Lymphgefässe spricht man noch ziem- lich häufig, und man hat in der That manche Veranlassung dazu. Es ist aber ziemlich gleichgültig, ob der Eiter in Lymph- gefässe von aussen wirklich herein kommt, oder, was Andere annehmen, ob er durch Entzündung in den Lymphgefässen entsteht; schliessliche Frage ist vielmehr die, in wie weit ein mit Eiter gefülltes Lymphgefäss im Stande ist, eine Entleerung seines Inhaltes in den circulirenden Blutstrom zu Stande zu bringen und die eigentliche Pyämie zu setzen. Eine solche Möglichkeit muss in der Regel geläugnet werden, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde. Alle Lymphgefässe, welche in der Lage sind, eine solche Aufnahme zu erfahren, sind pe- ripherische, mögen sie von äusserlichen oder innerlichen Thei- len entspringen, und gelangen erst nach einem längeren Lauf allmälig zu den Blutgefässen. Bei allen finden sich Unter- brechungen durch Lymphdrüsen; und seitdem man weiss, dass die Lymphgefässe durch die Drüsen nicht als weite, gewun- dene und verschlungene Kanäle hindurchgehen, sondern, nach- dem sie sich in feine Aeste aufgelöst haben, in Räume eintre- ten, welche mit zelligen Theilen gefüllt sind, so versteht es sich von selbst, dass kein Eiterkörperchen eine Drüse passi- ren kann. Es ist dies ein sehr wesentlicher Gesichtspunkt, den man sonderbarer Weise gewöhnlich übersieht, obwohl er in der täglichen Erfahrung des praktischen Arztes die besten Bestä- tigungen findet. Für die Nothwendigkeit der Hemmung kör- perlicher Partikeln in den Lymphdrüsen haben wir ein sehr hübsches Experiment, welches die Sitte unserer niederen Be- völkerung mit sich bringt, die bekannte Tätowirung der Arme oder auch wohl anderer Theile. Wenn ein Handwerker oder ein Soldat auf seinen Arm eine Reihe von Einstichen machen lässt, die zu Buchstaben, Zeichen oder Figuren geordnet wer- den, so wird fast jedesmal bei der grossen Zahl der Stiche ein Theil der oberflächlichen Lymphgefässe verletzt. Es ist ja anders gar nicht möglich, als dass, wenn man durch Nadel- stiche ganze Hautbezirke umgrenzt, wenigstens einzelne Lymph- gefässe getroffen werden müssen. Darauf wird eine Substanz

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/187>, abgerufen am 24.11.2024.