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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

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hatte. Allmählich verhallte es in seiner Seele,
wie Töne in den Wellen der Luft immer in
weiteren Kreisen verklingen, bis die Bebungen
schwächer werden, und endlich alles ruhig ist.
So ward es auch still in ihm, und das bekann-
te Bild seiner selbst trat wieder deutlich vor ihn.
Doch konnte er lange keinen fröhlichen Gedan-
ken fassen. Er war schwermüthig, es war ihm
traurig, daß er allein hier ein Fremdling sey,
wo es ein Gesetz schien, einander anzugehören,
daß er allein stehe, daß in der weiten Welt
kein Wesen mit ihm verwandt, keines Men-
schen Existenz an die seinige geknüpft sey. Sei-
ne Traurigkeit führte ihn auf jede unangenehme
Situation seines Lebens zurück; der Gesang
einer Nachtigall, der aus der Ferne zu ihm
herüber klang, löste vollends seine Seele in
Wehmuth auf, er gab sich ihr hin und bald
fühlte er seine Thränen fließen.

"Es ist sonderbar! höchst sonderbar! sagte
er, als er ruhiger ward; wie ich noch die Ge-
sellschaft suchte, lernte ich sie verachten, und
nun ich sie floh, nun ich sie haßte, nun muß

hatte. Allmaͤhlich verhallte es in ſeiner Seele,
wie Toͤne in den Wellen der Luft immer in
weiteren Kreiſen verklingen, bis die Bebungen
ſchwaͤcher werden, und endlich alles ruhig iſt.
So ward es auch ſtill in ihm, und das bekann-
te Bild ſeiner ſelbſt trat wieder deutlich vor ihn.
Doch konnte er lange keinen froͤhlichen Gedan-
ken faſſen. Er war ſchwermuͤthig, es war ihm
traurig, daß er allein hier ein Fremdling ſey,
wo es ein Geſetz ſchien, einander anzugehoͤren,
daß er allein ſtehe, daß in der weiten Welt
kein Weſen mit ihm verwandt, keines Men-
ſchen Exiſtenz an die ſeinige geknuͤpft ſey. Sei-
ne Traurigkeit fuͤhrte ihn auf jede unangenehme
Situation ſeines Lebens zuruͤck; der Geſang
einer Nachtigall, der aus der Ferne zu ihm
heruͤber klang, loͤſte vollends ſeine Seele in
Wehmuth auf, er gab ſich ihr hin und bald
fuͤhlte er ſeine Thraͤnen fließen.

„Es iſt ſonderbar! hoͤchſt ſonderbar! ſagte
er, als er ruhiger ward; wie ich noch die Ge-
ſellſchaft ſuchte, lernte ich ſie verachten, und
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[34/0042] hatte. Allmaͤhlich verhallte es in ſeiner Seele, wie Toͤne in den Wellen der Luft immer in weiteren Kreiſen verklingen, bis die Bebungen ſchwaͤcher werden, und endlich alles ruhig iſt. So ward es auch ſtill in ihm, und das bekann- te Bild ſeiner ſelbſt trat wieder deutlich vor ihn. Doch konnte er lange keinen froͤhlichen Gedan- ken faſſen. Er war ſchwermuͤthig, es war ihm traurig, daß er allein hier ein Fremdling ſey, wo es ein Geſetz ſchien, einander anzugehoͤren, daß er allein ſtehe, daß in der weiten Welt kein Weſen mit ihm verwandt, keines Men- ſchen Exiſtenz an die ſeinige geknuͤpft ſey. Sei- ne Traurigkeit fuͤhrte ihn auf jede unangenehme Situation ſeines Lebens zuruͤck; der Geſang einer Nachtigall, der aus der Ferne zu ihm heruͤber klang, loͤſte vollends ſeine Seele in Wehmuth auf, er gab ſich ihr hin und bald fuͤhlte er ſeine Thraͤnen fließen. „Es iſt ſonderbar! hoͤchſt ſonderbar! ſagte er, als er ruhiger ward; wie ich noch die Ge- ſellſchaft ſuchte, lernte ich ſie verachten, und nun ich ſie floh, nun ich ſie haßte, nun muß

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Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/42>, abgerufen am 28.04.2024.