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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

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sie mit der ungestümen Heftigkeit des Jüng-
lings; er dachte, er träumte nichts als den
Augenblick, sich im ungetheilten ungestörten
Besitz der schönen Geliebten zu sehen; seine
Fantasie lebte nur in jenem so heiß ersehnten
Moment, alles Leben bis dahin würdigte er
nur als Annäherung zu jener Zeit, wie der
Gefangne, der der bestimmten Befreyung
entgegen sieht. Von dieser Ungeduld begriff
Jultane nichts. Mit aller Jnnigkeit ihres
reinen Herzens liebte sie ihn; niemand war
ihr jemals liebenswürdiger erschienen; sie gab
sich ihm gern, sie war von jeher schon mit der
Jdee vertraut, und hatte es als ihr Schicksal
ansehen gelernt ihm anzugehören. Aber den
Tag erwartete sie mit großer Ruhe; klopfte auch
ihr Herz stärker bey dem Gedanken, so war es
mehr eine bängliche Ahndung, die furchtsame
Scheu des sittsamen Mädchens, als die Er-
wartung eines größern Glücks; sie ahndete kein
größeres Glück, als daß es immer so' blie-
be, wie es war, es sehlte ihr so gar nichts.
Sie nahm an allem den gewöhnlichen Antheil,

ſie mit der ungeſtuͤmen Heftigkeit des Juͤng-
lings; er dachte, er traͤumte nichts als den
Augenblick, ſich im ungetheilten ungeſtoͤrten
Beſitz der ſchoͤnen Geliebten zu ſehen; ſeine
Fantaſie lebte nur in jenem ſo heiß erſehnten
Moment, alles Leben bis dahin wuͤrdigte er
nur als Annaͤherung zu jener Zeit, wie der
Gefangne, der der beſtimmten Befreyung
entgegen ſieht. Von dieſer Ungeduld begriff
Jultane nichts. Mit aller Jnnigkeit ihres
reinen Herzens liebte ſie ihn; niemand war
ihr jemals liebenswuͤrdiger erſchienen; ſie gab
ſich ihm gern, ſie war von jeher ſchon mit der
Jdee vertraut, und hatte es als ihr Schickſal
anſehen gelernt ihm anzugehoͤren. Aber den
Tag erwartete ſie mit großer Ruhe; klopfte auch
ihr Herz ſtaͤrker bey dem Gedanken, ſo war es
mehr eine baͤngliche Ahndung, die furchtſame
Scheu des ſittſamen Maͤdchens, als die Er-
wartung eines groͤßern Gluͤcks; ſie ahndete kein
groͤßeres Gluͤck, als daß es immer ſo’ blie-
be, wie es war, es ſehlte ihr ſo gar nichts.
Sie nahm an allem den gewoͤhnlichen Antheil,

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[53/0061] ſie mit der ungeſtuͤmen Heftigkeit des Juͤng- lings; er dachte, er traͤumte nichts als den Augenblick, ſich im ungetheilten ungeſtoͤrten Beſitz der ſchoͤnen Geliebten zu ſehen; ſeine Fantaſie lebte nur in jenem ſo heiß erſehnten Moment, alles Leben bis dahin wuͤrdigte er nur als Annaͤherung zu jener Zeit, wie der Gefangne, der der beſtimmten Befreyung entgegen ſieht. Von dieſer Ungeduld begriff Jultane nichts. Mit aller Jnnigkeit ihres reinen Herzens liebte ſie ihn; niemand war ihr jemals liebenswuͤrdiger erſchienen; ſie gab ſich ihm gern, ſie war von jeher ſchon mit der Jdee vertraut, und hatte es als ihr Schickſal anſehen gelernt ihm anzugehoͤren. Aber den Tag erwartete ſie mit großer Ruhe; klopfte auch ihr Herz ſtaͤrker bey dem Gedanken, ſo war es mehr eine baͤngliche Ahndung, die furchtſame Scheu des ſittſamen Maͤdchens, als die Er- wartung eines groͤßern Gluͤcks; ſie ahndete kein groͤßeres Gluͤck, als daß es immer ſo’ blie- be, wie es war, es ſehlte ihr ſo gar nichts. Sie nahm an allem den gewoͤhnlichen Antheil,

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Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/61>, abgerufen am 14.05.2024.