kam eine schöne| sehr prächtig gekleidete Dame, von zwey Herrn begleitet, mit der zurückkehren- den Barke. Diese Dame liebkoste mich zärt- lich, gab mir Spielzeug und Konfekt, und ich mußte sie Mutter nennen. Einer von den Herren, der auch schön und glänzend gekleidet war, bezeigte meiner Mutter viel Aufmerksam- keit, und war sehr freundlich gegen sie, so wie sie auch gegen ihn. Dem andern Herrn, der, wie ich nachmals erfahren habe, ein Geistlicher war, begegneten beyde mit Ehrfurcht. Gegen mich waren beyde unfreundlich; sie schalten mich wenn ich mich zu nah an meine Mutter drängte oder nicht von ihrem Schooß fort wollte. Sie waren mir beyde verhaßt, besonders der geist- liche Herr, dessen Recht mich zu schelten ich im- mer im Herzen bezweifelte. Der Stolz und die Unfreundlichkeit der beyden Männer hatte einen so verhaßten Eindruck auf mein kindliches Ge- müth gemacht, daß ich sie fürchtete, und sie niemals begrüßen oder anreden mochte, so sehr meine Mutter darauf bestand. Empfindlichen Kindern ist Härte und Unfreundlichkeit un-
kam eine ſchoͤne| ſehr praͤchtig gekleidete Dame, von zwey Herrn begleitet, mit der zuruͤckkehren- den Barke. Dieſe Dame liebkoſte mich zaͤrt- lich, gab mir Spielzeug und Konfekt, und ich mußte ſie Mutter nennen. Einer von den Herren, der auch ſchoͤn und glaͤnzend gekleidet war, bezeigte meiner Mutter viel Aufmerkſam- keit, und war ſehr freundlich gegen ſie, ſo wie ſie auch gegen ihn. Dem andern Herrn, der, wie ich nachmals erfahren habe, ein Geiſtlicher war, begegneten beyde mit Ehrfurcht. Gegen mich waren beyde unfreundlich; ſie ſchalten mich wenn ich mich zu nah an meine Mutter draͤngte oder nicht von ihrem Schooß fort wollte. Sie waren mir beyde verhaßt, beſonders der geiſt- liche Herr, deſſen Recht mich zu ſchelten ich im- mer im Herzen bezweifelte. Der Stolz und die Unfreundlichkeit der beyden Maͤnner hatte einen ſo verhaßten Eindruck auf mein kindliches Ge- muͤth gemacht, daß ich ſie fuͤrchtete, und ſie niemals begruͤßen oder anreden mochte, ſo ſehr meine Mutter darauf beſtand. Empfindlichen Kindern iſt Haͤrte und Unfreundlichkeit un-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0097"n="89"/>
kam eine ſchoͤne| ſehr praͤchtig gekleidete Dame,<lb/>
von zwey Herrn begleitet, mit der zuruͤckkehren-<lb/>
den Barke. Dieſe Dame liebkoſte mich zaͤrt-<lb/>
lich, gab mir Spielzeug und Konfekt, und<lb/>
ich mußte ſie Mutter nennen. Einer von den<lb/>
Herren, der auch ſchoͤn und glaͤnzend gekleidet<lb/>
war, bezeigte meiner Mutter viel Aufmerkſam-<lb/>
keit, und war ſehr freundlich gegen ſie, ſo wie<lb/>ſie auch gegen ihn. Dem andern Herrn, der,<lb/>
wie ich nachmals erfahren habe, ein Geiſtlicher<lb/>
war, begegneten beyde mit Ehrfurcht. Gegen<lb/>
mich waren beyde unfreundlich; ſie ſchalten<lb/>
mich wenn ich mich zu nah an meine Mutter<lb/>
draͤngte oder nicht von ihrem Schooß fort wollte.<lb/>
Sie waren mir beyde verhaßt, beſonders der geiſt-<lb/>
liche Herr, deſſen Recht mich zu ſchelten ich im-<lb/>
mer im Herzen bezweifelte. Der Stolz und die<lb/>
Unfreundlichkeit der beyden Maͤnner hatte einen<lb/>ſo verhaßten Eindruck auf mein kindliches Ge-<lb/>
muͤth gemacht, daß ich ſie fuͤrchtete, und ſie<lb/>
niemals begruͤßen oder anreden mochte, ſo ſehr<lb/>
meine Mutter darauf beſtand. Empfindlichen<lb/>
Kindern iſt Haͤrte und Unfreundlichkeit un-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[89/0097]
kam eine ſchoͤne| ſehr praͤchtig gekleidete Dame,
von zwey Herrn begleitet, mit der zuruͤckkehren-
den Barke. Dieſe Dame liebkoſte mich zaͤrt-
lich, gab mir Spielzeug und Konfekt, und
ich mußte ſie Mutter nennen. Einer von den
Herren, der auch ſchoͤn und glaͤnzend gekleidet
war, bezeigte meiner Mutter viel Aufmerkſam-
keit, und war ſehr freundlich gegen ſie, ſo wie
ſie auch gegen ihn. Dem andern Herrn, der,
wie ich nachmals erfahren habe, ein Geiſtlicher
war, begegneten beyde mit Ehrfurcht. Gegen
mich waren beyde unfreundlich; ſie ſchalten
mich wenn ich mich zu nah an meine Mutter
draͤngte oder nicht von ihrem Schooß fort wollte.
Sie waren mir beyde verhaßt, beſonders der geiſt-
liche Herr, deſſen Recht mich zu ſchelten ich im-
mer im Herzen bezweifelte. Der Stolz und die
Unfreundlichkeit der beyden Maͤnner hatte einen
ſo verhaßten Eindruck auf mein kindliches Ge-
muͤth gemacht, daß ich ſie fuͤrchtete, und ſie
niemals begruͤßen oder anreden mochte, ſo ſehr
meine Mutter darauf beſtand. Empfindlichen
Kindern iſt Haͤrte und Unfreundlichkeit un-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/97>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.