chen vom Gefässe aus zu injiciren seien, allein dies ist nur vom leeren (macerirten) Gefässkanal aus möglich.
Es ist dies ein ganz ähnliches Verhältniss, wie am Zahn, wo man von der Zahnhöhle aus die Zahnkanälchen injiciren kann. Spritzt man z. B. eine Carminlösung in die Zahnhöhle, so sieht man die Zahnkanälchen als zahlreich neben einander strahlig heraufgehende Röhren, welche zu der Oberfläche auf- steigen. Die Zahnsubstanz bildet eben auch eine ziemlich breite Schicht von gefässloser Substanz. Gefässe finden sich nur in der Markhöhle des Zahns; von da nach aussen haben wir weiter nichts, als die eigentliche Zahnsubstanz mit ihrem Röhrensystem, welches bis nahe an die Oberfläche reicht und an der Zahnwurzel unmittelbar übergeht in eine Lage von wirk- licher Knochensubstanz (Cement), wo die Knochenkörperchen am Ende dieser Röhren aufsitzen. Eine ähnliche Weise der Einrichtung der Saftströmung, wie vom Marke der Knochen, geht hier von der Pulpe aus; der Ernährungssaft kann durch Röhren bis zur Oberfläche geleitet werden.
Diese Art von Röhrensystemen, die im Knochen und Zahn in einer so ausgesprochenen Weise sich findet, ist in den wei- chen Gebilden mit einer ungleich geringeren Klarheit zu über- sehen, und das ist wohl hauptsächlich der Grund gewesen, dass man die Analogie, welche zwischen den weichen Gewe- ben der Bindesubstanz und den harten der Knochen besteht, nicht recht zur Anschauung gebracht hat. Am deutlichsten sieht man solche Systeme an Punkten, die eine mehr knorplige Beschaffenheit haben, z. B. wo Faserknorpel liegt. Aber es ist sehr bezeichnend, dass wir von dem Knorpel eine Reihe von Uebergängen zu den anderen Geweben der Bindesubstanz finden, welche stets dasselbe Verhältniss wiederholen. Zuerst Theile, die chemisch noch zum Knorpel gehören, z. B. die Hornhaut, welche beim Kochen Chondrin gibt, obgleich sie Niemand als wirklichen Knorpel ansieht. Viel auffälliger ist die Einrichtung bei solchen Theilen, bei denen die äussere Er- scheinung für Knorpel spricht, aber die chemischen Eigenschaf- ten nicht übereinstimmen, z. B. bei den Cartilagines semiluna- res im Kniegelenk, den Bandscheiben zwischen Femur und Ti- bia, welche die Gelenkknorpel vor zu starken Berührungen
Vierte Vorlesung.
chen vom Gefässe aus zu injiciren seien, allein dies ist nur vom leeren (macerirten) Gefässkanal aus möglich.
Es ist dies ein ganz ähnliches Verhältniss, wie am Zahn, wo man von der Zahnhöhle aus die Zahnkanälchen injiciren kann. Spritzt man z. B. eine Carminlösung in die Zahnhöhle, so sieht man die Zahnkanälchen als zahlreich neben einander strahlig heraufgehende Röhren, welche zu der Oberfläche auf- steigen. Die Zahnsubstanz bildet eben auch eine ziemlich breite Schicht von gefässloser Substanz. Gefässe finden sich nur in der Markhöhle des Zahns; von da nach aussen haben wir weiter nichts, als die eigentliche Zahnsubstanz mit ihrem Röhrensystem, welches bis nahe an die Oberfläche reicht und an der Zahnwurzel unmittelbar übergeht in eine Lage von wirk- licher Knochensubstanz (Cement), wo die Knochenkörperchen am Ende dieser Röhren aufsitzen. Eine ähnliche Weise der Einrichtung der Saftströmung, wie vom Marke der Knochen, geht hier von der Pulpe aus; der Ernährungssaft kann durch Röhren bis zur Oberfläche geleitet werden.
Diese Art von Röhrensystemen, die im Knochen und Zahn in einer so ausgesprochenen Weise sich findet, ist in den wei- chen Gebilden mit einer ungleich geringeren Klarheit zu über- sehen, und das ist wohl hauptsächlich der Grund gewesen, dass man die Analogie, welche zwischen den weichen Gewe- ben der Bindesubstanz und den harten der Knochen besteht, nicht recht zur Anschauung gebracht hat. Am deutlichsten sieht man solche Systeme an Punkten, die eine mehr knorplige Beschaffenheit haben, z. B. wo Faserknorpel liegt. Aber es ist sehr bezeichnend, dass wir von dem Knorpel eine Reihe von Uebergängen zu den anderen Geweben der Bindesubstanz finden, welche stets dasselbe Verhältniss wiederholen. Zuerst Theile, die chemisch noch zum Knorpel gehören, z. B. die Hornhaut, welche beim Kochen Chondrin gibt, obgleich sie Niemand als wirklichen Knorpel ansieht. Viel auffälliger ist die Einrichtung bei solchen Theilen, bei denen die äussere Er- scheinung für Knorpel spricht, aber die chemischen Eigenschaf- ten nicht übereinstimmen, z. B. bei den Cartilagines semiluna- res im Kniegelenk, den Bandscheiben zwischen Femur und Ti- bia, welche die Gelenkknorpel vor zu starken Berührungen
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Vierte Vorlesung.
chen vom Gefässe aus zu injiciren seien, allein dies ist nur
vom leeren (macerirten) Gefässkanal aus möglich.
Es ist dies ein ganz ähnliches Verhältniss, wie am Zahn,
wo man von der Zahnhöhle aus die Zahnkanälchen injiciren kann.
Spritzt man z. B. eine Carminlösung in die Zahnhöhle, so
sieht man die Zahnkanälchen als zahlreich neben einander
strahlig heraufgehende Röhren, welche zu der Oberfläche auf-
steigen. Die Zahnsubstanz bildet eben auch eine ziemlich
breite Schicht von gefässloser Substanz. Gefässe finden sich
nur in der Markhöhle des Zahns; von da nach aussen haben
wir weiter nichts, als die eigentliche Zahnsubstanz mit ihrem
Röhrensystem, welches bis nahe an die Oberfläche reicht und an
der Zahnwurzel unmittelbar übergeht in eine Lage von wirk-
licher Knochensubstanz (Cement), wo die Knochenkörperchen
am Ende dieser Röhren aufsitzen. Eine ähnliche Weise der
Einrichtung der Saftströmung, wie vom Marke der Knochen,
geht hier von der Pulpe aus; der Ernährungssaft kann durch
Röhren bis zur Oberfläche geleitet werden.
Diese Art von Röhrensystemen, die im Knochen und Zahn
in einer so ausgesprochenen Weise sich findet, ist in den wei-
chen Gebilden mit einer ungleich geringeren Klarheit zu über-
sehen, und das ist wohl hauptsächlich der Grund gewesen,
dass man die Analogie, welche zwischen den weichen Gewe-
ben der Bindesubstanz und den harten der Knochen besteht,
nicht recht zur Anschauung gebracht hat. Am deutlichsten
sieht man solche Systeme an Punkten, die eine mehr knorplige
Beschaffenheit haben, z. B. wo Faserknorpel liegt. Aber
es ist sehr bezeichnend, dass wir von dem Knorpel eine Reihe
von Uebergängen zu den anderen Geweben der Bindesubstanz
finden, welche stets dasselbe Verhältniss wiederholen. Zuerst
Theile, die chemisch noch zum Knorpel gehören, z. B. die
Hornhaut, welche beim Kochen Chondrin gibt, obgleich sie
Niemand als wirklichen Knorpel ansieht. Viel auffälliger ist
die Einrichtung bei solchen Theilen, bei denen die äussere Er-
scheinung für Knorpel spricht, aber die chemischen Eigenschaf-
ten nicht übereinstimmen, z. B. bei den Cartilagines semiluna-
res im Kniegelenk, den Bandscheiben zwischen Femur und Ti-
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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/100>, abgerufen am 25.11.2024.
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