sehr |ungeduldig. Der feyerliche, umständli- che, höfliche Alte! der empfindsame exaltirte Knabe! Repräsentanten ihrer Zeit und ihres Standes, ... wenn ich ihre Porträte zu ei- ner Ahnengallerie zu machen hätte, so mahlte ich den ersten, wie er mit großer Devotion ein von Pfeilen durchbohrtes Herz darbringt, und den andern in erhabenen und rührenden Betrachtungen vertieft über ein Büschel Ver- gißmeinnicht. Es ist das Lächerlichste von der Welt, außer ich selbst, der ich mich verleiten lasse, ihnen zu folgen, und mich in Prozession aufzuführen. ... Was will ich dort? Was ich nun schon hier bis zum Ueberdruß an- hören mußte, etwa mir von der ganzen Fa- milie wiederholen lassen? Oder bilde ich mir nicht schon wieder ein, ein geheimer Zug im Jnnern meines Herzens ziehe mich hin? ... Jch war mein eigner Narr von jeher. --
Der alte Herr unterbrach sein Selbstge- spräch. Der Name eines Mannes, fing er an, kann uns zwar wenig mehr lehren, als wo-
ſehr |ungeduldig. Der feyerliche, umſtaͤndli- che, hoͤfliche Alte! der empfindſame exaltirte Knabe! Repraͤſentanten ihrer Zeit und ihres Standes, … wenn ich ihre Portraͤte zu ei- ner Ahnengallerie zu machen haͤtte, ſo mahlte ich den erſten, wie er mit großer Devotion ein von Pfeilen durchbohrtes Herz darbringt, und den andern in erhabenen und ruͤhrenden Betrachtungen vertieft uͤber ein Buͤſchel Ver- gißmeinnicht. Es iſt das Laͤcherlichſte von der Welt, außer ich ſelbſt, der ich mich verleiten laſſe, ihnen zu folgen, und mich in Prozeſſion aufzufuͤhren. … Was will ich dort? Was ich nun ſchon hier bis zum Ueberdruß an- hoͤren mußte, etwa mir von der ganzen Fa- milie wiederholen laſſen? Oder bilde ich mir nicht ſchon wieder ein, ein geheimer Zug im Jnnern meines Herzens ziehe mich hin? … Jch war mein eigner Narr von jeher. —
Der alte Herr unterbrach ſein Selbſtge- ſpraͤch. Der Name eines Mannes, fing er an, kann uns zwar wenig mehr lehren, als wo-
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ſehr |ungeduldig. Der feyerliche, umſtaͤndli-
che, hoͤfliche Alte! der empfindſame exaltirte
Knabe! Repraͤſentanten ihrer Zeit und ihres
Standes, … wenn ich ihre Portraͤte zu ei-
ner Ahnengallerie zu machen haͤtte, ſo mahlte
ich den erſten, wie er mit großer Devotion
ein von Pfeilen durchbohrtes Herz darbringt,
und den andern in erhabenen und ruͤhrenden
Betrachtungen vertieft uͤber ein Buͤſchel Ver-
gißmeinnicht. Es iſt das Laͤcherlichſte von der
Welt, außer ich ſelbſt, der ich mich verleiten
laſſe, ihnen zu folgen, und mich in Prozeſſion
aufzufuͤhren. … Was will ich dort? Was
ich nun ſchon hier bis zum Ueberdruß an-
hoͤren mußte, etwa mir von der ganzen Fa-
milie wiederholen laſſen? Oder bilde ich
mir nicht ſchon wieder ein, ein geheimer Zug
im Jnnern meines Herzens ziehe mich
hin? … Jch war mein eigner Narr von
jeher. —
Der alte Herr unterbrach ſein Selbſtge-
ſpraͤch. Der Name eines Mannes, fing er an,
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/23>, abgerufen am 30.01.2025.
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