gen, denn es schien, als machten sie mir ab- sichtlich aus dem Jnhalt des Briefs und des Gesprächs ein Geheimniß, aber es beunruhigte mich. Was kann vorgehen? Jch habe Jhren Brief unzähligemal durchgelesen, um vielleicht in ihm selbst einen Aufschluß zu finden, aber umsonst! -- Meine theure Clementine schreibt von Pflichten, die mir nun aufgelegt wer- den, denen ich vielleicht nicht gewachsen sey. Was sind das für Pflichten? giebt es noch an- dere, als die ich kenne: daß ich Eduard einzig und bis in den Tod lieben soll? Und wenn es nur diese sind, wie sollten sie mir zu schwer seyn? Kann man zu lieben aufhören? giebt es eine andere Glückseligkeit, als treu zu lie- ben bis in den Tod? -- Einst sagten Sie mir: das schönste Glück auf Erden für ei- ne Frau wäre, wenn der Gatte zugleich ihr Freund sey. Sie sprachen mir aus der See- le, meine geliebte Clementine; und wenn dem so ist, so dürfen Sie sich mit Jhrem Kinde freuen; Eduard ist gewiß der Freund seiner Juliane; er liebt mich ja, und kann man
gen, denn es ſchien, als machten ſie mir ab- ſichtlich aus dem Jnhalt des Briefs und des Geſpraͤchs ein Geheimniß, aber es beunruhigte mich. Was kann vorgehen? Jch habe Jhren Brief unzaͤhligemal durchgeleſen, um vielleicht in ihm ſelbſt einen Aufſchluß zu finden, aber umſonſt! — Meine theure Clementine ſchreibt von Pflichten, die mir nun aufgelegt wer- den, denen ich vielleicht nicht gewachſen ſey. Was ſind das fuͤr Pflichten? giebt es noch an- dere, als die ich kenne: daß ich Eduard einzig und bis in den Tod lieben ſoll? Und wenn es nur dieſe ſind, wie ſollten ſie mir zu ſchwer ſeyn? Kann man zu lieben aufhoͤren? giebt es eine andere Gluͤckſeligkeit, als treu zu lie- ben bis in den Tod? — Einſt ſagten Sie mir: das ſchoͤnſte Gluͤck auf Erden fuͤr ei- ne Frau waͤre, wenn der Gatte zugleich ihr Freund ſey. Sie ſprachen mir aus der See- le, meine geliebte Clementine; und wenn dem ſo iſt, ſo duͤrfen Sie ſich mit Jhrem Kinde freuen; Eduard iſt gewiß der Freund ſeiner Juliane; er liebt mich ja, und kann man
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0288"n="280"/>
gen, denn es ſchien, als machten ſie mir ab-<lb/>ſichtlich aus dem Jnhalt des Briefs und des<lb/>
Geſpraͤchs ein Geheimniß, aber es beunruhigte<lb/>
mich. Was kann vorgehen? Jch habe Jhren<lb/>
Brief unzaͤhligemal durchgeleſen, um vielleicht<lb/>
in ihm ſelbſt einen Aufſchluß zu finden, aber<lb/>
umſonſt! — Meine theure Clementine ſchreibt<lb/>
von <hirendition="#g">Pflichten,</hi> die mir nun aufgelegt wer-<lb/>
den, denen ich vielleicht nicht gewachſen ſey.<lb/>
Was ſind das fuͤr Pflichten? giebt es noch an-<lb/>
dere, als die ich kenne: daß ich Eduard einzig<lb/>
und bis in den Tod lieben ſoll? Und wenn es<lb/>
nur dieſe ſind, wie ſollten ſie mir zu ſchwer<lb/>ſeyn? Kann man zu lieben aufhoͤren? giebt<lb/>
es eine andere Gluͤckſeligkeit, als treu zu lie-<lb/>
ben bis in den Tod? — Einſt ſagten Sie<lb/>
mir: das ſchoͤnſte Gluͤck auf Erden fuͤr ei-<lb/>
ne Frau waͤre, wenn der Gatte zugleich ihr<lb/>
Freund ſey. Sie ſprachen mir aus der See-<lb/>
le, meine geliebte Clementine; und wenn dem<lb/>ſo iſt, ſo duͤrfen Sie ſich mit Jhrem Kinde<lb/>
freuen; Eduard iſt gewiß der Freund ſeiner<lb/>
Juliane; er liebt mich ja, und kann man<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[280/0288]
gen, denn es ſchien, als machten ſie mir ab-
ſichtlich aus dem Jnhalt des Briefs und des
Geſpraͤchs ein Geheimniß, aber es beunruhigte
mich. Was kann vorgehen? Jch habe Jhren
Brief unzaͤhligemal durchgeleſen, um vielleicht
in ihm ſelbſt einen Aufſchluß zu finden, aber
umſonſt! — Meine theure Clementine ſchreibt
von Pflichten, die mir nun aufgelegt wer-
den, denen ich vielleicht nicht gewachſen ſey.
Was ſind das fuͤr Pflichten? giebt es noch an-
dere, als die ich kenne: daß ich Eduard einzig
und bis in den Tod lieben ſoll? Und wenn es
nur dieſe ſind, wie ſollten ſie mir zu ſchwer
ſeyn? Kann man zu lieben aufhoͤren? giebt
es eine andere Gluͤckſeligkeit, als treu zu lie-
ben bis in den Tod? — Einſt ſagten Sie
mir: das ſchoͤnſte Gluͤck auf Erden fuͤr ei-
ne Frau waͤre, wenn der Gatte zugleich ihr
Freund ſey. Sie ſprachen mir aus der See-
le, meine geliebte Clementine; und wenn dem
ſo iſt, ſo duͤrfen Sie ſich mit Jhrem Kinde
freuen; Eduard iſt gewiß der Freund ſeiner
Juliane; er liebt mich ja, und kann man
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/288>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.